Irene Dorfner

Tödliche Vetternwirtschaft


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dass ich das Vermögen lieber einer wohltätigen Einrichtung zukommen lasse, als es diesen Proleten in den Hals zu werfen.“ Frau Haferstock verzog angewidert das Gesicht. Leo konnte sich lebhaft vorstellen, dass diese versnobte Frau das Geld lieber verbrannt hätte, als es dieser Frau zu geben.

      „Wo finden wir Ihre Halbschwester?“

      „Ich weiß zwar nicht, was Sie von ihr wollen, aber bitte. Paula gibt Ihnen die Adresse dieser Sippe und natürlich auch die Anschrift und den Hausschlüssel meines Sohnes. Wenn Sie mir jetzt bitte verraten würden, welche Ungereimtheiten bezüglich des Todes meines Sohnes aufgetaucht sind? Ich verstehe nicht, weshalb sich die Mordkommission mit dem Tod befasst.“

      „Das können wir Ihnen leider noch nicht sagen, wir sind erst am Anfang unserer Ermittlungen.“ Leo wusste immer noch nicht, was er sagen sollte. Es war ihm fast peinlich, dass sie nur einer vagen Vermutung nachgingen, die jeglicher Grundlage entbehrte.

      Leo und Hans verabschiedeten sich hastig bei der alten Frau, bevor sie noch mehr unangenehme Fragen stellte. Beim Hinausgehen überreichte Paula den beiden einen Zettel mit den gewünschten Adressen zusammen mit dem Hausschlüssel von Gerald Haferstock. Eins war klar: Die Frau hatte gelauscht!

      „Wie standen Sie zu Gerald Haferstock?“

      Paula Ritter sah Leo erschrocken an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass auch sie befragt wurde. Sie wurde nervös und fuhr sich durch die feuerroten Haare.

      „Wir kannten uns nur flüchtig. Natürlich haben wir uns hier im Haus getroffen, dabei unterhielten wir uns hauptsächlich über seine Mutter. Obwohl Frau Haferstock zu ihrem Sohn immer sehr kalt und ablehnend war, machte er sich über ihren Gesundheitszustand große Sorgen. Er war mir gegenüber immer sehr höflich und zuvorkommend. Nicht wie seine versnobte Mutter, die gerne raushängen lässt, dass sie etwas Besseres ist. Nein, Gerald war da ganz anders. Zu Weihnachten und zu meinem Geburtstag hat er mir immer eine kleine Aufmerksamkeit zukommen lassen. Natürlich heimlich, seine Mutter hätte das nicht geduldet. Für sie gab es eine deutliche Grenze zwischen der ehrwürdigen Familie und den Angestellten. Gerald liebte es, hinter dem Rücken seiner Mutter zu agieren und wirkte dabei wie ein kleines Kind. Er war herzlich und lustig, ich vermisse ihn sehr.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie mochte Gerald Haferstock mehr als sie zugeben würde. „Warum sind Sie hier? Ist Gerald doch nicht eines natürlichen Todes gestorben? Ich habe ihn nie als kränklich empfunden, er strotzte geradezu vor Vitalität und hat sehr auf seinen Körper geachtet. Er mied Zucker und Fette aller Art. Und täglich lief er seine Runden an der frischen Luft, zusätzlich zu den Trainingsstunden in seinem eigenen Fitnessraum bei sich zuhause, den er sich extra hat einrichten lassen. Ein riesiger Raum mit den modernsten Geräten in allen Variationen.“

      „Sie kennen das Haus des Toten? Waren Sie dort?“

      „Gerald hat mich vor Jahren gebeten, mich um sein Haus zu kümmern, wenn er im Urlaub oder beruflich unterwegs war. Sie müssen wissen, dass ich in Winhöring wohne, da ist ein kurzer Abstecher nach Töging für mich kein Problem. Natürlich habe ich das gerne gemacht und er hat mich immer großzügig dafür bezahlt, was nicht nötig gewesen wäre. Aber Gerald bestand auf eine Bezahlung. Seine Mutter wusste nichts davon und ich bitte Sie, es ihr nicht zu sagen.“ Sie druckste herum und man spürte, dass ihr noch etwas auf der Seele lag. „Ich gestehe lieber gleich, dass ich mich seit Geralds Tod um das Haus kümmere, bevor Sie es selbst herausfinden. Ich lüfte die Räume, sehe nach der Post und gieße die Pflanzen. Ich kümmerte mich nach der Beerdigung darum, dass die Mülltonnen geleert wurden und stellte sie wieder an ihren Platz. Natürlich habe ich alles Verderbliche längst entsorgt.“ Verschämt wandte sie den Blick zur Seite. Jetzt, wo sie ihre eigenen Worte hörte, merkte sie erst, wie dämlich sie sich verhalten hatte. Warum hatte sie das getan? Niemand hatte sie darum gebeten und es lag auf der Hand, dass das irgendwann herauskommen würde, schließlich hatten sie die Nachbarn bestimmt beobachtet. Und jetzt wusste es auch die Polizei. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Frau Haferstock davon erfuhr; das würde sie ihren Job kosten. Die alte Dame konnte sehr ungehalten reagieren, wenn hinter ihrem Rücken agiert wurde.

      „Wo ist die Post?“

      „Die habe ich auf Geralds Küchentisch gelegt. Ich habe nichts weggeworfen und niemals würde ich fremde Post öffnen. Ich wollte verhindern, dass der Briefkasten überquillt und dadurch Einbrecher angelockt werden, davon hört man immer wieder im Fernsehen. Bitte verraten Sie mich nicht. Frau Haferstock wird sehr böse, wenn sie davon erfährt. Könnte das bitte unter uns bleiben? Wäre das möglich? Ich bin auf diesen Job angewiesen!“

      Diese Frau Haferstock musste ja ein richtiges Monster sein, denn sowohl Leo, als auch Hans konnten die Angst in den Augen der Frau sehen. Leo winkte beschwichtigend ab.

      „Ich sehe eigentlich keinen Grund, Ihrer Chefin davon zu berichten. Ist Ihnen vor Herrn Haferstocks Tod oder danach irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Denken Sie in Ruhe darüber nach, jede Kleinigkeit könnte enorm wichtig sein.“

      „Nein, vor Geralds Tod ist mir nichts aufgefallen, alles war wie immer.“ Plötzlich stockte sie und runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, ob das wichtig ist, aber in Geralds Haus war tatsächlich etwas merkwürdig. Gerald war immer sehr sauber und ordentlich, man könnte ihn auch als pingelig bezeichnen. Nach seinem Tod habe ich Schmutz auf dem Küchenboden, der Arbeitsplatte und in der Spüle gefunden. Nicht viel, nur ein paar Krümel, aber trotzdem hätte Gerald das achtlos liegengelassen. Ich habe natürlich alles sauber gemacht.“

      Die beiden fuhren nun zur Halbschwester von Frau Haferstock, einer gewissen Angelika Wagenführ, die in Töging wohnte. Danach wollten sie zum Haus des Verstorbenen, das sich im gleichen Ort befand.

      „Das hier muss es sein,“ sagte Hans und blickte an der schmucklosen Hausfassade des 5-geschossigen Wohnblocks empor. Schon die Zufahrt zu der Wohnsiedlung war nicht sehr einladend. „Keine schöne Wohngegend. Wer hier wohnt, lebt nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens.“

      Auch Leo war vom Haus und der Umgebung nicht angetan und erinnerte ihn an die heruntergekommene Wohngegend in Mühldorf, wo sie in ihrem vorletzten Fall zu tun hatten.

      Sie suchten nach der richtigen Klingel, fanden sie rasch und mussten nur wenige Augenblicke warten, bis der Türöffner betätigt wurde. Zumindest der funktionierte noch. Das Treppenhaus war abgewohnt und schmuddelig. Die Wände waren teilweise verschmiert und vor dem dreckigen Fenster standen zwei vertrocknete Pflanzen inmitten einem Meer toter Fliegen. Dazu roch es im Treppenhaus nach verschiedenen Essensgerüchen, vermischt mit Zigarettenrauch.

      „Mit einem Eimer Farbe könnte man einiges machen,“ bemerkte Hans mit einem Kopfschütteln. Er verstand nicht, wie man mit diesen verschmierten, bemalten Wänden und diesem Dreck tagaus, tagein leben konnte. Er hätte längst einen Tag investiert und hätte die Wände gestrichen und gründlich sauber gemacht.

      Eine Frau Anfang 60 stand an der Wohnungstür und machte einen ordentlichen Eindruck. Die Kleidung war sauber, die Haare modern zurecht gemacht und die Fingernägel waren frisch manikürt.

      „Sie wünschen?“ fragte sie mit einem freundlichen Lächeln.

      „Kriminalpolizei Mühldorf. Mein Name ist Schwartz, das ist mein Kollege Hiebler. Wir hätten ein paar Fragen. Dürfen wir reinkommen?“

      „Kriminalpolizei? Ist etwas passiert?“ fragte sie erschrocken.

      „Aber nein, keine Sorge. Wir haben nur ein paar Fragen.“

      „Gott sei Dank! Ich dachte schon, es wäre einem meiner Kinder oder Enkel etwas zugestoßen. Kommen Sie herein, hier haben die Wände Ohren. Ich bin mir sicher, dass es längst die Runde macht, dass die Polizei bei mir ist. Jetzt werden die wildesten Gerüchte gestreut.“

      Sie führte die beiden in ein sauberes, helles Wohnzimmer, das zwar mit alten Möbeln bestückt, aber durchaus gemütlich war.

      „Wir sind hier wegen dem Tod Ihres Verwandten Gerald Haferstock.“

      „Verwandtschaft im eigentlichen Sinn ist das keine. Ich bin der Bastard der Familie Haferstock. Meine Mutter hatte ein außereheliches Verhältnis mit dem alten Karl