Irene Dorfner

Tödliche Vetternwirtschaft


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maulte Viktoria Untermaier, die nichts von diesen Klüngeleien hielt, mit denen sich Krohmer immer wieder abgab. Die 48-jährige, nur 1,65 m große Frau mit der sehr weiblichen Figur war die Leiterin der Mordkommission und hasste es, wenn sie sich mit solcher Arbeit herumschlagen musste.

      „Ich weiß, wie sich das anhört. Bevor Sie vorschnell urteilen, hören Sie sich die Sache wenigstens an.“

      „Von mir aus,“ sagte Leo Schwartz, der bisher nicht den Eindruck hatte, dass sich der Chef mit unsinnigen Geschichten auseinandersetzte, denn für ihn war Krohmer ein intelligenter und besonnener Mensch, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Leo mochte Krohmer sehr. Er hatte ihm von Anfang an die Eingewöhnung in Mühldorf nach seiner Versetzung von Ulm hierher sehr einfach gemacht und ihn immer fair und gerecht behandelt. Und obwohl er dazu neigte, seine eigenen Wege zu gehen, um ans Ziel zu kommen, hatte ihm der Chef immer wieder den Rücken gestärkt und hatte ihm stets vertraut.

      „Bei meiner Bekannten handelt es sich um eine Spielkameradin aus frühen Kindertagen, wir sind quasi Tür an Tür aufgewachsen. Ihr Name ist Susanne Bruckmayer, wir sind uns am Sonntag während der Ostermesse über den Weg gelaufen. Ich war sehr überrascht, sie nach so vielen Jahren wieder zu sehen und ich habe sie anfangs überhaupt nicht erkannt, schließlich haben wir uns seit fast 35 Jahren nicht mehr gesehen. Sie ist inzwischen aufgrund einer Erkrankung pensioniert, sie war viele Jahre in leitender Position beim Jugendamt in München beschäftigt. Ihre Eltern sind letztes Jahr kurz hintereinander verstorben, wodurch sie das Haus in Mühldorf geerbt hat und wieder hierher gezogen ist.“

      „Das ist ja alles sehr rührselig und für manche auch bestimmt interessant. Aber um was geht es denn jetzt genau?“ Viktoria Untermaier war genervt von der Lebensgeschichte der Unbekannten, für die sie sich nicht interessierte.

      „Susanne hatte einen Bekannten, der kürzlich urplötzlich verstorben ist. Aus heiterem Himmel.“

      „Das soll vorkommen,“ brummte Viktoria.

      „Auf dem Totenschein wurde Herzversagen als Todesursache angegeben, aber Susanne glaubt nicht daran. Sie kannte den Verstorbenen sehr gut, vor allem in den letzten Wochen hatte sie viel Zeit mit ihm verbracht. Sie hat mich inständig gebeten, der Sache nachzugehen.“

      „Und auf welche Grundlagen stützt sich die Vermutung Ihrer Bekannten?“

      „Nur eine Ahnung. Beweisen kann sie natürlich nichts. Aber Susanne ist keine Frau, die sich Hirngespinsten hingibt. Sie steht mit beiden Beinen auf dem Boden und ist sehr intelligent. Sie hat mich davon überzeugen können, die Sache zu überprüfen.“ Krohmer merkte selbst, dass seine Gründe sehr dünn waren. Trotzdem hatte er versprochen, sich der Sache anzunehmen, sonst hätte Susanne keine Ruhe gegeben. Außerdem hatte er die Sorgen in ihren Augen gesehen.

      „Du meine Güte,“ stöhnte Viktoria, „da haben Sie sich aber ganz schön einlullen lassen. Wie lange haben Sie die Frau nicht mehr gesehen? 35 Jahre? Sie meinen wirklich, dass Sie die Frau noch so gut einschätzen können? Vergessen Sie’s Chef.“

      „Ich habe ihr mein Wort gegeben und würde es sehr begrüßen, wenn sich zwei von Ihnen der Sache annehmen. Hören Sie sich bei der Familie, bei Freunden, Arbeitskollegen und Bekannten des Verstorbenen um. Machen Sie sich ein eigenes Bild und urteilen Sie selbst. Mehr verlange ich nicht.“

      „Ich finde, das hört sich nicht verkehrt an. Ich würde das gerne übernehmen,“ sagte Hans Hiebler begeistert. Der 53-jährige, 1,80 m große sportliche und sehr attraktive Mann umgab heute wieder ein sehr betörender Herrenduft, der den anderen fast die Luft nahm. Da kein aktueller Mordfall anstand, lagen alte Mordfälle auf dem Schreibtisch, die die Mordkommission durchzuarbeiten hatte. Er hasste diese Arbeit, mit der sie sich in regelmäßigen Abständen herumplagen mussten. Er machte viel lieber ordentliche, alte Polizeiarbeit. Am liebsten draußen unter Menschen und nicht am Schreibtisch. Man sagt ja, Papier ist geduldig – Hans Hiebler war es in dieser Hinsicht nicht.

      „Ich begleite dich,“ rief Leo schnell und kam damit dem neuen Kollegen Sebastian Kranzbichler, genannt Wastl, zuvor, der ebenfalls wie Leo und Hans diese Arbeit nicht mochte und eine Abwechslung witterte. Kranzbichler war enttäuscht; jetzt musste er mit dieser mies gelaunten Viktoria die alten Fälle allein überarbeiten, was bestimmt kein Vergnügen werden würde.

      „Ich bedanke mich für Ihr Entgegenkommen, ich weiß das sehr zu schätzen,“ strahlte Krohmer über den Enthusiasmus der Kollegen. „Hier ist die Sterbeurkunde, die ich in weiser Voraussicht mitgebracht habe. Ich wusste ja, dass ich mich auf meine Leute verlassen kann.“ Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Es handelt sich bei dem Toten um einen gewissen Gerald Haferstock, der am Donnerstag den 19.03.2015 gegen 7.30 Uhr in Töging nahe des Wasserschlosses tot aufgefunden wurde. Der 55-jährige Mann war beim Joggen zusammengebrochen. Eine Obduktion wurde aufgrund der festgestellten Todesursache nicht angeordnet. Haferstock war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Seine betagte Mutter lebt in Altötting, hier ist die Adresse. Hören Sie sich um und verschaffen Sie sich einen persönlichen Eindruck. Sie können auch gerne mit Susanne Bruckmayer sprechen, ihre Adresse habe ich ebenfalls notiert.“

      „Gerne Chef. Wir fahren sofort los und melden uns direkt bei Ihnen.“

      „Viktoria ist heute sehr schlecht gelaunt. Hattet ihr Zoff?“

      „Nein, ihr Gemütszustand hat nichts mit mir zu tun,“ sagte Leo Schwartz. Der 50-jährige Schwabe war seit einigen Monaten mit Viktoria liiert, sie wohnten inzwischen sogar schon zusammen. „Letzte Woche kam ein Einschreiben eines Notars aus Eggenfelden. Viktoria wurde über den Tod einer Tante ihres Exmannes informiert. Sie wurde von dieser Tante testamentarisch berücksichtigt und wurde gebeten, in drei Wochen bei diesem Notar zu erscheinen. Sie mochte die alte Dame sehr und hat sofort telefonisch zugesagt, bis ihr schließlich wenig später bewusst wurde, dass sie dort ihrem Exmann über den Weg laufen könnte. Jetzt ärgert sie sich über sich selber und hat seitdem schlechte Laune. Ich finde das alles amüsant und könnte mich totlachen.“

      „Das findest du witzig?“

      „Natürlich! Wie kann man nur so schnell und ohne nachzudenken reagieren? Gerade der immer besonnenen Viktoria passierte dieser Fauxpas. Sie hat mich gebeten, sie zu begleiten, aber darauf kann ich gerne verzichten. Ich möchte ihrem Exmann nicht über den Weg laufen. Du hast diesen unsympathischen Kotzbrocken doch selbst kennenlernen dürfen. Erinnerst du dich?“

      „Sicher erinnere ich mich an Andreas Untermaier. Der harte Kerl von der Spezialeinheit, der beim Sinderhof-Fall in Tüßling die Hosen gestrichen voll hatte. Ich stand direkt neben ihm und Viktoria, als sie ihm mit einem gezielten Schlag die Nase gebrochen hatte.“

      Die beiden mussten lautstark lachen, bis sie Tränen in den Augen hatten, denn der muskulöse und durchtrainierte Andreas Untermaier gab damals ein äußerst jämmerliches Bild ab.

      „Wenn ihr der Termin bei diesem Notar so unangenehm ist, warum schlägt sie das Erbe nicht einfach aus?“

      „Hab ich ihr auch schon vorgeschlagen, mehrfach sogar. Aber sie mochte diese Tante, was ich ihr nicht ganz glaube, denn sie konnte sich kaum an deren Namen erinnern. Ich bin davon überzeugt, dass sie neugierig ist, was ihr vermacht wurde. Du kennst doch Viktoria.“

      „Das muss es sein,“ sagte Leo, als er den Wagen vor dem Grundstück in Altötting-Süd parkte. „Hier wohnt die Mutter des Verstorbenen.“

      „Donnerwetter! Das nenne ich ein Anwesen!“ rief Hans beeindruckt. Er liebte diese alten Stadthäuser, die für ihn ein gewisses Flair ausstrahlten, das Neubauten einfach nicht hatten. Schon allein deshalb würde er nie aus dem alten Bauernhaus ausziehen, das er von seinen Eltern geerbt und inzwischen modernisiert hatte. Die Felder und Wiesen waren längst verkauft, aber das Bauernhaus selbst würde er niemals hergeben.

      Sie klingelten an dem schmiedeeisernen Tor und hatten die Überwachungskamera längst bemerkt, die nun mit einem Summen direkt auf sie gerichtet war. Leo und Hans hielten ihre Ausweise ins Sichtfeld der Kamera, worauf der Öffner des Tors summte. Der Weg zum Haus war wunderschön angelegt. Zwischen den alten Wegplatten lugte nicht ein einziges Unkraut hervor, die Bepflanzung war akkurat