Dagmar Isabell Schmidbauer

Dann stirb doch selber


Скачать книгу

ich das Firmengelände erreichte, kam mir Sepp entgegen. Er war unser Hausmeister.

      „Es tut mir ja so leid, Magdalena! Und ich wollte Ihnen nur sagen, wenn Sie mal Hilfe brauchen, bin ich immer für Sie da!“ Ein wenig linkisch reichte er mir die Hand. Ja, sagte ich in Gedanken, mir tut es auch sehr leid.

      Tapfer öffnete ich die große Glastür und ging an den Vitrinen mit den Ausstellungsstücken aus der Produktion vorbei. Sie waren neu gestaltet und erinnerten mich an futuristische Handschellen, was sie aber sicher nicht waren.

      Am Empfangsschalter saß Jutta Ackermann. Sie schien sehr beschäftigt, und das war mir nur recht. Vielleicht konnte ich mich ungesehen in mein Büro schleichen, vielleicht ... sie sah auf, strich ihre Haare hinter die Ohren und lächelte aufmunternd.

      „Magdalena, wie schön! Ich hab dem Chef gleich gesagt: Du lässt uns nicht im Stich.“ Sie kam um den Tresen herum und drückte mich kurz an ihre mütterliche Brust.

      „Ach weißt du, daheim halte ich es nicht aus, alles erinnert mich an Harry.“ Noch einmal drückte Jutta fest zu.

      „O ja, das kann ich gut verstehen.“ Mitfühlend schaute sie mich an. „Es ist alles so furchtbar, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Wieder drückte sie mich an ihr großes Herz, und mir blieb nichts anderes übrig, als hilflos mit den Schultern zu zucken.

      Jutta ließ mich los und hielt lediglich meine Hände noch in den ihren. Mir war zum Heulen.

      „Wie konnte so was nur passieren?“

      Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. „Ich weiß es nicht“, hauchte ich, und dann riss ich mich hastig von ihr und diesem Gespräch los, nuschelte eine Entschuldigung, lief kopflos in mein Zimmer, schlug die Tür hinter mir zu und lehnte mich von innen mehrere Minuten lang dagegen. Wie konnte so was passieren? Sie suchen einen dunkelgrünen Sportwagen, hatte die Kommissarin gesagt. Ich stieß mich von der Tür ab und schaute aus dem Fenster auf den Firmenparkplatz. Dort gab es keinen dunkelgrünen Sportwagen. Ich griff nach der Messinggießkanne, um die Blumen auf dem Fensterbrett zu gießen und mich abzulenken. Mein Arbeitstag hatte begonnen. Ich holte den Schlüssel für meinen Schreibtisch aus der Tasche, öffnete meine Kostümjacke und setzte mich hin. Vornüber gebeugt verstaute ich meine Handtasche in der untersten Schublade. Während ich ein paar Notizen von der vergangenen Woche sortierte, begann mein Kopf wieder frei zu werden.

      Arbeit, Müßigkeit und Ruh schließt dem Arzt die Türe zu! Ein Lieblingsspruch meiner Mutter. Endlich hatte er Geltung. Zumindest, bis Stella kam.

      „Mein Beileid, und das ist vom Chef!“ Achtlos knallte sie mir einen Packen Papiere auf den Schreibtisch. Empört drehte ich mich um. Wie fast immer trug sie ein buntes Shirt, heute mit Ärmel, und ein kurzes Flatterröckchen. „Du sollst dich gleich mal drum kümmern, meinte er!“

      „Danke“, sagte ich höflich.

      „Na, schau es dir erst mal an.“ Sie zeigte auf den Stapel.

      „Ich meinte dein Beileid“, antwortete ich kühl.

      „Ach so ja. Geht’s dir gut?“ Gleichgültig schaute sie mich an.

      „Na klar!“, behauptete ich, oder hatte sie gedacht, dass ich ausgerechnet vor ihr das große Plärren inszenieren würde?

      14. Szene

      Klara

      Den Sonntag hielt ich schon immer für ziemlich nutzlos. Überall liefen Pärchen Hand in Hand und vertrödelten den Tag mit Glücklichsein. Die Geschäfte hatten geschlossen, und Auskünfte bekam man auch nur sehr widerwillig. Montags war das etwas anderes. Die Pflegedienstleitung sagte, Sylvia Nigl sei zwar eine allein erziehende Mutter, aber sehr beliebt. Dass der Vater unbekannt sei, führte zu einem kurzen Nasenrümpfen, sonst gab es jedoch keine Beanstandungen. Über ihren Typ sagte sie, sie passe wunderbar in die Urologie, wie sollten sich denn die armen Männer fühlen, wenn lauter aufgedonnerte Weibsleute da herumliefen!

      Tja, da war Frau Nigl natürlich keine Gefahr.

      Zurück im Büro versuchte ich es wieder mit Julia Fabriosa. Diesmal stürzte das Programm nicht ab, aber dafür gab es über sie auch keinen Eintrag. Komisch, und was war das eigentlich für ein ausgefallener Name?

      15. Szene

      Magdalena

      Gegen Mittag trieb es mich in die Kaffeeküche, mein Körper verlangte Koffein und Glucose. An dem Tisch mit der geblümten Wachstuchdecke saß Jutta und beugte sich konzentriert über ein Blatt Papier, auf dem ein Kreis mit vielen Unterteilungen aufgemalt war. In der rechten Hand hielt sie einen geschliffenen Kristall, der an einer dünnen Kette hing. Vorsichtig schlich ich mich hinter ihrem Rücken vorbei.

      „Welche Bachblüten wirken sich auf meine derzeitige Verfassung besonders positiv aus?“, fragte sie mit monotoner Stimme.

      „Keine Ahnung“, antwortete ich, weil ich eigentlich nur Sumpfdotterblumen kannte.

      „Welche Bachblüten ...“, fing sie erneut an, und endlich kapierte ich, dass sie gar nicht mit mir sprach, sondern mit dem Papier vor ihr auf dem Tisch und dem darüber hin und her pendelnden Kristall. Da sie so sehr in diese Aufgabe vertieft war, beschloss ich, mir schnell meinen Kaffee und ein paar Kekse zu nehmen und mich dann möglichst unbemerkt aus dem Staub zu machen. Doch daraus wurde nichts! Genau in dem Moment blickte sie auf, schob das Blatt beiseite und sah mich über den Rand ihrer Brille aufmerksam an. „Du siehst schlecht aus.“

      „Danke“, antwortete ich schwach. „Was hast du erwartet?“

      „Ich will dich nicht kränken, ich will dir helfen“, beharrte sie und stand auf.

      „Magdalena, du musst was für dich tun!“ Sie nahm mir meine Tasse aus der Hand, stellte sie auf das Tischchen neben ihre Blätter und ergriff erneut meine Hände, um sie zu drücken. Das war zuviel, ohne Vorwarnung liefen mir Tränen über mein mühsam geschminktes Gesicht und richteten ziemliche Schäden an.

      „Ja, so ist es gut“, lobte Jutta, „du musst deine Trauer annehmen und darfst sie auf keinen Fall unterdrücken.“

      „Ach Jutta, was redest du da, ich kann doch nicht heulend hier herumlaufen, was sollen denn die Kunden von mir denken.“

      „Was interessieren dich die Kunden, die haben ja schließlich keinen geliebten Menschen verloren!“

      Ich machte mich erneut los, griff nach meiner Tasse und trank eine tiefen Schluck. Jutta drückte mich auf den Stuhl, auf dem sie selbst eben noch gesessen hatte, und hielt mir ein Buch vor die Nase.

      „Hier!“

       Mit dem Unterbewusstsein die eigene Welt verändern.

      „Das ist es, was du jetzt brauchst! Damit kannst du es schaffen!“

      „Mit dem Unterbewusstsein?“

      „Ja! Du musst es dir so lange einreden, bis es dir besser geht!“

      Ich sah sie mehr als skeptisch an.

      „Hast du noch nie den Satz gehört: Du redest dir das alles doch nur ein?“

      Ich nickte.

      „Genau das musst du machen. Rede dir morgens und abends immer wieder ein, dass es dir bald besser geht. Glaub an dich, und Harry wird stolz auf dich sein.“

      Dankend nahm ich Buch und Ratschlag entgegen und legte es später in meine Schublade, um es zu vergessen. Was wusste Jutta schon von meinem Schmerz und wie ich damit umgehen musste? Einreden! Ausreden! Harry war tot und ließ sich auch nicht wieder lebendig reden.

      16. Szene

      Klara

      Seit dem Mittagessen arbeitete ich an den Richtlinien für die Aufdeckung von Schwarzgeld-Kurieren.