Sigrid Jamnig

Eine neue Göttin für Myan


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sie schließlich wissen.

      „Ein Schutzzauber“, erklärte ihr Lucy. „Es werden nur mehr jene Menschen und andere Wesen deine Wohnung betreten können, welchen du den Zutritt erlaubst.“

      „Und woher weiß der Stern das?“ Ally betrachtete den kleinen goldenen Stern skeptisch. „Nicht der Stern, der Zauber kann jede Form haben.“

      „Na gut, und woher weiß der Zauber das?“

      „Er kann es fühlen.“ Mit dieser Antwort konnte Ally nicht wirklich etwas anfangen. Lucy lächelte, als sie Allys fragendes Gesicht sah. „Jeder und alles um uns herum sendet Wellen aus. Man kann sie nicht sehen, aber diese Wellen beinhalten alles, was es über dich zu wissen gibt“, erläuterte sie.

      „Und der Zauber kann das lesen?“ Während Ally so darüber nachdachte, kam ihr ein unguter Gedanke. „Können auch andere Menschen diese Wellen lesen?“

      Lucy schüttelte den Kopf. „Nur Götter und Engel können die Wellen lesen. Manche können die Wellen spüren oder sehen, aber nicht entziffern. Sie nennen es dann Aura.“

      Ally dachte über das Gehörte nach. Irgendwann würde sie auch lernen, wie sie diese Wellen lesen konnte.

      „Du bist jetzt vollkommen sicher!“, erklärte Lucy. „Ich muss jetzt weiter. Es gibt noch andere Dämonen, welchen ich in den Hintern treten muss!“ Sie lächelte und verschwand in einem hellen Lichtblitz.

      „Wiedersehen!“ Ally bezweifelte, dass Lucy die Verabschiedung gehört hatte. Sie schaute sich in ihrer kleinen leeren und dunklen Wohnung um. Sie hatte das Licht gar nicht eingeschaltet. Mit einem Mal fühlte sie sich ganz alleine und trotz des Schutzzaubers überhaupt nicht sicher. Sie hatte noch nie Angst davor gehabt, dass jemand in ihre Wohnung einbrechen könnte. Aber die Dämonen verursachten in ihr doch ein mulmiges Gefühl.

      Ally atmete tief durch und ging in die Wohnküche zurück. Während sie den Fernseher einschaltete, nahm sie sich fest vor, diesen Abend so zu verbringen wie jeden anderen auch. Selbst wenn sie wusste, dass sie die Erlebnisse nicht loslassen würden. Heute war der letzte Tag ihres alten Lebens. Morgen würde ein neues beginnen.

      Kapitel 5

      Die Zeit war bereits weit fortgeschritten, als Ally am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Im ersten Moment dachte sie, dass sie zu spät nach Myan kommen würde, aber dann fiel ihr die Zeitverschiebung wieder ein. Sie starrte an die Decke und dachte an die Geschehnisse vom Vortag. Sie konnten doch nicht wirklich sie gemeint haben? Ally konnte nun wirklich keine Göttin sein. Sie war doch einfach nur ein Niemand. Ganz allein. Und sie hatte keinen Platz in dieser Welt. Aber Myan? Vielleicht war ihr Platz auf diesem fremden Planeten? Sie versuchte positiv zu denken, aber das Gefühl, dass alles in einer großen Enttäuschung enden würde, drängte sich auf. Nun gab es noch mehr Leute, die sie enttäuschen konnte. Und wenn sie jetzt einen Fehler machte, dann könnte dies auch Auswirkungen auf die gesamte Menschheit haben. Vielleicht nicht jetzt sofort, aber dann, wenn sie ihre Kräfte erst einmal beherrschte. Auf der einen Seite konnte sie es gar nicht erwarten, damit anzufangen. Auf der anderen Seite fürchtete sie sich vor der Zukunft und den möglichen Konsequenzen.

      Ein Blick auf ihr Handy sagte ihr, dass es jetzt neun Uhr war. Dafür, dass sie ziemlich früh ins Bett gegangen war, hatte sie doch lange geschlafen. Aber Ally hatte stundenlang nicht einschlafen können. Zu viele Gedanken waren ihr durch den Kopf gegangen. Warum hatten diese Dämonen sie angegriffen? Warum sollte ausgerechnet sie eine Göttin sein? Warum empfand sie die Gefühle, nach denen sie sich so lange gesehnt hatte, ausgerechnet für einen Priester? Warum hatte das Leben so ein schlechtes Timing? Es konnte ja nicht eines nach dem anderen kommen, nein, es musste ja unbedingt alles auf einmal sein.

      Ally überlegte, was sie die nächsten vier Stunden machen sollte, bevor sie sich mit Tina treffen würde, um etwas über Magie zu lernen. Aufstehen oder im Bett bleiben? Beides reizte sie nur wenig. Nach einigen Minuten entschied sie sich, aufzustehen und eine Zeitung zu holen. Sie wollte wissen, was auf der Welt los war und ob sie vielleicht erkennen konnte, wo die Götter und Engel ihre Hände im Spiel hatten. Ally war neugierig. Also schwang sie ihre Beine aus dem Bett und setzte sich auf. Es war kühl in der Wohnung, und Ally trug nur ein kurzes seidenes Nachthemd. Ursprünglich wollte sie ihr sexy Negligé für besondere Momente aufheben, aber dann erkannte sie, dass das Leben zu kurz war und sie nicht einmal wusste, ob es überhaupt irgendwann einen Mann in ihrem Leben geben würde, welchem sie diese Gewänder zeigen wollte. Rasch schlüpfte sie in Jeans und T-Shirt und ging ins Bad.

      Wenig später verließ Ally ihre Wohnung. Der Weg zur nächstgelegenen Trafik führte wieder an der Kirche vorbei. Wie jedes Mal, wenn Ally die Wohnung verließ, hatte sie auch jetzt ihre Kopfhörer auf. Beim Gehen und von der Musik begleitet konnte sie gut nachdenken. Sie überlegte gerade, wie ihre Zukunft aussehen würde, als sie plötzlich jemand ansprach. Erschrocken sah sie auf. Vor ihr stand Herr Baily. Ally hatte nicht erwartet, ihn so schnell wiederzusehen.

      „Guten Morgen!“, sagte sie leise und zog sich dabei die Ohrstöpsel aus den Ohren.

      „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Er lächelte sie an. Ally kam nicht umhin zu bemerken, dass er ein schönes Lächeln hatte.

      „Haben Sie nicht!“ winkte Ally ab und lächelte ebenfalls. Sie wurde noch um einiges nervöser als sonst, wenn sie mit jemandem sprach.

      „Wie geht es Ihnen?“, fragte er höflich. Ally schluckte. Für sie war es neu, dass jemand sie auf der Straße ansprach. Mit dem letzten Priester hatte sie kaum ein Wort gewechselt.

      „Gut und Ihnen?“ Ally mochten keinen Smalltalk. Diese Gespräche fühlten sich immer so gezwungen an. Aber sie redete auch sonst nicht wirklich gern.

      „Auch gut!“

      In Ally kämpften im Moment zwei Gefühle. Das eine waren die Fluchtgedanken, welche sie immer hatte, wenn sie mit jemandem redete und nicht mehr wusste, was sie als nächstes sagen sollte. Das andere war das komplett entgegengesetzte Gefühl: Sie würde gern bleiben. So etwas war ihr noch nie passiert.

      Letztendlich entschied sie sich für die Flucht. Sie verabschiedete sich, wünschte noch einen schönen Tag und ging weiter.

      Christopher sah der ungewöhnlichen Frau hinterher. Sie schien sehr nervös. In ihrer Gegenwart hatte er plötzlich Gefühle, welche er seit Jahren nicht gehabt hatte. Diese Gefühle lagen weit vor seiner Priesterweihe. Im Grunde waren diese Gefühle nicht unbedingt schlecht, nur hatte er eben auch dieses Verlangen, seine Hand auszustrecken und ihre Wange zu berühren. Christopher versuchte, diese Gefühle abzuschütteln. Dann drehte er sich um und machte sich auf den Weg in den Pfarrhof. Heute Nachmittag fand ein Vorbereitungskurs für die Erstkommunion statt. Frau Konrad würde ihm dabei zur Hand gehen. Es war spannend für ihn, in die neue Gemeinde zu kommen. Seine Weihe lag erst ein Jahr zurück. Bisher hatte er seine Tage in einem Kloster nicht weit von hier verbracht, aber dann war der zuständige Priester im hohen Alter friedlich entschlafen, und er wurde dazu auserwählt, seinen Platz einzunehmen.

      Im Pfarrhof angekommen, stellte Christopher fest, dass die Kinder noch nicht hier waren. Frau Konrad stand jedoch bereits in dem großen Raum im Erdgeschoss. Sie stellte weiße Kerzen und bunte Blätter aus Wachs bereit. Frau Konrad hatte ihm gestern bereits gesagt, dass sie geplant hatte, heute Kerzen zu verzieren.

      Als er eintrat, sah sie auf und begrüßte ihn. „Guten Tag!“ grüßte er zurück. Frau Konrad lächelte beruhigend und fragte: „Nervös?“

      „Ein wenig. Ich mache das zum ersten Mal!“

      „Die Kinder sind alle reizend. Kein Grund, nervös zu sein.“

      Eigentlich hatte Christopher gerade gar nicht mehr daran gedacht, dass er etwas aufgeregt war. Er hatte nur an die junge Frau gedacht, die ihm gerade über den Weg gelaufen war.

      „Auf dem Weg hierher habe ich Frau Sullivan getroffen“, meinte er beiläufig. Christopher befürchtete, seine Gefühle würden auf seiner Stirn geschrieben stehen.

      „Sie ist ein