Robert Zirlewagen

Blutspur in die Vergangenheit


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ein, grüßte den Kollegen, welcher im Eingangsbereich hinter einer Scheibe den Empfang besetzte und zog ihre Personifizierungskarte heraus. Die Türe nach links summte und Samantha schritt an den anderen Büros vorbei, ganz nach hinten. Ihre Mitstreiterin war noch nicht da, deshalb fuhr sie freundlicherweise beide Computer hoch. Sie stöberte bereits im Nachrichtengewirr des Internets, als Katrin plötzlich herein stolperte.

      „Hi! Haben sie dir schon wieder das Bett angezündet?“ Samantha reagierte nicht, da der Artikel über den Handymörder schon voll und ganz ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

      „Das ist ja der Hammer. Jetzt hat der auch noch in Freiburg zugeschlagen!“ Die junge Kollegin schien nicht richtig zu verstehen: „Wer hat in Freiburg zugeschlagen?“

      „Na dieser Typ, welcher seinen Opfern immer das Handy in den Mund stopft. Und zwar letzte Nacht.“

      Katrin schien sich das Szenario gerade wieder ins Gedächtnis zu rufen, was ein angewidertes Schütteln verursachte: „Der ist doch krank. Hoffen wir nur, dass er sich schnell wieder in den Norden verzieht. Hat man denn schon eine Spur?“

      Samantha war noch nicht ganz fertig mit Lesen, fing nun aber an, laut zu zitieren: „Sie schreiben, dass es starke Abweichungen im Muster gibt und sie sich nicht sicher sind, ob es sich um einen Trittbrettfahrer handeln könnte. Jedenfalls liegt das Opfer auf der Intensivstation und hat den Angriff anscheinend nur deshalb überlebt, weil ihm seine Kollegen rechtzeitig zu Hilfe kamen. Dieser fünfte Anschlag innerhalb von zwei Monaten gibt eine Reihe von weiteren Rätseln auf, liefert im Gegenzug allerdings erneut keine heiße Spur. Die Ausführung sei immer identisch. Allerdings könne von den wild verstreuten Tatorten kein Muster abgeleitet werden. Genau so wenig gelingt es bisher eine Verbindung zwischen den Opfern herzustellen. Hamburg, München, Düsseldorf, Leipzig und letztendlich Freiburg.“

      Katrin kam jetzt rüber und spähte ebenfalls auf den Computer. Die beiden Schreibtische, in dem gut zwanzig Quadratmeter großen Büro, standen sich direkt gegenüber. Von beiden Positionen konnte man seitlich gut aus einem großen Fenster, über den Neubau der Basilie-Schmiede hinweg, auf den am Hang liegenden Vorort blicken.

      „Vielleicht kannst du ja mal bei deinen alten Kollegen in Freiburg nachhaken, ob sich über den Pressebericht hinaus schon was Brauchbares ergeben hat.“ Samantha nickte gedanklich abwesend, während Katrin den ersten Anruf entgegennahm.

      Die Chefin verließ solange den Raum und kam kurz darauf mit zwei Tassen Kaffee zurück.

      Katrin blickte sie an und meinte: „Bist du schon bereit für einen Besuch in der Disko?“

      Samantha konnte die Frage noch nicht richtig deuten, deshalb begleitete der Blick auf ihre Uhr die Antwort: „Ich war bis vor fünf Stunden in so einer Lokalität. Eigentlich ist mein Bedarf in diesem Zusammenhang gedeckt.“

      „Wo warst du denn?“

      „In der Seebachklause! Wieso?“ Jetzt fing Katrin an zu lachen.

      „Ja dann weiß ich nicht genau, wie wir weiter vorgehen sollen. Entweder der neue Fall wird wegen Befangenheit abgegeben, oder aber ich führe das erste Verhör direkt mit dir.“

      Sie bemerkte die Begriffsstutzigkeit Samanthas und sagte: „Sie haben heute Nacht genau dort eingebrochen.“

      Der Groschen war gefallen: „Na dann mal los! Auf was warten wir noch?“

      Katrin verzog das Gesicht, während sie die Autoschlüssel schnappte: „Schade um den Kaffee. Aber kalt macht er bekanntlich schöner!“

      Dann setzte sie sich ans Steuer des blau getarnten Passats und fuhr los. Im Gegensatz zur Kopilotin hatte sie ihre Uniform an. Samantha hingegen verzichtete so oft es ging auf diese offizielle Dienstkleidung.

      Sie musste gerade wieder daran denken, wie sie erst vorletzten Freitag zu einer Ruhestörung gerufen wurden. Eine Clique feierte in einem Mehrfamilienhaus den Junggesellenabschied eines jungen Mannes. Als die beiden uniformierten Mädels eintrafen, stand für den Partykönig offensichtlich fest, dass es sich hier um zwei Stripperinnen handeln musste. Rückblickend betrachtet, lag er bei Samantha da ja auch nicht ganz falsch, was außer ihr aber niemand wissen durfte.

      Direkt verübeln konnte man ihm diese Vermutung beim Betrachten der beiden Damen aber auch nicht. Katrin war sogar noch zwei drei Zentimeter größer als ihre Vorgesetzte, trug kurze schwarze Haare und hatte schon einige Modelauftritte hinter sich. Sie war immer braun gebrannt und schien, so empfand es jedenfalls Samantha, seit Jahren die erste ernstzunehmende Konkurrentin zu sein. Zumindest was das Äußere betraf.

      Der smarte Junggeselle ging allerdings einen Schritt zu weit und konnte dabei seine Hände nicht mehr richtig kontrollieren, weshalb er um ein Haar die Nacht in der Zelle verbracht hätte. Die Mädels hatten ihn, zum Entsetzten der anwesenden Gäste, so schnell aufs Kreuz gelegt, dass er vor Schreck fast zu heulen begann.

      Professionell konnten die Beamtinnen dann die Situation retten, verbannten die Feiernden in Richtung eines Lokals und verabschiedeten sich nach der kurzen Belehrung höflich. Natürlich wünschten sie dem Bräutigam alles Gute für das weitere Leben und empfahlen, beim Alkohol vielleicht zukünftig etwas kürzer zu treten.

      An diesem Abend kamen sich die beiden Damen dann auch das erste Mal etwas näher. Es schien von Anfang an ein eher gespanntes Verhältnis zu werden, da Katrin wohl gewohnt war, mit vorgesetzten Männern zu arbeiten. Dass diese wiederum schnell, sicherlich auch etwas Karriere fördernd, ihrem Charme verfielen, war kein Wunder. Dass man ihr aber Pam Anderson, das hatte die Chefin jedenfalls im Vorbeigehen am Aufenthaltsraum erhascht, vor die Nase setzte, gipfelte schon an Frechheit.

      Samantha gewichtete diese hinterhältige Beleidigung nicht übermäßig, da sie zu der Zeit ganz andere Sorgen hatte. Die Versetzung nach Neustadt schmerzte nachhaltig und markierte gleichzeitig den größten Rückschritt in ihrer Laufbahn. Vor allem deshalb, weil sie von nun an davon ausgehen musste, hier die letzte Karrieresprosse erklommen zu haben. Ihr ehemaliger Vorgesetzter hielt einen Trumpf im Ärmel, welcher, gemischt mit seinen verletzten Gefühlen, zu jeder Zeit ausgespielt werden konnte. Da dieser mit seinen 53 Jahren auch nur eine Stufe über ihr stand, würde er alles daransetzen, so ähnlich war seine Aussage, sie unter sich zu halten.

      Allerdings kehrte nun langsam ihr alter Lebensmut zurück. Die erste Phase wurde dabei durch Katrin eingeleitet, welche doch noch zu einer echten Freundin heranwuchs. Die zweite Stufe zu neuem Lebensmut wurde gestern Abend in der Seebach-Disco erklommen. Ein schwuler Freund flüsterte ihr Mut zu, das Leben wieder in Angriff zu nehmen und das eigene Ego ein paar Umdrehungen hochzuschrauben. Als sie heute Morgen aufwachte, war ihr plötzlich klar, dass ein paar Veränderungen für die Zukunft nötig waren.

      „Willst du etwa im Wagen warten?“ Vor lauter Träumerei hatte sie die Fahrt verpasst und musste zum Aussteigen aufgefordert werden.

      Die Seebachklause lag zwischen Titisee und Neustadt in einem kleinen Waldstück. So störte sich nachts niemand am Lärm, doch bot sich im Gegenzug auch eine gute Gelegenheit, hier ungestört einzubrechen.

      Da stand er plötzlich vor ihr. „Lui!“ stellte sich der Türsteher vor: „Aber kennen wir uns nicht?“ Längeres braunes Haar und gefühlte zwei Meter groß, streckte er ihr die Hand entgegen. Hatte sie doch gestern erst noch mit Daniel über diesen Typen gealbert und dabei den Körperbau hervorgehoben, präsentierte sich Lui gerade locker gekleidet in einem Rippenshirt. „Ja, ich bin ab und zu hier Gast.“

      Grinsend quittierte er ihre Aussage: „Schon klar. Du bist mir bereits beim ersten Besuch aufgefallen. Solche Schnitten gehen bei uns nicht täglich ein und aus. Allerdings hätte ich dich nicht wirklich bei den Bullen vermutet.“

      Katrin erkannte, dass Samantha etwas überfahren wurde und übernahm deshalb die Initiative: „Da wir nun schon mal beim Du angekommen sind, könnten wir vielleicht zum Ort des Geschehens wechseln.“

      Ohne die Störerin des Geplänkels zu beachten, schritt Lui um das Haus. „Hier auf der Rückseite des kleinen Bistros haben sie die Scheibe eingeschlagen.“

      Die junge Kollegin versuchte