Robert Zirlewagen

Blutspur in die Vergangenheit


Скачать книгу

davon abhalten, die ganze Nacht vor der Haustüre zu warten. Er musste es jetzt zu Ende bringen und dann …..? Ja, dann würde er sich aus dem Staub machen. Irgendwo hin ins Ausland. Noch heute Nacht würde er Freiburg Richtung Italien verlassen und ein neues Leben beginnen.

      An der Eingangstüre lehnte eine Gestalt in einem schwarzen Jogginganzug mit Kapuze. Sie schien ebenfalls auf etwas zu warten. Er konnte zum Zeitvertreib den Typ zuerst mal verjagen und sich somit Luft auf der Wut-Skala verschaffen.

      „Auf wen wartest du?“ Er fauchte den Jogginganzug regelrecht an. Der kam allerdings zielstrebig auf ihn zu: „Auf dich, Thomas! Du hast unsere Anweisung nicht befolgt!“ Es war eine raue Stimme, die jedoch verstellt wirkte. Dem Hünen gelang es nicht, ein Gesicht unter der Kapuze wahrzunehmen. Die Antwort kam außerdem sehr überraschend und brachte ihn plötzlich in die Defensive. War das der Gleiche Typ, der ihm letzte Woche eine Verpasst hatte?!? Es machte ihm Angst und er fühlte sich kurz Wehrlos, den Angriff noch mal vor sich sehend. Nein! Der Kerl wirkte auf ihn selbst nervös und unsicher. Keine Spur von der Überlegenheit seines letzten Angreifers.

      „Ich soll dich von Claudia grüßen. Sie hat nun endgültig die Schnauze von dem Stalker voll und sieht keinen anderen Ausweg mehr.“

      Thomas stand wie angewurzelt da. Er, eine Dampfwalze, die gerade dabei war, alles im Weg stehende Platt zu machen und sich zurückzuholen was ihm zustand?!? Auf der anderen Seite ein schmächtiger Typ, kleiner als er, der darüber hinaus versuchte, ihm Angst zu machen und dabei offensichtlich selbst die Hosen voll hatte. Das wurde ihm doch zu blöd. Auf einen mehr oder weniger kam es heute Nacht vielleicht gar nicht mehr an! Er ließ ohne Ankündigung seine Faust schwingen und sah dabei schon die Schlagzeile seines Amoklaufes vor sich ablaufen.

      Dummerweise hatte er, in seiner Verwirrung, zu lange gewartet. Bevor die Keule nämlich einschlug, spürte er ein unangenehmes Gefühl am Hals und seine Beine versagten sofort. In Zeitlupe spürte Thomas wie er zu Boden ging. Es knatterte immer noch an seinem Hals. Er verlor ganz langsam das Bewusstsein, während ihm jemand mit den Fingern, nach der Manier eines Zahnarztes, im Mund herumfummelte und irgendetwas hineinsteckte.

      Er konnte es nicht fassen. Der Koloss lag wehrlos am Boden und sein Handy diente als Maulsperre. Wie konnte dieser Scheißabend doch nur so aus den Fugen geraten. War er gerade noch der Nachahmer eines gefährlichen Serienkillers, traf er wenige Minuten später tatsächlich auf selbigen? Was hatte der Handymörder mit Claudia zu tun?

      Er verlor das Bewusstsein endgültig und es stand für den Angreifer fest, dass dieser Mann ab heute niemandem mehr schaden würde. Wobei ihm das auch reichlich egal war. Nun musste die Leiche aber noch an den Platz geschafft werden, wo sie von einer ganz bestimmten Person zu finden wäre. Der Termin musste passen! Ob überhaupt schon jemand auf die Zahlenkombination seiner Opfer gestoßen war?

      Er verfolgte natürlich seinen eigenen Plan und hoffte einfach nur, dass man bald jemand für seine Morde hochnehmen würde. Jemand, der ihm zu seinem Glück im Weg stand.

      Sich beweisen, dass auch er etwas zu Ende bringen konnte und kein Versager war, stand leider an zweiter Stelle! Schade eigentlich, dass nie jemand erfahren durfte, was er hier gerade Großes schuf.

      1. Der neue Wirkungskreis

      Samantha saß entspannt an der Bar, im zweiten Stock einer ländlichen Diskothek. Der Schweiß ihrer zweistündig ausgeflippten Tanzeinlage, mit welcher der Kopf von den aufgestauten Lasten der letzten Wochen und Monate befreit werden sollte, sorgte für eine glänzend schimmernde Haut. Da dieses rhythmische Herumhüpfen nur bedingt zum Erfolg führte, signalisierte ihre Hand dem Barkeeper gerade die dritte Whiskybestellung. Der dunkelhäutige Glatzkopf servierte das Getränk mit einem freundlichen Lächeln, wobei seine riesige Zahnlücke aufblinkte.

      Seit Samanthas Einstieg bei der Kripo, markierte diese Versetzung vor vier Monaten ihr größtes Karrieretief und es schien sich nun doch tatsächlich die ungezügelt provozierende Vergangenheit zu rächen. Aktuell war es auch egal, wer oder was mit diesen Jugendsünden hätte abgestraft werden sollen. Vielmehr wurde ihr langsam klar, dass in diesem Moment nur eine Person die ganze Zeche bezahlen musste.

      „Entschuldigung, bist du nicht……..???“ Es war nun innerhalb der letzten zehn Minuten schon die dritte Anmache von rechts. Die beiden von links gar nicht erst mitgerechnet.

      „Nein, ich bin nicht die Piratenbraut aus Fluch der Karibik!!! Nein, ich bin nicht das Busendouble von Pamela Anderson und nein, du kennst mich auch nicht als Helene Fischer!“ Sie war mit ihren zweiunddreißig Jahren doch schon viel gewohnt. Aber weil sich in dieser Disko nur Jungs mit wesentlich weniger Lenzen herumtrieben, welche darüber hinaus offensichtlich auch noch alle den gleichen Anmachcoach hatten, verbesserte sich ihre aktuelle Situation nicht wirklich.

      „Du bist es tatsächlich! Sam, das Super-Luder aus dem Ruhrpott.“

      Das hartnäckige Anbaggern fortsetzend erreichte der Fan nun sogar, eines Blickes gewürdigt zu werden. An der Bar im Obergeschoss, welche eher einem thekenbesetzten Balkon um die darunterliegende Tanzfläche glich, war nicht übertrieben viel los. Außer diesem Typen, welcher ihr nun doch bekannt vorkam, gab es noch zwei wilde Zocker, die etwas weiter hinten an der Wand auf den Automaten herumhämmerten.

      „Daniel???“ Er grinste erfreut, tatsächlich noch in diesem weiblichen Gedächtnis zu existieren, während Sam es kaum fassen konnte, endlich mal wieder jemand aus dem alten Leben zu treffen.

      „Daniel? Der einzige Junge des Thomas-Hansen-Gymnasiums, mit dem ich nie Sex hatte.“ Dieser Joke, mit welchem sie ihn schon früher immer hochgenommen hatte, entlockte nun auch ihm ein Schmunzeln. Sie waren zwei Jahre in dieselbe Klasse gegangen und pflegten, bis auf diese Frotzelei, kein schlechtes Verhältnis. Grinsend holte Daniel zum Gegenschlag aus: „Wenn ich mich richtig erinnere, dann hatten wir doch Sex. Vielleicht ist der Grund für deine fehlende Erinnerung, dass du ja nur als Foto die Toilette mit mir teilen durftest. Allerdings muss ich dich an dieser Stelle enttäuschen. Es gab da noch Bilder von anderen Personen, welche mich wesentlich mehr anmachten.“

      Ihr offenstehender Mund verriet, dass dieser Haken gesessen hatte, weshalb er sofort noch einmal zum Nachtreten ausholte: „Nein, aber im Ernst. Ich weiß mittlerweile, dass du mit diesem Spruch immer übertrieben hast. Klaus, der blonde Junge aus unserer Parallelklasse, hat mir vor zwei Jahren gestanden, dass auch er nicht……..“, jetzt musste Daniel husten und Samantha kam ins Grübeln.

      „Du hast recht. Ich erinnere mich an ihn. Er war so ein hübscher smarter Popper, der mir eigentlich recht gut gefiel. Hat dir dieses Weichei vielleicht auch verraten, wieso er in meiner Gegenwart nie den Mund aufbrachte, dafür aber bei meinen Kontaktversuchen sofort den Schwanz einzog?“ Mit schmunzelndem Gesichtsausdruck nickte er und fing dann laut an zu lachen.

      Doch vor der Antwort tippte er noch einmal, den Blick an den Barkeeper gewandt, auf den Whisky und hob dabei zwei Finger.

      „Ja, ich glaube den Grund dafür jetzt gut zu kennen. Wir beide sind seit über einem Jahr ein Paar.“

      Dieses Mal schaltete Samantha recht schnell, sprang lachend vom Hocker und umarmte den Sitznachbarn. Es überkam sie spontan und wirklich unerwartet so ein Gefühl, als hätte sie gerade eine alte Freundin wiedergefunden.

      „Wahrscheinlich bist du somit der einzige Junge in diesem Schuppen, der tatsächlich nur die Absicht hat, mit mir einen zu heben. Ja, vielleicht bist du jetzt auch noch mein letzter Kumpel auf der Welt, mit dem ……,“ sie stockte und völlig unerwartet überkam sie die Melancholie, was Daniel natürlich nicht bemerken durfte.

      Warum konnte sie nur so tief sinken??? Junge Menschen leben, machen verrückte Sachen und bedenken dabei nicht, dass sie in diesem Moment gerade ihre komplette Zukunft aufs Spiel setzen. Das Ergebnis war bei ihr die Flucht aus dem Ruhrpott, wo sie aufgewachsen war, und endete nun ganz im Süden Deutschlands. Alleine der herrlichen Schwarzwaldlandschaft gelang es noch einigermaßen, sie täglich zum Aufstehen zu motivieren.

      Und nun kam tatsächlich ein Freund, aus der überhaupt nicht vermissten alten Zeit und weckte Erinnerungen.