Sigrid Jamnig

Eine neue Göttin für Myan


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du, Heather ist ziemlich verwirrt und tollpatschig, und sie wollten einen Zauber zur Entscheidungsfindung machen, welcher aber nach hinten losgegangen ist – na ja, und dann war plötzlich Maria schwanger und nicht mehr Christine.“ Die Göttinnen fanden es anscheinend ziemlich komisch, denn sie mussten sich, seit Ally das Thema angesprochen hatte, das Lachen verkneifen. Immer wieder kicherten sie. „Und dann mussten wir uns etwas einfallen lassen, weil wir es nicht schafften, den Zauber wieder rückgängig zu machen, und wir dachten, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, den Menschen einmal eine Botschaft zu überbringen.“

      „Auch wenn diese nicht ganz so richtig angekommen ist“, fügte Sharon hinzu.

      Nun musste auch Ally lächeln, aber mehr, weil die Schicksalsgöttinnen sich so köstlich über etwas amüsieren konnten, das bereits vor über 2000 Jahren passiert war. Für die junge Frau war es unglaublich, dass sie über ein tatsächliches Vorkommnis und nicht über irgendwelche alten Texte sprachen. Wieder kehrte das Gefühl zurück, dass es sich um einen Traum handeln musste. Sie konnte es nicht glauben, dass alles tatsächlich wahr sein sollte. Da kamen ihr auch gleich wieder ein paar Fragen in den Sinn.

      „Ihr könnte also tatsächlich Wasser in Wein verwandeln? Oder Tote wieder zum Leben erwecken?“

      „Aber natürlich! Nichts leichter als das! Obwohl: Die Toten wieder erwecken, das können nur Götter – Engel nicht!“, erklärte ihr Sharon, und Shila schwärmte ihr vor: „Du musst unbedingt mal ausprobieren, wie es ist, über das Wasser zu gehen. Es fühlt sich einfach herrlich an.“

      Ally konnte es kaum erwarten anzufangen. „Wo führt diese Treppe hin?“ Die junge Frau erfuhr, dass sich in den oberen Etagen Unterrichtsräume, Trainingsräume, Büros und der Übergang zur Wiedergeburt befanden. Im Erdgeschoss waren der Ballsaal und die Küche, und im Keller befand sich die Bibliothek, wo man jedes Buch finden konnte, dass jemals auf der Erde und auf Myan geschrieben wurde.

      „Unser Unterricht wird in Raum 1.05 stattfinden“, sagte Tina. Sie erklärte Ally auch, dass die erste Zahl für das Stockwerk und der Rest für die Raumnummer steht. So konnte man sich relativ leicht zurechtfinden.

      „Myan ist der Erde in manchen Dingen ziemlich ähnlich“, wunderte sich Ally. Die beiden Göttinnen klärten sie darüber auf, dass es eher andersrum der Fall war: Die Götter und Engel gab es schon um einiges länger als die Menschen von der Erde. Im Laufe der Zeit hatten die Götter und Engel und die auf der Erde lebenden Hexen und Zauberer die Welt der Menschen doch sehr beeinflusst, und auch die Leute von Myan wurden von den Menschen der Erde beeinflusst. Und so sahen die Computer von Myan deswegen jenen von der Erde so unglaublich ähnlich, da die Bewohner von Myan diese Geräte einfach auf die Erde mitnehmen wollten. Bevor es auf der Erde eine solche Technologie gab, hatten diese Geräte ganz anders ausgesehen.

      „War das auch bei den Sprachen so?“, wollte Ally wissen.

      „Natürlich. Diese Stadt hier heißt Tiantiang, was im Chinesischen soviel wie ‚Himmel’ bedeutet, und der Name der Hauptstadt von Myan, Silenda, kommt im Lateinischen vor und beutet ‚Geheimnisse’.“

      Von all den Dingen, welche Ally erfahren hatte, schwirrte ihr der Kopf. „Wie soll ich das nur alles lernen?“, murmelte sie. Immerhin hatte sie, da sie ja keinen Job hatte, genug Zeit dafür. Tina munterte sie etwas auf, indem sie sagte: „Sobald du auf die Sammlung zugreifen kannst, ist das alles ganz einfach.“ Ally konnte aber nur müde lächeln.

      „Ist das Leben nicht etwas langweilig, wenn man immer alles weiß?“

      „Ach, dazu müsste die Sammlung etwas detaillierter geschrieben sein. Aber es sind eher mehr Bilder, Gefühle und wenige Worte.“ Auch die Schicksalsgöttinnen konnten dem nur zustimmen.

      „Ist manchmal ziemlich schwer zu entziffern!“, meinte Sharon. „Wir haben deine Wohnung drei Tage beobachtet, da wir zwar wussten, dass etwas passieren würde, jedoch nicht wann oder was genau.“

      „Wir haben uns schon Sorgen gemacht, dass wir etwas verpassen“, fügte Shila hinzu.

      Die Ängste, die Ally in den letzten Stunden erfolgreich verdrängt hatte, kehrten zurück. Es schien mit viel Verantwortung zusammenzuhängen, wenn man eine Göttin war. Was, wenn sie etwas falsch machte? Sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich klarmachte, dass es noch länger dauern würde, bis sie soweit war, eine Entscheidung zu treffen.

      „Ich würde jetzt gern nach Hause gehen“, sagte sie dann. „Ich muss über einiges nachdenken.“

      „Ist ok! Bis morgen!“, meinte Tina.

      „Um zehn Uhr?“ Der Engel nickte. „Aber denk daran, dass der Zeitunterschied zwischen Myan und der Erde in deinem Fall dreieinhalb Stunden beträgt.“

      „Das wäre dann ...“ Ally rechnete schnell im Kopf nach. „Halb zwei?“ Wieder nickte Tina. Ally verabschiedete sich mit den Worten: „Wir sehen uns dann morgen!“ Sharon umarmte Ally kurz.

      „Du wirst das schon schaffen!“, versuchte sie ihr Mut zu machen. Ally lächelte kurz. Shila sagte schlicht: „Bye!“

      Dann sah Ally auf den Tayler, den sie immer noch in der Hand hielt, wählte ihre Wohnung aus und drückte auf den grünen Knopf.

      Kapitel 3

      Ally lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie war vor ungefähr einer Stunde von Myan zurückgekommen. Gerade war sie noch ein ganz normales Mädchen gewesen, und jetzt sollte sie eine Göttin sein. Trotz der Geschehnisse konnte Ally das Gefühl, dass es sich nur um einen Traum handeln konnte, nicht abschütteln. Wie sollte sie nur glauben, dass dies alles tatsächlich passierte?

      Draußen wurde es langsam dunkel. Lange Schatten zogen sich über die Zimmerdecke. In der Glastür ihres fünftürigen Kleiderschranks spiegelte und funkelte das Licht der Straßenlaterne. Das Wohnzimmer hatte genau so ausgesehen, wie sie es verlassen hatte. Die Tabletten und der die Flasche Wodka hatten noch an genau derselben Stelle am Couchtisch gestanden. Daraufhin hatte Ally die Sachen wieder zusammengesammelt und zurück in den Schrank gepackt.

      Die Schicksalsgöttinnen hatten ihr gesagt, dass die Sammlung sehr schwer zu deuten war. Vielleicht handelte es sich ja um einen Irrtum. Nachdem sie die Sachen zurück in den Kasten gegeben hatte, hatte sie sich in ihrem kleinen Schlafzimmer auf das Bett gelegt. Es hörte sich alles einfach so unglaublich an. Sie sollte Magie anwenden können? Ally setzte sich in ihrem Bett auf. Sie fixierte eine Tür ihres Kleiderschranks, welcher direkt gegenüber von ihrem Bett stand. ‚Geh auf!’ Ally versuchte sich darauf zu konzentrieren, die Tür zu öffnen, aber es fühlte sich genauso an wie all die anderen Versuche, welche jeder irgendwann unternahm, wenn man keine Lust hatte aufzustehen und die Fernbedienung zu holen. Es passierte genauso viel: nämlich gar nichts. Ally konnte sich nicht vorstellen, jemals Magie anzuwenden. ‚Geh auf!!’ Da Ally genug Fantasyromane gelesen hatte, versuchte sie, wie in einigen davon beschrieben, ihren Geist zu leeren und tief in sich hineinzuhören. Aber dennoch rührte sich die Tür nicht. Nicht einmal ein kleines Wackeln.

      In diesem Moment klangen die Töne von I'm a survivor durch den Raum. Ihr Wecker! Eigentlich eher eine Erinnerung daran, dass die Probe des Kirchenchors in einer halben Stunde stattfinden würde. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie die Probe heute vielleicht ausfallen lassen sollte, aber dann dachte sie, dass es ihr wahrscheinlich helfen würde, wieder Zugang zur Realität zu erhalten und vielleicht dieses Traumgefühl abzuschütteln. Also stand sie auf und ging ins Bad, wo sie sich das Gesicht wusch und die Haare kämmte. Dann zog sie sich ihre schwarzen Nike-Schuhe an, nahm ihre Jeansjacke und die Handtasche und verließ die Wohnung.

      Die Kirche war nur wenige Minuten von ihrer Wohnung entfernt. Ally wusste, dass sie etwas zu früh kommen würde.

      Sie konnte die große neugotische Kirche bereits von Weitem sehen. Vorne neben dem Haupteingangstor befanden sich zwei große Türme aus schwarz-rot-braunen Steinen mit hohen abgerundeten Fenstern. In der Mitte gab es eine Kuppel mit einem weiteren Turm und einem grünlichen Dach. Die Kirche umgab ein grau gepflasterter Platz