Dagmar Isabell Schmidbauer

Dann stirb doch selber


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die das Ziel hatte, Jugendliche von der Straße zu bekommen und sie wieder für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Auch eine Form von Jugendkriminalitäts-Bekämpfung!

      18. Szene

      Magdalena

      Hinter mir fiel die Tür ins Schloss, ich war erleichtert. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Soviel Beileidsbekundungen, soviel Rücksichtnahme, soviel Getuschel hinter meinem Rücken! Ich streifte die Schuhe von den Füßen, legte Schlüssel und Handtasche weg und sehnte mich nach einem entspannenden Bad. Doch dann fiel mein Blick auf den dick wattierten Umschlag, der allein im Briefkasten gelegen hatte. Er war an Harry Persönlich adressiert und trug keinen Absender. Die Schrift kam mir irgendwie bekannt vor, darum nahm ich ihn mit nach oben. Ein Fehler, wie sich bald herausstellte.

      Mit spitzen Fingern besah ich ihn von allen Seiten. Er war hellbraun, und außer dem Hinweis Harry Persönlich, konnte ich nichts Ungewöhnliches entdecken. Wer hatte ihn geschickt? Kein Absender, also wer? Ich verschob mein Bad und kochte erst einmal Kaffee. Wie wichtig musste der Inhalt sein, um den Absender seine Adresse vergessen zu lassen, und stattdessen „Persönlich“ darauf zu schreiben?

      Mit der Tasse in der Hand setzte ich mich an den Esstisch und trank. Der Klebestreifen ließ sich leicht öffnen und gleich darauf schob ich meine Hand durch den geöffneten Schlitz, konnte aber außer der genoppten Plastikfolie nichts ertasten. Komisch, dachte ich und warf einen Blick hinein. Leer!

      „Was soll das?“, fragte ich laut, drehte den Umschlag herum und heraus fiel ein Schlüssel. Anscheinend hatte er sich irgendwo am Boden festgeklammert, hatte vielleicht gespürt, dass ich nicht autorisiert war, weil ich nicht Harry Persönlich war. Beeindruckt von soviel Willen, drehte ich den Schlüssel hin und her, überlegte, wohin er gehören könnte, und zerlegte den Briefumschlag in seine einzelnen Schichten, um vielleicht dort irgendeinen Hinweis zu bekommen. Aber außer recyclingfähigen Einzelteilen fand ich nichts.

      Enttäuscht nahm ich die Zeitung zur Hand und blätterte sie durch. Auf der vorletzten Seite fand ich eine riesige Todesanzeige mit schwarzem Rand und Harrys Namen in großen Lettern. Seine ganze Familie nahm tränenreich Abschied, selbst mich hatten sie in ihre kollektive Trauer mit einbezogen. Sie baten darum, von Beileidsbezichtigungen am Grab Abstand zu nehmen. Ich war gerührt und beschloss, Harrys Mutter anzurufen.

      Es wäre eine gute Möglichkeit gewesen, den Abend zu beschließen, aber irgendwie ging mir der Schlüssel nicht aus dem Kopf. Ich klaubte den zerlegten Umschlag noch einmal aus dem Müll und versuchte den Poststempel zu entziffern. Der Ort war ziemlich verschmiert, aber der Datumsstempel zeigte eindeutig den sechzehnten August an, der Tag, an dem Harry mich für immer verlassen hatte.

      19. Szene

      Magdalena

      Dieser merkwürdige Zufall beschäftigte meinen Kopf noch immer, als es an der Tür klingelte. Ich öffnete, und vor mir stand die Kommissarin. Höflich bat ich sie herein; die Wohnung war aufgeräumt und der Kaffee noch heiß. Zum Glück hatte ich mich noch nicht umgezogen. In meinem Kostüm fühlte ich mich ihr gleich viel besser gewachsen. Sie wirkte zielstrebig und sicher, aber vor allem ungewöhnlich frisch, wie nach einem Frühstück im Bett mit anschließender Wechseldusche. Mir schien, sie hatte sich auf diesen Besuch gut vorbereitet!

      Sofort kam sie zur Sache, wollte ohne Einleitung von mir wissen, ob mir denn nun eingefallen sei, wo Harry an seinem Todestag hin wollte. Ich schaute sie äußerst kritisch an. Hielt sie mich für blöd? Wenn ich nicht wusste, wo er hin wollte, dann wusste ich es nicht! Schließlich war ich nicht sein Kindermädchen und somit auch nicht über jeden seiner Schritte informiert. Endlich zeigte sie sich einsichtig.

      „Dann wissen Sie sicher auch nicht, ob er vielleicht eine blonde Frau mitgenommen hat.“ Sie gab mir Zeit zum Nachdenken. „Wir haben blonde Haare in seinem Auto gefunden“, fügte sie schließlich erklärend hinzu und musterte meine mangogesträhnte Frisur.

      Mit meinem freundlichsten Lächeln sah ich sie an. Er hatte eine blonde Frau dabei, ja, aber ich würde den Teufel tun und es ihr erzählen. Das ging sie nämlich nichts an! Außerdem fand ich ihre Art, wie sie von Harry sprach, ohnehin unerträglich.

      Sie nickte langsam und erhob sich, dabei warf sie einen sehnsüchtigen Blick auf den Tigersessel. „Naja, ich dachte es mir fast! Haben Sie vielen Dank.“

      Nachdem die Kommissarin wieder weg war, setzte ich mich in den Sessel und dachte nach. Sie zog sich gut an, schminkte sich, wirkte gepflegt. Bis auf die Fältchen um die Oberlippe und an den Augenwinkeln sah sie jung aus, trotzdem wirkte sie abgebrüht und alt. Sicher war es nicht leicht, jeden Tag mit dem Tod konfrontiert zu sein und sicher war das ständige Fragen und auf Antworten warten auch nicht einfach, deshalb hatte sie aber noch lange kein Recht, mich zu quälen!

      Schlimm genug, dass Harry tot war, aber mussten mich alle immer an die blonde Frau auf dem Beifahrersitz erinnern? Als ob Blondsein etwas Besonderes wäre. Harry liebte mich so, wie ich war. Hätte er mich blond gewollt, hätte er es gesagt. Ich holte mir eine weitere Tasse lauwarmen Kaffee. Zum Glück hatte sie nicht auch noch Bilder von blonden Frauen dabei. War es diese oder diese? Wir haben Haare in seinem Auto gefunden, darf ich mal aufs Laken schauen, vielleicht sind da ja auch welche.

      „Niemals!“, schrie ich, stand auf und zog das Bett ab. Niemand sollte Gelegenheit zum Schnüffeln haben - sie nicht und ich selbst nicht. Als ich fertig war, suchte ich im Fotoalbum ein Bild, auf dem Harry so unverwechselbar selbstbewusst in die Kamera lächelte. Zusammen mit der letzten erblühten Rose aus dem Bad stellte ich ihn auf den Kamin. Jeder, der zur Tür hereinkam, sollte sofort sehen: Harry gehört mir!

      Dienstag 20.8.

      20. Szene

      Klara

      Der Wecker hatte noch nicht geklingelt, aber ich lag schon lange wach. Als es sechs war, stand ich auf, öffnete das Fenster und drückte auf die Play-Taste.

       Quedamos para esta tarde? Treffen wir uns heute Abend?

      „Ke´damos ´para esta ´tarde?“, wiederholte ich brav. Vielleicht sollte ich sie wirklich noch einmal besuchen und befragen, bis sie den Mund aufmacht.

       Si, muy bien. Ja gerne.

      „Si, mui bjen!“ Obwohl ihr Schweigen ja auch einiges hergab.

       Lo siento, pero ya he quedado. Ich habe schon etwas vor.

      „Lo´sjento,´pero ja e ke´dado.“ Von wegen „große Liebe“, der hatte sie nach Strich und Faden betrogen, sie will es nicht wahrhaben und keiner öffnet ihr die Augen. Aber ich, ich werde ihr helfen. In ein paar Tagen hat sie einen lückenlosen Lebenslauf von ihrem Liebsten. Dann wird sie verstehen, seine Sachen packen und sich sagen: War nichts, futsch, aus und vorbei.

      Cenamos juntos esta noche? Wollen wir heute Abend zusammen essen?

      „Ce´namos ´chuntos esta ´notsche?“

      Ja, so ist das mit den Männern. Du denkst, du hast den Richtigen gefunden, einen, der dir auf ewig dankbar ist, weil du ihn so nett in dir aufgenommen hast, und was macht er, macht die Fliege mit einer anderen und verhöhnt dich auch noch.

      Déjeme en paz! Ich hab schon etwas vor.

      „Decheme em pas!“

      Dabei hat es Magdalena noch richtig gut, weil es ihn erwischt hat. Sonst haben ja eher die Frauen diesen Part. Ich öffnete den quietschenden Kleiderschrank.

       Lárgate! Verschwinde!

      Ah, das gefällt mir. „´Largate! ´Largate! ´Largate!“ Ich ließ das Wort auf meiner Zunge tanzen und suchte mir eine leichte Hose und ein Shirt. Das war ein Wort, das ich mir unbedingt merken musste. ´Largate - Verschwinde - piss off! Decheme em pas! Magdalena hatte es gar nicht so schlecht getroffen, sie war noch jung, sie konnte sich wenigstens sagen: Auch andere Mütter