Robert Zirlewagen

Blutspur in die Vergangenheit


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GmbH, Berlin

      Printed in Germany

      Sollte er tatsächlich ein Stalker sein? Sich mit dieser Frage quälend, konnte er nicht ahnen, dass es einen Menschen gab, der davon ausging, dass Thomas diesen Tag nicht überleben sollte. Zumindest wurde ihm das so schon mal angedroht, wenn er nicht mit dem Stalken seiner Ex aufhören würde.

      Thomas, der heute ziemlich aufgebracht war, ging, in diesen Gedanken versunken, durch Freiburgs Seitengassen. Den ganzen Abend hatte er sich nicht auf seinen Job konzentrieren können und war erneut mit einigen Gästen heftig aneinandergeraten. Regelrecht schikaniert hatte er die Männer, welche seinem neuen Nebenbuhler annähernd ähnlich sahen. Er liebte die Arbeit als Türsteher, da sie einen guten Kontrast zu seiner Tätigkeit als Maurer darstellte und man ihn hier auch respektierte.

      Doch seit einem Monat waren bei dem Bullen von Mann die Weichen verstellt. Sollte der Zug doch gemeinsam mit seiner zwei Jahre jüngeren Freundin Claudia in den Bahnhof der Ehe einfahren, so hängte sich die blöde Kuh einfach an eine andere Lokomotive.

      Diese Gedanken kreisten wieder und wieder durch seinen Kopf, als er an diesem Abend die Disco etwas früher als sonst verließ. Wegen Claudia führte ihn sein Weg in den letzten Tagen immer öfter durch die meist dunkle Karthäuserstrasse. Jede zweite Laterne war wieder mal gelöscht, weshalb er lautstark auf die geizigen Freiburger Stadtwerke fluchte. Doch schnell lenkte der quälende Gedanke an seine Freundin ihn wieder ab. Wie konnte sie ihn nur so verarschen?

      Okay, er war in der letzten Zeit nicht wirklich nett zu ihr gewesen. Hatten sie die Liebe aus den Augen verloren? Er hatte sie ein paar Mal geohrfeigt und immer wieder seinen Frust an ihr ausgelassen. Doch gaben diese kleinen Fehltritte ihr das Recht, ihn einfach auszutauschen? Es wollte nicht in seinen Schädel und sein Ego wurde durch das ganze Getue erheblich angeschlagen.

      Leicht verunsichert, über seine tatsächliche Qualität als Schläger, wurde er dazu noch vor einer Woche, als ein schmächtiger Typ ihn demontierte.

      ´Thomas solle seine Ex in Ruhe lassen, sonst bekäme er Ärger´,

      konnte er sich noch an den Wortlaut erinnern.

      Als er den Angreifer verscheuchen wollte, hatte ihn der Typ geohrfeigt, zwei kleine Schläge verpasst und ihn dann aufs Kreuz gelegt. Es ging viel zu schnell, weshalb er sich nicht wehren konnte. So hilflos hatte er sich noch nie gefühlt und ernsthaft überlegt, lieber die Finger von Claudia zu lassen.

      Doch es ging leider nicht. Sein Plan heute? Gleich vor Claudias Türe seine Aggressionen loszuwerden.

      Ein paar halbstarke Jungs kamen gerade auf ihn zu. Der Sprache nach waren es keine Deutschen. Er bettelte innerlich fast darum, von diesen Typen angerempelt zu werden. Ja, so ein kurzes Warm-up könnte ihm schon helfen und vielleicht sein Ego wieder etwas in die Spur bringen. Thomas war einfach nicht mehr er selbst.

      Sogar in der Disco hatte man ihm nahegelegt, sich endlich wieder in den Griff zu bekommen und seine Wutausbrüche zu zügeln, nachdem er letztes Mal einen Gast bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt hatte. Nach einer Nacht in der Zelle holte ihn der Diskothekenbesitzer mit seinem Anwalt wieder raus und sprach dabei auch gleich die letzte Abmahnung deutlich aus. Sie konnten zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise noch nicht ahnen, dass er seinem Nebenbuhler einen Tag zuvor ebenfalls das Nasenbein gebrochen hatte.

      Warum ihn Claudia und der Dreikäsehoch daraufhin nicht anzeigten, überraschte den frustrierten Maurer zwar, hinderte ihn aber nicht daran, dieses neue Kuschelduo weiter zu stalken.

      Sein Arbeitskollege Franz, den er schon seit der Schule kannte, meinte vor zwei Tagen sogar, er hätte Angst, dass Thomas im jetzigen Zustand jemanden umbringen könnte. Er musste darauf nur grinsen und überlegte, dass dies vielleicht gar nicht die schlechteste Idee sei.

      Auch diese komische Mail, in welcher er von einer dämlichen Stalkerinitiative aufgefordert wurde, ab sofort jeglichen Kontakt Richtung Claudia zu unterlassen, beeindruckte ihn erst, als die Ohrfeige bei ihm einschlug.

      Eigentlich war dem Kraftprotz, mit seiner Größe von über einem Meter neunzig, eh alles scheißegal und sein Leben hatte plötzlich keinen Sinn mehr. Ja, und wenn nun schon seine Persönlichkeit bei den Kollegen ins Lächerliche gezogen wurde, dann könnte er auch die Verantwortlichen vernichten. Zumindest soweit wollte er heute gehen, dass sein Kontrahent endlich mal um sein Leben betteln sollte. Sein Hass wurde immer größer und er konnte sich kaum noch bändigen, nicht auf ein Auto oder eine Mülltonne einzutreten.

      Da geschah es endlich! Er hatte die herannahenden Jungs schon fast aus dem Sinn, als zwei der fünf, die mittig auf dem Gehweg liefen, ihn anrempelten: „He Alter, mach dich …….!“

      Was sie sagen wollten, interessierte ihn nicht mehr. Die große Klappe lief jedenfalls in einen ungedämpften Hammer, der sofort das warme Blut spritzen ließ. Mutig sprangen die anderen Karatekids mit Fußtritten ihrem Kollegen zur Hilfe. Doch Thomas drehte völlig durch, klatschte den einen mit dem Kopf gegen ein Auto, bevor der nächste auf dem Pflaster der Karthäuserstraße einschlug. Kaum bei dieser Dunkelheit etwas sehend, hörte man nur laute Schreie.

      Nach wenigen Sekunden lagen die ersten beiden bewusstlos am Boden, während zwei weitere flüchteten und der fünfte unter der Umklammerung von Thomas linker Hand nur noch röchelte.

      „Es ist wohl Zeit sich von diesem Leben zu verabschieden, mein Freund“. Eigentlich wollte er dem Jungen nur Angst machen. So ein kurzes Warmmachen für Claudias neue Liebe! Aber plötzlich sah er das Gesicht seines Nachfolgers wieder vor sich, was seiner Faust freien Lauf ließ. Er bekam seine Wut nicht mehr unter Kontrolle.

      Es ging nicht lange, da hörte das Zucken des Jungen auf.

      „Scheiße, scheiße, scheiße! Was habe ich getan? So ein Fuuuuuuuck,“ brüllte er um sich, aber niemand war auf der Straße, der ihn hätte hören können. Die beiden anderen, gerade noch auf bewusstlos machend, konnten sich zwischenzeitlich ebenfalls unbemerkt davonstehlen.

      Es ging alles so schnell, dass sich hoffentlich keiner der Angreifer sein Gesicht hatte einprägen können. Er jedenfalls wäre nicht mehr in der Lage, einen der fünf zu beschreiben. Für ihn war es ein Treten nach Gestalten ohne Gesichter.

      Die Geschichte um den Handymörder kam ihm spontan in den Sinn. Dieser Irre, der durch Deutschland tourte und seinen Opfern das Handy in den Mund steckte ……..?!?´ Noch während er überlegte und sich dabei immer wieder umsah, ob ihn irgendjemand aus der Dunkelheit beobachten konnte, tastete er den leblosen Körper nach einem Handy ab. In der linken Gesäßtasche wurde er dann endlich fündig. Nur, was genau hatte er jetzt gelesen? Der Mörder stopfte das Mobilteil seinen Opfern einfach in den Mund?

      ´Jetzt mach das mal mit so einem riesigen Smartphone´, ging es ihm durch den Kopf. Es brauchte schon etwas Geschick, bis Thomas dieses Vorhaben erfolgreich abgeschlossen hatte, um dann schnell und hoffentlich unerkannt weiterzumarschieren.

      Einer der Typen hatte ihn mit einem Fußtritt im Gesicht erwischt, weshalb er Blut auf der Unterlippe spürte. Jetzt galt es nur noch abzuwarten, ob ihm einer der anderen vier folgen würde.

      Er stellte sich in einen kleinen zurückgesetzten Eingang und hielt zwanzig Minuten inne. Die Zeit brauchte Thomas auch, um einen klaren Kopf zu bekommen. Hatte er gerade womöglich tatsächlich einen Menschen umgebracht? Warum hatte er nicht mehr versucht dessen Puls zu fühlen? Vielleicht wäre es ihm ja noch gelungen, den Jungen wiederzubeleben. Dann hätte es eine Chance auf Bewährung gegeben. Aber so? Wenn der wirklich über den Jordan wäre?

      Das Schlimmste an der ganzen Sache war jedoch, dass Claudia, sollte man ihn wirklich in den Knast stecken, endlich mit ihrem Hosenscheißer freie Bahn hätte. Sie würde sich wahrscheinlich einen Ast lachen, was er doch für ein dummer Idiot war. Dieses Bild des neu verliebten Paares, welches gerade über ihn lachte, ließ erneut seine Wut aufkeimen.

      Obwohl ihm klar wurde, dass er gerade genug Mist angerichtet hatte, ging er weiter die Karthäuserstraße hoch.

      Die alten drei- bis fünfstöckigen Häuser reihten sich stadtauswärts aneinander. Nur noch