Dagmar Isabell Schmidbauer

Dann stirb doch selber


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Also wusste er es doch!

      „Wir werden den Fall zu den Akten legen, dann kommen die Angehörigen wenigstens zur Ruhe.“

      Obermüller setzte sich auf meinen Besucherstuhl. „Ist das Cappuccino in der Dose!“

      „Stell dir vor!“

      „Ob du mir wohl einen machst? Ich bin ziemlich am Ende, war kein schöner Anblick. Ich glaube, bei dem Jungen war kein einziger Knochen mehr heil.“ Ich stand auf - ausnahmsweise!

      „Er hatte noch nicht einmal die Spur einer Chance!“

      „Glaubst du denn, Harry Kaufmann hatte eine Chance?“ Ich rührte in der Tasse und stellte sie ihm auf den kleinen Tisch neben dem Stuhl. „Ich meine, wer hat denn überhaupt eine Chance, wenn es so schlimm kracht!“

      Obermüller trank langsam. „Na ja, er hätte zumindest bremsen können, aber der Junge, der war schon platt, bevor er begriff, was eigentlich los war!“

      Nachdenklich blieb ich neben dem Wasserkocher stehen. Das stimmte natürlich, bremsen hätte er können. Er schien doch sonst so raffiniert zu sein.

      25. Szene

      Magdalena

      In meinem Briefkasten lagen etliche Briefe. Man schrieb mir von Hoffnung und Gnade und wünschte mir ein schnelles Vergessen. Wollte ich das? Ich las und legte sie achtlos beiseite, als einer meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er stammte vom Auktionshaus Franziskus in München. Harry und ich waren vor einem Jahr dort gewesen, um an einer Versteigerung teilzunehmen. Harry schwärmte von alten Waffen und hatte schon eine kleine Sammlung im Tresor, und auch für mich war es ein unvergessliches Erlebnis. Vor der Versteigerung hatten wir alte Vorderlader, Steinschlossflinten, Schwarzpulverflaschen, antike Messer, angerostete Degen, an denen noch das Blut vergangener Duelle zu kleben schien, Pistolen und Revolver, Schilde und sogar ein paar echte Ritterrüstungen besichtigt. Ich faltete das Blatt auseinander und wunderte mich!

      Harry wollte sich von seinen Waffen trennen, so stand es da schwarz auf weiß. Warum? Ich meine, klar, nun konnte er sie ja nicht mehr gebrauchen, es gibt keine Taschen im letzten Hemd, aber laut Brief hatte er sie bereits vor Wochen persönlich hingebracht, und das war mehr als merkwürdig. Die Veranstaltung sollte am Mittwoch, den 28. August stattfinden. Nächste Woche.

      Einer Eingebung folgend ging ich ins Schlafzimmer, öffnete den Tresor und sah, dass er tatsächlich leer war. Der Brief fiel aus meinen Händen, auch mein geliebter Schmuck war weg. Ein Rubinarmband, das ich von meiner Großmutter geerbt hatte, und eine schlichte goldene Kette, ein Geschenk meines Vaters zum 13. Geburtstag. Meine Mutter hatte sich damals furchtbar aufgeregt, weil mein Vater mir ein so teures Geschenk machte. Sie war der Meinung, ich könne es gar nicht richtig einschätzen. Aber da hatte sie sich geirrt. Außerdem war es die letzte Erinnerung an meinen Vater, danach löste er sich in Nebel auf.

      Ich bückte mich und las den Brief noch einmal Zeile für Zeile. Nein, mein Schmuck wurde mit keiner Silbe erwähnt. Also begann ich zu suchen. In unserer Wohnung gab es viele Plätze, an denen sich ein Schmuckkästchen abstellen ließ. Ich musste logisch vorgehen. Durcheinander war ich nur wegen den Waffen. Warum wollte Harry sie hergeben? Er hatte sie geliebt!

      Seine Firma war eine tolle Sache. Nachdem er die Regensburger Firma Top Ten verlassen hatte, hätte ich nie geglaubt, dass sie einmal so gut gehen würde. Ich stand vor dem großen Esstisch und schaute auf die massive Platte aus dunklem Nussholz. Hier hatte er auf seinem Notebook die Programme geschrieben, hatte mit verschiedenen Firmen telefoniert und sie beworben, bis er endlich den ersten Auftrag in der Tasche hatte. Den ersten eigenen Auftrag! Und dann war alles ganz schnell gegangen, zu schnell, denn jetzt brauchte er Leute, die ihm halfen. Die Blonde – ja, auch wenn sie blond war, er brauchte sie, sonst hätte er sich kaputt gemacht!

      Während ich sämtliche Pullover zur Seite schob, unter jeden Stapel und in jede Jackentasche fasste, gewissenhaft meine Strümpfe aus- und wieder einräumte, in jeder Handtasche nachschaute und sogar hinter den Fernsehschrank kroch, dachte ich voller Mitgefühl an Harry. Er hatte sich so in seine Arbeit hinein gekniet, war allem Anschein nach sogar bereit, seine Waffen zu verkaufen, nur um sein Ziel zu erreichen, wollte hoch und noch höher steigen. „Software ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken, und je dümmer die Benutzer sind, desto intelligenter muss das Programm sein!“

      Gern hörte ich Harry zu, wenn er erzählte und auch jetzt hätte ich viel darum gegeben, wenn er mir hätte sagen können, wo mein Schmuck geblieben war. Weder zwischen dem Geschirr noch in einem der Töpfe oder der Besteckschublade wurde ich fündig.

      Resigniert setzte ich mich in einen Sessel und schloss für lange Zeit die Augen. Der strahlende Tag war einer wolkenlosen Nacht gewichen und mein Magen machte sich angesichts heftiger Vernachlässigung drauf und dran auszuwandern. Mühsam stand ich auf und öffnete den Kühlschrank. Doch nichts von dem, was ich sah, konnte mich wirklich reizen. Immerhin war der Hunger ein tatsächlicher Schmerz, und dann dachte ich doch wieder an Harry, er hatte es hinter sich. Mein Mitgefühl galt mir. Es troff aus allen Nähten und die Versuchung, mit Harrys Pulli im Arm einfach loszuheulen, war groß! Nur satt machte es nicht.

      Mittwoch 21.8.

      26. Szene

      Magdalena

      Der nächste Morgen war drückend. Mein Nachthemd klebte unangenehm an meinem Körper und fühlte sich an, als ob ich durch einen Regenguss gelaufen wäre. Ich zitterte und fror trotz sommerlichen Wetters und hing noch immer in meinem letzten Traum fest, dessen Botschaft ich verzweifelt zu verstehen versuchte. Harry hatte mich hintergangen!

      Durch die Vorhänge sah ich das erste Licht des Tages. Es ist alles gut, es ist alles gut! Unbewusst lullte ich mich mit dieser monotonen Phrase ein. Ich zog mein Nachthemd über den Kopf, warf es zu Harrys Kratzbürste und wendete die Decke.

      Um acht rief ich in der Firma an und meldete mich krank. Jeder hätte vermutlich Verständnis für meinen Wunsch nach Ruhe gehabt, nur Jutta nicht. Sie bestand darauf, sofort vorbeizukommen und mich ein wenig zu bemuttern. Im ersten Moment sah ich lauter okkulte Auswüchse durch meine Wohnung tanzen, doch dann fühlte ich mich durch ihren Besuch wenigstens dazu gezwungen, nicht andauernd Trübsal zu blasen. Ich stellte mich unter die Dusche, erst heiß, dann kalt, und holte meinen Körper ins Leben zurück.

      Noch bevor Jutta klingelte, war der Kaffee fertig. Wir tranken und redeten, über unseren schönen Chef und seine Launen, und darüber, dass er, wie Jutta glaubte, vielleicht etwas mit einem der Mädchen hätte.

      Hellhörig schaute ich auf. „Stella?“, fragte ich, ohne zu überlegen, weil sie eigentlich die einzige war, der ich so etwas zutrauen würde.

      „Stella?“ Jutta grübelte. „Nein, das glaub ich nicht, obwohl ich von Anfang an wusste, dass Stella nichts als Ärger machen würde!“

      Jutta und ihre Befürchtungen. Ich schenkte uns eine zweite Tasse Kaffee ein und schaute sie abwartend an.

      „Wie kommst du darauf? Gefällt dir ihre Nase nicht?“

      „Ach was“, brummte Jutta, „sie ist die dreizehnte in unserer Abteilung und das bringt nun mal Unglück.

      „Jutta, das ist doch Blödsinn!“

      Aber so leicht ließ sich Jutta nicht von ihrer Behauptung abbringen. Über den Rand ihrer Brille hinweg sah sie mich ernst und weise an. „Immerhin gab es viele berühmte Männer, die daran glaubten. Napoleon zum Beispiel, zog an einem Dreizehnten in keine Schlacht, und Bismarck unterzeichnete keinen Vertrag, und Heinz Wirtmeir hätte gut daran getan, diese Stella nicht einzustellen, sie ist sein Verderben!“

      Stella war ein Problem, weil sie alles hatte. Tolle Haare, ein liebliches Gesicht mit einer Nase wie aus Meissner Porzellan, eine schöne Haut und vor allem eine tolle Figur! Nur war unser Chef viel zu gerissen, sich an eine wie Stella heranzumachen. Die wäre im Stande und würde sich bei seiner Frau beschweren, weil die Knöpfe an seinen Hemden zu groß sind und sie sich immer