Irene Dorfner

Tödliche Vetternwirtschaft


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melden Sie sich. Hier ist die Telefonliste der letzten zwei Monate, Geralds Telefonate, die ein- und ausgehenden, habe ich grün markiert. Den Laptop haben Sie eingepackt?“

      Statt einer Antwort grinste Hans und zeigte auf den Laptop unter seinem Arm.

      „Dann bitte ich Sie, hier zu unterschrieben und den Empfang zu quittieren. Ich gehe davon aus, dass ich alles unversehrt und komplett wieder zurückbekomme?“

      „Selbstverständlich. Ich habe eben mit einem Herrn Huber gesprochen. Wer ist er?“

      „Christian Huber ist Geralds alter Schulfreund. Er besitzt in Mühldorf ein Hotel und hat kürzlich im österreichischen Braunau ein weiteres Hotel erworben, das Gerald umbauen sollte. Sie spielten ab und zu gemeinsam Golf und haben den letzten Urlaub zusammen verbracht. Mehr weiß ich nicht. Christian Huber hat nur das Nötigste mit mir gesprochen. Wenn er hier war, ging er immer direkt in Geralds Büro. Ein unsympathischer Typ, der mich nicht besonders mochte. Ich glaube, in seinen Vorstellungen haben Frauen in technischen Berufen nichts zu suchen, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Fakt ist, dass wir beide uns nicht besonders grün waren und uns aus dem Weg gegangen sind, obwohl zwischen uns nie etwas vorgefallen ist.“

      Sie bedankten sich bei Frau Winter und schleppten die Unterlagen bis zu ihrem Wagen, der zum Glück genau neben der Haustür parkte. Ihr nächster Weg führte sie nun zu Christian Huber nach Mühldorf.

      „Wo bleibt ihr denn?“ sagte Viktoria Untermaier ungeduldig, als sie Leo anrief. „Wastl und ich müssen uns hier mit trockenen, langweiligen Unterlagen herumplagen, während ihr euch an der frischen Luft vergnügt. Was habt ihr bisher rausgefunden? Gibt es überhaupt etwas von Interesse für die Kripo?“

      „Könnte sein. Zumindest haben wir jetzt schon zwei Personen angetroffen, die ebenfalls nicht an einen natürlichen Tod glauben. Zum einen die Haushälterin von Haferstocks Mutter, und zum anderen die Kollegin und Teilhaberin des Toten. Sie hat uns freundlicherweise die Unterlagen des letzten halben Jahres überlassen, an denen Haferstock gearbeitet hat. Wir haben auch eine Telefonliste der letzten zwei Monate und den Laptop des Verstorbenen überlassen bekommen, vielleicht finden wir etwas Relevantes. Wir fahren jetzt nach Mühldorf, um einen Freund des Verstorbenen aufzusuchen. Danach kommen wir ins Büro und nehmen uns die Unterlagen und den Laptop gemeinsam vor.“

      „Ich höre an deiner Stimme, dass du auch an ein Verbrechen glaubst.“

      „Allerdings.“

      „Und wie denkt Hans darüber?“

      „Keine Ahnung, frag ihn selbst.“

      Sie parkten vor dem Hotel Alpenblick, das von außen einen sehr gediegenen, ländlichen Eindruck machte. Schon allein der Name des Hotels war blanker Hohn, denn von den Alpen war weit und breit nichts zu sehen. Sie gingen zur Rezeption und Leo zählte rasch 48 Zimmer anhand der Zimmernummern an der Wand; die Hälfte der Schlüssel war nicht an ihrem Platz. Die junge, nicht sehr augengefällige Frau grüßte freundlich und strahlte sie mit ihrer Zahnspange an.

      „Ich begrüße Sie herzlich in unserem Hotel Alpenblick. Was kann ich für Sie tun?“ lispelte sie. Auf ihrem Namenschild, das schief an ihrem schlecht sitzenden Dirndl angebracht war, stand der Name Margit.

      „Mein Name ist Schwartz, das ist mein Kollege Hiebler. Wir möchten Herrn Huber sprechen. Wir haben uns telefonisch angekündigt, er erwartet uns.“

      „Ja, mein Vater hat mir schon gesagt, dass die Polizei vorbeikommt. Wenn Sie mir bitte folgen würden?“ Dieser durch die Zahnspange verursachte Sprachfehler war irgendwie gruselig. Zumindest wussten die beiden jetzt, warum diese junge Frau trotz ihres Aussehens und ihrer fürchterlichen Aussprache an der Rezeption eingesetzt wurde: Sie war die Tochter des Chefs. Die Begrüßung von Christian Huber war kühl und oberflächlich, er machte deutlich, dass er sehr beschäftigt war und keine große Lust hatte, sich länger als nötig mit den Polizisten zu unterhalten.

      „Ich kenne Gerald schon aus Kindertagen. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, waren damals aber nicht befreundet. Geralds Eltern wollten das nicht. Ich, besser gesagt mein Elternhaus, war ihnen zu gewöhnlich. Vor einigen Jahren stand ich auf dem Golfplatz plötzlich Gerald gegenüber und es war fast so, als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben. Wir haben uns sofort blendend verstanden und seitdem trafen wir uns regelmäßig. Wir waren richtig gute Freunde geworden. Es ist sehr bedauerlich, dass er so früh sterben musste. Er hinterlässt eine große Lücke in meinem Leben.“

      Das war zwar warmherzig gemeint, kam aber relativ kühl und sachlich rüber. Während er sprach, sah er fortwährend auf die Uhr, er schien sehr in Eile zu sein. Oder lag es nur daran, dass er nichts mit der Polizei zu tun haben wollte?

      „Sie haben auch beruflich mit Herrn Haferstock verkehrt?“

      „Selbstverständlich. Gerald war ein Ass auf seinem Gebiet. Jeder, der mit ihm zusammengearbeitet hat, singt nur Lobeshymnen auf ihn. Er war immer korrekt und zuverlässig, und darüber hinaus wahnsinnig kreativ. Aber wenn ihm etwas gegen den Strich ging, Termine von Handwerksfirmen nicht eingehalten wurden oder er angelogen wurde, dann konnte er auch ganz anders werden, dann verstand er keinen Spaß mehr. Aber im Großen und Ganzen war er eine Seele von Mensch. Ich habe vor einigen Monaten ein altes Hotel in Braunau gekauft und ihn mit der Modernisierung betraut, die Arbeiten hätten diese Woche beginnen sollen.“

      „Kurz vor seinem Tod hat er zwei Mal mit Ihnen telefoniert. Wobei ging es in den Gesprächen?“

      „Tatsächlich? Ich kann mich nicht daran erinnern. Wann soll das gewesen sein?“

      „Am Abend vor seinem Tod. Genau gesagt am 18. März.“

      „Er hat mich angerufen? Das kann nicht sein! Ich war zu der Zeit überhaupt nicht im Haus, geschweige denn in Mühldorf.“ Er blätterte in seinem Terminkalender. „Richtig. Ich war in Wien bei einem Kongress und Gerald wusste doch davon. Ich hab es ihm ganz sicher gesagt. Sie müssen sich irren, ich habe vor Geralds Tod nicht mit ihm gesprochen. Nach meiner Rückkehr aus Wien hat mich sein Tod vollkommen überrannt, die Beerdigung fand noch am selben Nachmittag statt und ich musste mich beeilen, sonst hätte ich die noch verpasst. Ich bin mir ganz sicher: In der Woche, als Gerald starb, war ich in Wien und habe nicht mit ihm telefoniert.“

      „Denken Sie nochmals in Ruhe darüber nach und melden Sie sich bei uns, wenn Ihnen dazu etwas einfällt. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.“

      „Hast du gemerkt, dass Huber diese Information vollkommen aus der Bahn geworfen hat? Er hat nicht mehr auf die Uhr gesehen. Er hat uns nicht einmal gefragt, warum wir wegen Haferstocks Tod mit ihm sprechen wollten. Das war nicht gespielt, Huber weiß nichts von den Telefongesprächen!“

      „Genau das denke ich auch. Vor allem würde mich interessieren, warum Haferstock zwei Mal bei Huber anruft, wenn er doch weiß, dass der in Wien ist. Mit wem hat er gesprochen? Da stimmt etwas nicht. Wir sollten uns umgehend den Laptop, die Unterlagen und die Telefonliste vornehmen. Ich gehe stark davon aus, dass mit dem Tod von Gerald Haferstock tatsächlich etwas nicht stimmt.“

      „Vorhin noch dachte ich, dass das verschissene Zeit ist, aber jetzt denke ich anders.“ Hans konnte spüren, dass hier etwas nicht ganz koscher war und seine Neugier war geweckt. Puzzleteile zusammenzusetzen, bis dann eine komplette Geschichte daraus wird, liebte er sehr. Und die ersten Puzzleteile lagen auf dem Tisch. Er war neugierig, was noch alles an die Oberfläche geschwemmt werden würde.

      3.

      Leo und Hans hatten nach ihrer Rückkehr den Kollegen ausführlich berichtet und überzeugend dargelegt, dass sie dringend in diesem Fall ermitteln sollten, obwohl Viktoria immer noch dagegen war. Aber sie hielt sich mit Gegenwind zurück, denn diese Ermittlungen waren weit angenehmer als die Prüfung der uralten Fälle, die sie endlos langweilten und die sie den letzten Nerv kosteten.

      Wastl übernahm Haferstocks Laptop, was sehr ulkig aussah. Der riesige, korpulente Mann mit den dicken Wurstfingern hackte gekonnt auf der Tastatur des Laptops, wobei er mit dem Gesicht fast direkt vor dem