Irene Dorfner

Tödliche Vetternwirtschaft


Скачать книгу

Und um das Bild abzurunden, trug er grobstollige, bequeme Schuhe, die fast aussahen wie Wanderschuhe. Wastl, also Sebastian Kranzbichler war nur zur Vertretung von Werner Grössert in Mühldorf und arbeitete sonst in Traunstein. Der 30-jährige Polizist hatte ein sonniges Gemüt und immer Hunger. Alle mochten ihn und während seines Aufenthalts bei der Mühldorfer Polizei wohnte er bei Hans Hiebler, der dessen Gesellschaft sehr genoss. Es dauerte noch, bis Werner Grössert wieder zum Dienst erscheinen konnte, denn dessen Frau ging es nach der Geburt ihres ersten Kindes zwar wieder etwas besser, aber Werner wich nicht von ihrer Seite und kümmerte sich um das Baby. Also musste, oder durfte, Wastl Kranzbichler noch bleiben, bis Werner Grössert wieder zum Dienst erschien.

      Leo und Hans arbeiteten sich durch die vielen Akten des Architekturbüros, während Viktoria die Telefonliste und die Überprüfung des Aufenthalts von Christian Huber in Wien übernahm.

      „Darf ich kurz stören?“ frage Krohmer, als er ins Büro der Mordkommission trat. „Haben Sie etwas Interessantes herausgefunden? Gibt es Anhaltspunkte für ein

      Gewaltverbrechen?“

      „Wir sind noch nicht so weit Chef. Leo und Hans vermuten, dass mit dem Tod dieses Haferstocks tatsächlich etwas nicht stimmen könnte. Ich bin noch nicht ganz überzeugt. Wir arbeiten uns gerade durch jede Menge Informationen, heute Nachmittag wissen wir mehr.“

      Krohmer strahlte, dann war sein Anliegen doch nicht ganz umsonst. Zumindest zwei seiner Beamten waren auf seiner Seite.

      „Was halten Sie von einer Besprechung um 17.00 Uhr?“

      „Bis dahin dürften wir durch sein.“

      „Dann störe ich nicht weiter. Wenn Sie erlauben, lasse ich Ihnen etwas zum Mittagessen zusammenstellen und in Ihr Büro bringen. Nicht, dass Sie meinetwegen noch hungern müssen.“

      „Gerne Herr Krohmer,“ rief Wastl. „Sparen Sie nicht mit der Menge, ich habe einen Riesenhunger.“

      Krohmer lachte und ging wieder.

      „Der hat aber ein ganz schön schlechtes Gewissen,“ murmelte Viktoria, die nachvollziehen konnte, dass sich der Chef mit seinem Anliegen weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Was, wenn an der Sache nichts dran war und der Staatsanwalt Wind von den Ermittlungen bekommen sollte? So, wie die beiden momentan zueinander standen, wäre es durchaus denkbar, dass der Staatsanwalt das Innenministerium einschalten würde. Krohmer brauchte entweder rasch einen Beweis für ein Gewaltverbrechen, oder ein Ende der Ermittlungen.

      Hans und Leo sagten kein Wort, sie hatten nur am Rande mitbekommen, dass Krohmer im Büro war. Sie hatten auf Leos Schreibtisch die verschiedenen Projekte ausgebreitet und auf einer Flipchart ein Diagramm erstellt, sonst hätten sie den Überblick längst verloren. Auch das Essen, das nach einer halben Stunde geliefert wurde, rührten sie kaum an, dafür hatten sie keine Zeit. Wastl und Viktoria machten gerne eine Pause. Viktoria war mit ihrer Arbeit fast fertig und auch Wastl kam sehr gut voran.

      „Und? Was denkst du?“

      „Das sage ich dir später bei der Besprechung, lass dich überraschen.“ Viktoria war tatsächlich fündig geworden. Anfangs hatte sie vermutet, dass die Recherche reine Zeitverschwendung war, aber nun dachte sie anders. Wastl verstand die Geheimnistuerei nicht, denn er hatte nicht den kleinsten Hinweis finden können, der untermauerte, dass Gerald Haferstock keines natürlichen Todes gestorben war. Aber was soll‘s? Er konnte gerne warten. Und nachdem Leo und Hans an dem Essen immer noch kein Interesse zeigten, griff er ohne Hemmungen zu.

      Krohmer saß den ganzen Nachmittag wie auf Kohlen und konnte es kaum erwarten, bis er endlich erfahren würde, was die Kollegen herausbekommen hatten. Seine Bekannte Susanne Bruckmayer hatte heute bereits mehrfach angerufen, aber er konnte ihr noch nichts sagen, er wusste ja selbst noch nichts. Susanne nervte immer mehr und er hatte es längst bereut, dass er sich von ihr hat überreden lassen, der Sache nachzugehen. Was, wenn überhaupt nichts dran war? Wenn sie hier nur unnötig Zeit vertrödelten und dabei auch noch jede Menge Steuergelder verschwendeten? Wie soll er das dem Innenministerium und vor allem diesem aufgeblasenen Staatsanwalt gegenüber rechtfertigen? Der Staatsanwalt hatte ihn seit dem letzten Zusammentreffen auf dem Kieker. Die Unterhaltung, die sie zusammen mit dem Mühldorfer Bürgermeister geführt hatten, artete in ein handfestes Streitgespräch aus, aus dem Krohmer als Sieger hervorging. Er hatte einfach die besseren Argumente und blieb sachlich, ganz im Gegensatz zum Staatsanwalt, der auch aufgrund des gestiegenen Alkoholkonsums vollkommen ausgerastet war und sich ordentlich blamiert hatte. Krohmer wusste nicht einmal mehr, um was es eigentlich genau ging, aber der Staatsanwalt nahm ihm übel, dass er ihn so gereizt und aus der Reserve gelockt hatte. Hatte Krohmer das wirklich getan? Nein, der Staatsanwalt war es nur gewöhnt, dass man ihm immer Recht gab und ihm in den Hintern kroch. Aber nun war er durch die Ermittlungen, die seine Leute führten, in der Zwickmühle und er hoffte darauf, dass es wirklich einen Mordfall gab. Susanne hatte so überzeugend geklungen. Er hatte die nervige Susanne auf den späten Abend vertröstet, was nicht leicht war, denn Geduld war nicht gerade ihre Stärke.

      Endlich war es so weit und er war als erster im Besprechungszimmer. Er hatte den Leiter der Spurensicherung Friedrich Fuchs dazu gebeten, obwohl es dafür noch keinen Grund gab. Fuchs war wie immer mürrisch und einsilbig, als beide auf die anderen warteten. Die Tür ging auf und Frau Gutbrod, Krohmers Sekretärin, brachte Kaffee und Kekse. Was war hier los? Warum wurde diese Besprechung zu der ungewöhnlichen Zeit einberufen? Sie wusste ganz sicher, dass kein neuer Mordfall vorlag. Eigentlich wollte sie mit ihrer Nichte Karin zum Shoppen, aber das hatte sie natürlich sofort abgesagt. Sie wollte hierbleiben und herausfinden, was es Dringendes gab. Das spitzenbesetzte graue Kleid glitzerte in der Abendsonne und die vielen Armringe klimperten laut gegeneinander, als sie sich setzte. Frau Gutbrod war 62 Jahre alt und war eigentlich nur noch wenige Wochen von ihrem Renteneintritt entfernt, was sie sich nicht eingestehen wollte und wogegen sie mit Gewalt arbeitete. Sie kleidete sich nicht nur wie eine 20-jährige und achtete mit viel Disziplin auf ihre schlanke Figur, sondern färbte fast wöchentlich die grauen Haaransätze nach, ließ sich regelmäßig die Falten unterspritzen und trug seit Jahren falsche Fingernägel in den verrücktesten Variationen. Das Make-up wurde von Jahr zu Jahr dicker und auffälliger, die Röcke und Kleider immer kürzer, und die Schuhe dafür umso höher. Hilde Gutbrod wollte nicht alt werden und dachte nicht im Traum daran, jetzt schon in Rente zu gehen. Sie rechnete mit der unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass diese Tatsache niemandem auffällt und sie noch weitere Jahre hier arbeiten durfte. Was sollte sie sonst machen? Sie hatte nie geheiratet und auch nie Kinder bekommen. Lange Zeit schob sie dieses Vorhaben vor sich her, hatte Männern gegenüber immer höhere Ansprüche; eigentlich fand sie immer etwas, was ihr nicht passte. Und irgendwann war es zu spät für eine Familie. Gleichaltrige Freundinnen waren ihr viel zu alt. Außerdem hatte sie keine Freundinnen, mit anderen Frauen außer ihrer Nichte kam sie nicht klar. Sie verbrachte ihre wenige Freizeit mit ihrer Nichte Karin. Aber die musste arbeiten. Sollte sie sich ein Hobby suchen, nur um nicht allein zu sein und irgendwie die Zeit totzuschlagen? Nein, das kam überhaupt nicht in Frage. Ihr Lebensinhalt war ihre Arbeit.

      Der 38-jährige Friedrich Fuchs stöhnte hörbar mehrfach auf und saß mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl. Krohmer versuchte, ein Gespräch mit ihm zu führen, was aber nicht möglich war. Fuchs bockte und war sauer, dass er hier seine Zeit vertrödelte und nicht wusste, was er hier eigentlich sollte. Es war schon viertel nach fünf, als die anderen endlich auftauchten. Krohmer atmete erleichtert auf.

      „Schön, dass Sie hier sind, wir haben Sie schon sehnsüchtig erwartet. Setzen Sie sich und berichten Sie, was Sie herausgefunden haben.“

      „Ich habe mir den Laptop des Verstorbenen vorgenommen,“ begann Wastl Kranzbichler. „Leider habe ich nichts gefunden, was für einen eventuellen Fall relevant wäre. Sorry.“

      Das Lächeln war aus Krohmers Gesicht verschwunden und er sah Viktoria voller Erwartung an.

      „Ich habe einige Informationen, die sehr interessant sein könnten. Die Mitarbeiterin des Verstorbenen hat uns freundlicherweise die Telefonliste überlassen und die letzten beiden Gespräche wurden mit einem Christian Huber in Mühldorf geführt. Ich habe das Alibi des Mühldorfer Hoteliers überprüft und seine Aussage stimmt, er war