Ernst Friedrich Wilhelm Mader

Wunderwelten


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nicht, den letzten Zeugen einer ausgestorbenen Menschenwelt zu photographieren; dann schieden unsre Freunde bedauernd von dem Greise und beeilten sich, die Sannah wieder zu erreichen; denn der Ton der Sirene hatte ihnen verkündigt, dass dort etwas nicht in Richtigkeit sein musste.

      Am Waldsaum machten sie Halt, um von den mitgenommenen Vorräten ein kurzes Mahl zu halten; denn der Hunger hatte sich mächtig eingestellt und Münchhausen hatte erklärt, mit leerem Magen komme er keinen Schritt weiter, nachdem er heute Nacht so gründlich angezapft worden sei.

      Bobs, der Schimpanse, pflückte sich die goldgelben pyramidenförmigen Früchte der Bäume am Waldrand und verzehrte sie mit so sichtlichem Behagen, dass der Kapitän sich nicht enthalten konnte, auch davon zu kosten. Er fand sie von solch köstlichem Wohlgeschmack, dass auch die Übrigen zugriffen und einen großen Vorrat davon mitnahmen.

      In zwanzig Minuten war das Wäldchen durchschritten, da man sich nicht wieder durch seine Merkwürdigkeiten aufhalten ließ.

      Als John die Heimkehrenden aus dem Walde heraustreten sah, kletterte er rasch an der Sannah hernieder und ging ihnen entgegen.

      „Was ist’s? Was gibt’s?“ rief ihm Heinz von Ferne zu. „Ist etwas passiert, sahst du eine Gefahr nahen, dass du das Notsignal gabst?“

      „O, meine Herren!“, rief Rieger, der keuchend dahertrabte: „Die Sannah ist sozusagen heil und wohlbehalten, indem ihr nichts passiert ist; aber es ist ein schreckliches Wunder geschehen, was ich von weitem erblickt habe, und das ich befürchten musste, wenn es in der Nähe sich ähnlich ereignen dürfte, es nicht zum wenigsten unser Weltende herbeizuführen vermöglich wäre.“

      „Was sahst du denn so Entsetzliches?“ forschte der Lord seelenruhig.

      „Dort, weit dort drüben ist ein ganzer Bergzug sozusagen im Boden verschwunden und dann ist ein andrer aus der Tiefe heraufgestiegen und das Wasser und Gewürm floß an ihm herab.“

      „Das scheint ein Erdbeben gewesen zu sein!“, meinte Schultze.

      „Merkwürdig, dass wir nichts davon spürten“, warf Münchhausen ein.

      „O, die Sannah hat nicht unbeträchtlich gewackelt“, erklärte der Diener.

      „Wenn die Wellenbewegung des Bebens sich senkrecht gegen diese parallelen Hügelzüge richtete, so ist es nicht auffallend, dass sie bald so abgeschwächt wurde, dass sie uns nicht mehr erreichte“, erläuterte der Professor. „Überhaupt zeigen Erdstöße oft eine auffallend scharfe Abgrenzung: Ein Tal, ein Flussbett gebietet ihnen häufig Halt. Es kommt vor, dass eine Stadt auf der einen Seite eines Flusses einstürzt, während man im jenseitigen Stadtteil die Erschütterung kaum spürt.“

      „Mag sein! Aber ich stimme dafür, dass wir den Mars schleunigst verlassen, der bei Tag so unheimlich und gefährlich zu sein scheint, wie bei Nacht.“

      Dieser Meinung des Kapitäns wurde kein Widerspruch entgegengesetzt; aber mit der schleunigen Abreise hatte es noch gute oder besser „schlimme“ Wege.

      So weit das Auge sah, schien plötzlich die ganze Marsoberfläche in Bewegung geraten zu sein. In der Luft dröhnte und donnerte es, der Erdboden krachte, eine rötliche Staubwolke erfüllte die Luft, so dass eine Zeitlang nichts mehr zu erkennen war; dann fegte ein plötzlich daherbrausender Orkan die Wolke hinweg; doch schien sie nur in die oberen Luftschichten getrieben worden zu sein; denn eine blutig-fahle Dämmerung lagerte über dem Grunde.

      Ein Schrei des Entsetzens entrang sich unwillkürlich aller Lippen; nur Flitmore blieb stumm und anscheinend ruhig.

      Dann standen die Erschreckten wie erstarrt.

      Bobs, der Affe, allein sprang in rasenden Sätzen der Sannah zu, die er erreichte und an der er zu seinem Kameraden Dick emporklomm.

      Unsre Freunde aber sahen gewaltige Wogen auf sich zukommen.

      Anfangs glaubten sie, es seien richtige Wasserwellen, das Meer sei seinem Bette entstiegen, sie zu verschlingen.

      Bald aber erkannten sie, dass das Land selber mit seinem leichten weichen Erdboden diese Wellen warf: Hügel verschwanden und neue Hügelketten tauchten auf, um wieder zu versinken und sich wieder zu erheben.

      Und mit unheimlicher Geschwindigkeit nahten diese Erdwogen. An ein Erreichen des Weltschiffs, das noch zweihundert Meter entfernt war, war nicht mehr zu denken.

      Der Boden wankte unter den Füßen der Schreckgelähmten.

      Jetzt ein heftiger Stoß, der alle durcheinander warf; die Erde versank zu ihren Füßen: sie lagen in der Tiefe; aber der Grund hob sich wieder und sie mit ihm. Nur Münchhausens rundliche Masse kollerte alsbald wieder von der Höhe hinab: Sein kugelförmiger Körper fand nirgends Halt und blieb in beständiger rollender Bewegung.

      Noch mehrmals wurden die Daliegenden hilflos gehoben und gesenkt von der Wellenbewegung der Erde; dann wurde die Erschütterung schwächer und sie fanden sich in einer breiten Mulde liegend.

      „Hinauf, hinauf!“, rief Flitmore, der sich zuerst emporraffte und Mietje beim Arm fasste, sie mit Hünenkraft den steilen Abhang emporschleifend.

      Es war die höchste Zeit! Brausend kam es die Mulde herauf: ein Strom von Schlamm, ein dichtes Pflanzengewirr und eine wimmelnde Masse von zappelnden Würmern mit sich führend.

      Wer von dieser Woge erreicht wurde, der war verloren: Aus diesem Chaos hätte keiner mehr seine Glieder zu befreien vermocht.

      Mit knapper Not entkam der Professor der zähen Flut, die sich heranwälzte, als er kaum auf halber Höhe des Abhangs angelangt war. Von dem aufspritzenden Schlamm wurde er über und über bedeckt.

      Heinz und John, unmittelbar vor ihm, reichten ihm hilfreich die Hand. Der Lord und Mietje befanden sich schon oben in vorläufiger Sicherheit.

      „Wo ist der Kapitän?“, rief Flitmore, das Brausen im Grunde überschreiend.

      „Da liegt er gottlob!“ schallte Heinzens Stimme.

      Ja, da lag er zu oberst auf der Bodenwelle. Bei der letzten Wellenbewegung war es seinen verzweifelten Anstrengungen geglückt, sich an einem kleinen Erdhügel festzukrallen und so war er zuguterletzt emporgehoben worden, ohne wieder herabzurollen. Sonst wäre der Unselige unbedingt verloren gewesen; denn aus dem Grunde der Mulde hätte er sich nicht so rasch emporarbeiten können wie die andern und da entschieden Sekunden über Leben und Tod.

      Da lag er nun und bot wiederum einen Anblick, der unter minder grauenhaften Umständen die größte Heiterkeit entfesselt hätte; denn es sah zu gelungen aus, wie er noch krampfhaft, beinahe zärtlich das rettende Erdhügelchen umarmt hielt, als wolle er es nicht wieder von sich lassen.

      Endlich brachte ihn der Zuspruch und die tätliche Hilfe von Flitmore und Heinz wieder auf die Beine, wobei John ihn mit kräftigen Armen von hinten im Gleichgewicht hielt.

      Aber nun war guter Rat teuer für alle: Dort drüben ragte die Sannah aus dem Sumpf, in den sie versenkt worden war. Gähnend öffnete sich die Türe hart über dem Sumpfspiegel, auf dem die Strickleiter von Morast überzogen schwamm.

      Ein Glück, das die Öffnung nicht tiefer zu liegen gekommen war, sonst wäre der Schlamm ins Innere geflutet und keine Aussicht mehr gewesen, überhaupt in das Fahrzeug zu gelangen.

      Allerdings schien auch so keine Möglichkeit hiezu vorhanden, so einladend das Tor herübergähnte: Ein Sumpfarm von dreißig Meter Breite trennte die Gesellschaft von der Sannah und das war ein unüberwindliches Hindernis.

      „Wenn wir nur die Strickleiter herüberziehen könnten!“, meinte Flitmore nachdenklich; „sie ist fünfzig Meter lang, und wir brauchen sie nur straff anzuspannen, um hinüberturnen zu können.“

      Alle strengten nun ihre Gehirnkraft an, um ein Mittel zu ersinnen, dieses Ziel zu erreichen.

      „Wenn die Affen so gescheit wären“, seufzte Mietje nach langem Stillschweigen: „Die könnten uns das Ende der Leiter wohl herüberschaffen: Die Schlammmasse ist dick genug und so viele Wurzeln und verwirrte Pflanzen ragen daraus