Robert Zirlewagen

Blutspur in die Vergangenheit


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ist allerdings nichts für schwache Nerven, wenn der Mann tatsächlich schon über vierundzwanzig Stunden tot ist“, warnte er die Kollegin.

      Den Blick für die herumstehenden Gaffer abblockend, stellte er sich geschickt vor die Leiche und hob die Folie an. Sam versuchte sich auf das Schlimmste vorzubereiten und dabei sofort jede Emotion auszublenden. Allerdings gelang es ihr, trotz diesem sonst so erfolgreichen Trick, nur knapp, die Contenance zu bewahren. Auf das Handy, welches aus dem stark ausgebluteten Mund herausragte, war sie noch einigermaßen gefasst. Aber, dass dieses Mobilteil schon ein bis zwei Tage darin verweilte, machte den Anblick nicht schöner. Zwei eingeritzte Herzen auf beiden Wangen wirkten ebenfalls irritierend.

      „Was will er uns nur damit sagen?“ Steinhauser richtete diese Frage, ohne nennenswerte Gefühlsregung, wohl eher an sich selbst.

      „Ich höre heute zum ersten Mal von diesen eingeritzten Herzen. Hatten die anderen……….“, Der Polizeirat unterbrach Samanthas Frage mit einem „Pssst“, was von einem Finger auf den Lippen begleitet wurde.

      „Lassen Sie uns nachher auf der Dienststelle weiterreden. Wie kann ich Sie denn finden?“

      Franz, der die Unterredung mitzuhören versuchte, schaltete sich sofort ein: „Ich bin Hauptkommissar Thomas Franz aus Freiburg und habe bereits den Fall mit dem Mordversuch vorgestern aufgenommen. Vielleicht kommen Sie……..“,

      Steinhauser hob die Hand, welche erneut für Schweigen sorgen sollte.

      „Ich werde nachher zuerst mit der Kollegin in Neustadt sprechen. Vielleicht halten Sie sich heute Abend frei, damit ich auf dem Rückweg die Details von beiden Fällen mit Ihnen erläutern kann! Den Mordversuch, das hatte ich ihnen ja schon am Telefon mitgeteilt, rechne ich nicht dem Handymörder zu. Mit diesem Mord hier, bekommt dieser Übergriff allerdings wieder eine neue Betrachtung.“ Die Worte kamen bestimmend und bedurften offensichtlich keiner Zustimmung. Er klang höflich, signalisierte aber auch den Befehl gleich mit.

      Die Leiche wurde, nachdem der Gerichtsmediziner grünes Licht gab, von zwei dunkel gekleideten Herren in einen Aluminiumsarg umgesetzt.

      „Sie wissen wohin?“ Der eine nickte den Beamten zu. Als sie kurze Zeit später abfuhren, verlief sich auch langsam die Menschenmenge.

      Samantha ging zum Auto zurück, wo Katrin bereits käsebleich auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

      „Es tut mir leid, aber ich kann unmöglich fahren. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ Samantha war von diesem Bild natürlich ebenfalls geschockt, wollte jedoch die Routine siegen lassen. Alleine schon, um der Kollegin damit etwas Halt zu geben.

      „Lass gut sein. Es ist wirklich kein schöner Anblick. Du musst versuchen, dieses Bild einfach aus deinem Kopf zu verbannen. Bekommst du das hin? Oder möchtest………..“

      „Natürlich bekomme ich das hin. Und nein, ich möchte mir den Rest des Tages nicht freinehmen und nein, ich möchte mich nicht mit einem Psychologen darüber unterhalten.“

      Samantha sah aus dem Augenwinkel, wie sich die junge Kollegin zusammenzureißen versuchte, es dabei aber nicht schaffte, die Tränen zurückzuhalten.

      Am Skilift vorbei und zwei weiteren Kehren um einen Hügel gefolgt, bog der Wagen plötzlich in einen Feldweg ein. Sam stieg aus, ging auf die andere Seite und half der Kollegin ebenfalls aus dem Wagen. Sie drückte sie kurz an sich und überlegte dabei, ob Katrin diesen Anblick tatsächlich so wegstecken konnte.

      Sie war eine taffe junge Beamtin, welche nicht auf den Mund gefallen war und sicher eine große Karriere vor sich hatte. Ihre Noten, Sam hatte nach der ersten Woche extra ihr Zeugnis angefordert, stachen mit lauter Einsen hervor. Sie hatte ebenfalls das Abi in der Tasche und schien eine ähnliche Laufbahn wie ihre Vorgesetzte anzustreben. Natürlich kannte hier niemand den Werdegang von Samantha. Um ihr das Wasser reichen zu können, genügte ein Einser -Abi alleine nicht.

      „Warum ist jemand zu so einer Tat in der Lage?“ Sie hatten sich bereits wieder voneinander gelöst.

      „Ich denke, der Täter will uns irgendetwas mitteilen. Was genau, kann ich erst sagen, wenn dieser SoKo-Chef uns später tatsächlich reinen Wein einschenken wird. Allerdings dürfen wir nicht zu viel Optimismus investieren, dass die tatsächlich auf die Mithilfe zweier Grünschnäbel angewiesen sind. Warten wir also das Gespräch nachher ab und versuchen so lange wieder den Normalpulsmodus einzunehmen. Wenn du willst, lade ich dich heute Abend auf einen Whisky ein.“

      Katrin nickte zustimmend und zeigte beim Einsteigen schon wieder ein leichtes Lächeln. Auch Farbe kehrte langsam wieder in ihr Gesicht zurück.

      5. Erste Aufarbeitung

      Auf der Dienststelle wurden zuerst einmal die Kollegen informiert. Vor allem darüber, dass die übergeordnete Instanz sich der Sache bereits angenommen hatte und auf die kleine Dienststelle sicher nicht groß zurückgegriffen würde.

      „So wie ich die Sachlage von hier aus beurteilen kann, wurde das Opfer eher zur Ablenkung in unseren Bezirk geschafft. Der Todeszeitpunkt liegt schon über vierundzwanzig Stunden zurück und der Ort, an dem man die Leiche gefunden hat, ist hundertprozentig auch nicht der Tatort.“

      Samantha ging nach diesem vorläufigen Schlussplädoyer in ihr Büro zurück und setzte sich nachdenklich vor den Computer. Da durchfuhr sie plötzlich eine Eiseskälte und verwehrte ihr das Atmen.

      Diese blöde Mail hatte sie in den letzten Minuten komplett verdrängt.

      >Morgen erwartet Dich in Waldau eine Überraschung!!!<.

      Sollte diese Nachricht tatsächlich auf den Toten anspielen? Zumindest war der Mord zu diesem Zeitpunkt sicher schon geschehen. Handelte es sich hier um einen Trittbrettfahrer oder warum wollte der Handymörder gerade ihr eine Nachricht zukommen lassen? Waren die eingeritzten Herzen für sie?

      Es klopfte an der Türe. „Ja bitte?“

      Polizeirat Steinhauser betrat das Büro, ohne auch nur ansatzweise zu fragen, ob er stören würde. Er setzte sich auf den Stuhl neben Samanthas Schreibtisch und übernahm sofort die Gesprächsführung.

      „Warum liegt der Tote, welcher sicher nicht an diesem Ort ermordet wurde, ausgerechnet in Ihrem Bezirk?“ Sam sah ihn etwas erstaunt an und hatte tatsächlich das Gefühl, als verdächtige Person verhört zu werden. Ohne die Antwort abzuwarten, legte er nach:

      „Haben Sie sich überhaupt schon mit den Fakten aus den Handymorden vertraut machen können?“

      „Wenn Sie mit vertraut machen meinen, ob ich die Zeitungsberichte verfolgt habe, so könnte ich diese Frage mit ja beantworten. Sollten Sie allerdings davon ausgehen, dass ich die Akten durchgearbeitet habe, auf welche wahrscheinlich nur eine ganz geringe Zahl ausgewählter Personen Zugriff hat, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Nein, ich habe mir keinen unerlaubten Zugang zu diesen Unterlagen verschafft.“

      Ihre patzige Art beeindruckte Steinhauser nicht wirklich.

      „Morgen haben Sie alles Wichtige, was die bisherige Ermittlung betrifft, auf dem Schreibtisch. Machen Sie sich ein Bild und teilen mir bitte zeitnah mit, ob Ihnen etwas auffällig erscheint und weshalb der Täter ausgerechnet Ihren Wirkungskreis gewählt hat.“

      Samantha war nun doch von diesem Tempo beeindruckt. Allerdings ließ sie auch der Gedanke nicht los, ob die Mail tatsächlich mit dem Mord zusammenhängen könnte und Steinhauser mit seiner Frage gar nicht so weit daneben lag.

      „Ich höre?“ Er schien auf eine Bestätigung zu warten.

      „Ich bin überrascht, dass Sie mir tatsächlich Einblick in die Unterlagen geben wollen und sie somit auf die Unterstützung eines kleinen Polizeipostens bauen.“

      Jetzt fing er auch noch an zu lachen: „Ich bin auf jede Hilfe angewiesen. Wenn Sie die Unterlagen durchschauen, werden