Irene Dorfner

Tödliche Vetternwirtschaft


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duldet keinen Schmutz in ihrem Haus.“

      Sie folgten der Frau mit dem energischen Gang in ein riesiges Wohnzimmer, das mit teuren, schweren Möbeln und dicken Teppichen ausgestattet war.

      „Die beiden Herren sind von der Polizei. Soll ich Kaffee machen?“

      „Nein danke Paula, die Herren werden nicht lange bleiben. Setzen Sie sich bitte. Was kann ich für Sie tun?“

      Die alte Frau saß mit einer dicken Wolldecke im Rollstuhl und war weit über 80 Jahre alt. Die stahlblauen Augen waren hellwach und sie sah die Beamten argwöhnisch an.

      „Wir sind wegen Gerald Haferstock hier.“

      „Wegen meinem Sohn? Warum? Stimmt etwas nicht mit Geralds Tod? Ich wurde darüber unterrichtet, dass er an Herzversagen gestorben ist, was mich wegen seinem unsteten Lebenswandel nicht überrascht hat. Warum also sind Sie hier? Nun sagen Sie schon und spannen mich nicht länger auf die Folter.“ Elisabeth Haferstock war nicht nur resolut, sondern auch sehr ungeduldig.

      „Es gibt einige Ungereimtheiten, denen wir nachgehen müssen,“ antwortete Leo rasch, dem die Situation sehr unangenehm war. Hans hingegen hatte sich zurückgelehnt und sagte kein Wort. Er überließ Leo die Befragung und beobachtete jede Regung der Frau. „Dem Totenschein haben wir entnommen, dass Ihr Sohn während dem Joggen am Inn-Ufer in Töging zusammengebrochen ist. Hatte er irgendwelche Vorerkrankungen?“

      „Nicht, dass ich wüsste.“

      „Wann haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?“

      „Ich gehe davon aus, dass Sie sich bereits mit mehreren Personen unterhalten haben, die nicht sehr gut auf mich zu sprechen sind. Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Vor allem, wenn der Neid in ihnen aufsteigt, schließlich sind wir eine privilegierte, wohlhabende Familie, die es nur mit Disziplin, Fleiß und Verzicht so weit gebracht hat. Egal, was Ihnen die anderen erzählen, mein Sohn und ich hatten trotz aller Umstände ein gutes Verhältnis. Gerald kam regelmäßig vorbei und hat nach mir gesehen. Das letzte Mal war er zu meinem Geburtstag am 3. März hier.“ Die Züge um ihren Mund wurden noch strenger.

      „Was hat Ihr Sohn beruflich gemacht?“

      „Er war Architekt. Ich kann nicht beurteilen, ob er seine Arbeit gut gemacht hat, ich verstehe nichts von diesem Metier und ich habe mich auch nie dafür interessiert. Seit drei Generationen gab es nur Anwälte in unserer Familie und ich kann behaupten, dass die Kanzlei Haferstock viele Jahre eine feste Institution in Altötting war. Wir trotzten Kriegen und Wirtschaftskrisen und haben uns während der ganzen Zeit nie etwas zu Schulden kommen lassen. Natürlich sollte Gerald ebenfalls die juristische Laufbahn einschlagen und dann die gutgehende Kanzlei übernehmen, so war es zumindest immer geplant. Aber mein Sohn hat sich trotz guten Zuredens geweigert, Jura zu studieren und hatte sich lieber der Architektur zugewandt. Gerald war nicht davon abzubringen und schließlich haben wir uns damit abgefunden. Naja, die Architektur war immer noch besser als irgendwelche Geisteswissenschaften.“

      „Sie haben vorhin den unsteten Lebenswandel Ihres Sohnes erwähnt. Was verstehen Sie darunter?“

      „Abgesehen von seinem Beruf, der ihn auf dreckige Baustellen führte, meine ich auch die vielen Vergnügungen, denen er nachgegangen ist. Feiern und Reisen zu den entlegensten Winkeln der Erde war seine Passion. Mein Mann und ich sind nie viel gereist, wir haben immer nur gearbeitet und sind unseren Pflichten nachgegangen, irgendwelche Vergnügungen waren uns fremd. Darüber hinaus meine ich auch seine abartige Zuneigung zu Männern, die er offen ausgelebt hat. Widerlich! Er hat damit dem Ruf der Familie sehr geschadet und wollte auch der Familie und der Anwaltskanzlei zuliebe nicht auf diese Neigung verzichten. Wir haben ihn angefleht, diese Neigung im Verborgenen auszuleben, aber er wollte sich nicht verstecken und bestand darauf, so zu leben, wie er es für richtig hielt. Was will man da machen? Wir haben uns schließlich widerwillig auch damit abfinden müssen. Ich kann mich in der ganzen Familiengeschichte nicht an einen einzigen Mann erinnern, der auch unter dieser Veranlagung gelitten hat.“

      Für die alte Frau Haferstock war Homosexualität eine abartige Krankheit. Leo wollte etwas darauf erwidern, aber Hans hielt ihn zurück. Für ihn war es sinnlos, mit dieser Frau darüber zu diskutieren.

      „Hatte Ihr Sohn Feinde?“

      „Aber nein, wo denken Sie hin. Alle mochten meinen Gerald, er war überall beliebt und hatte einen sehr großen Freundeskreis. Gerald hatte schon als Kind immer ein Lächeln auf den Lippen, kannte keinen Neid und war sehr hilfsbereit. Geschäftlich war er sehr erfolgreich, obwohl man ihm nachsagt, dass er ein sehr harter Verhandlungspartner war. Zumindest das hatte er von seinem Vater geerbt.“

      „Hatte er einen festen Lebenspartner?“

      „Um Gottes Willen, das weiß ich nun wirklich nicht. Als er mir und seinem Vater damals seine Neigung gebeichtet hat, hat er uns versprechen müssen, uns niemals einen seiner Partner vorzustellen oder gar mitzubringen. Das wäre uns doch sehr unangenehm gewesen. Es hat uns geschockt, dass unser Sohn mit seiner Neigung überall hausieren ging, alle wussten Bescheid! Das muss man sich mal vorstellen! Wir waren das Gespött der Altöttinger und natürlich unserer Klienten. Es hat Jahre gedauert, bis wir uns damit abgefunden haben und man nicht mehr darüber sprach. Ich bin mir sicher, dass man auch heute noch hinter vorgehaltener Hand über unseren Sohn und seine Veranlagung herzieht. Aber heute ist mir das gleichgültig. Mein Mann ist vor acht Jahren verstorben, worauf ich die Kanzlei schweren Herzens verkaufen musste. Aber was sollte ich tun? Ohne einen Nachfolger blieb mir nichts anderes übrig, als das Lebenswerk der Haferstocks an einen befreundeten Anwalt zu verkaufen. Zumindest der Name Haferstock wird zu Ehren meines Mannes weiterhin in der Kanzlei genannt, obwohl ein Haferstock nichts mehr damit zu tun hat. Aber der Nachfolger Dr. Seemann hat damals bei meinem Mann gelernt, der ihn unter seine Fittiche genommen hat. Es ging mir sehr ans Herz, als ich den Namen meines Mannes im neuen Firmenschild las.“ Erst jetzt durch diese Aussage konnte man eine gewisse menschliche Regung bei Frau Haferstock spüren, die immer noch unter diesem Verkauf litt. „Mir geht es gesundheitlich immer schlechter, schon seit Jahren halte ich mich fast nur noch hier im Haus auf. Es ist nicht schön, wenn man alt und einsam ist, das können Sie mir glauben.“

      „Ihr Sohn wohnte nicht in Ihrem schönen, großen Haus? Platz wäre in diesem Riesenkasten mehr als genug,“ sagte Hans und erntete durch diese Bemerkung einen scharfen Blick von Frau Haferstock.

      „Nein, ich wohne hier seit dem Tod meines Mannes allein. Gerald ist schon vor vielen Jahren ausgezogen, er hat sich in Töging ein Haus gekauft. Das war uns nicht unangenehm, denn in seinem eigenen Haus weit genug weg von Altötting konnte er machen, was er wollte, das hat uns nicht interessiert. Wir sind niemals dort gewesen, um mit seinem Lebenswandel nicht konfrontiert zu werden und auch, um ihn nicht zu stören. Er hatte sein Leben und wir hatten unseres. Sie können sich in Geralds Haus gerne umsehen, ich habe einen Hausschlüssel, den ich noch nie benutzt habe.“

      Leo und Hans konnten sich kaum vorstellen, was das für den Sohn bedeutet haben muss. Er wurde wegen seiner Homosexualität aus der Familie quasi ausgestoßen.

      „Was passiert mit dem Haus Ihres Sohnes?“

      „Das wurde noch nicht entschieden. Mein Sohn hat ein Testament verfasst, das in Kürze verkündet wird. Ich denke, das ist reine Formsache und es wird wohl alles mir als nächste und fast einzige Verwandte zufallen.“

      „Sie haben keine weiteren Kinder?“

      „Nein, Gerald war unser einziges Kind. Die Erbfolge wird von meiner Seite aus jetzt neu geregelt werden müssen. In der gesetzlichen Erbfolge stehen die missratenen Kinder meiner Halbschwester nun an nächster Stelle und das muss ich unbedingt verhindern. Meine Halbschwester entstammt einem Seitensprung meines Vaters mit einem Kindermädchen und ist mir sehr peinlich. Dieser Skandal konnte damals nur mit großer Mühe unter den Teppich gekehrt werden und ich bin mir sicher, dass diese Schlampe eine große Summe aus meinem Vater gepresst hat. Aber genau weiß ich das nicht, mein Vater hat sich dazu nie geäußert. Zum Glück ist diese Geschichte niemals an die Öffentlichkeit gelangt. Nicht auszudenken, was dann passiert wäre! Womöglich hätte mein Vater die Kanzlei schließen müssen. Meine sogenannte Halbschwester,