Stefan Högn

NESTOR


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und es gibt ein Gewitter, das ist das Normalste auf der Welt.«

      »Pah!«

      Aaron und Judith stellten sich unter ein kleines Vordach und schauten besorgt zum Himmel, genau wie Lilly und Nestor, die beide aus ihren Fenstern sahen und sich dabei einen Guten Morgen wünschten.

      »Ob wir bei dem Wetter überhaupt fahren können?«, fragte Lilly Foo.

      »Lust hab’ ich keine, aber wer weiß, wann das nächste wirklich seetaugliche Schiff hier anlegt? Ich glaube kaum, dass wir eine andere Wahl haben.« Nestor klang wenig begeistert.

      Als sich das Gefolge im Gastraum versammelte um nicht allzu nass zu werden, räumten zwei Frauen die Reste des vorherigen Abends weg. Scheinbar war die Feier ein mittelgroßes Gelage gewesen, denn überall standen noch leere, teilweise umgekippte Becher herum, Teller auf denen noch Speisereste lagen und an einem Tisch saß ein Mann, der auf die Platte gelehnt selig schlief, weil er betrunken den Heimweg nicht mehr antreten wollte oder konnte.

      Nestor und Lilly kamen die Treppe herunter und beim Anblick des Mannes freute sich Nigglepot, dass er den Fehler mit dem Wein letzte Nacht nicht wieder gemacht hatte.

      »Bringt uns Frühstück und danach Lakis. Ich will bezahlen«, sagte er zu einer der Frauen, die zackig verschwand um den Wirt zu wecken.

      »Wenn ich hier etwas zu sagen hätte, wäre das aber gestern Nacht noch aufgeräumt worden«, stellte Roxanna fest.

      »Davon bin ich überzeugt ...«, sagte Nestor und verzog die Mundwinkel, obwohl sie recht hatte.

      Aaron und Judith räumten einen Tisch frei, damit sie sich wenigstens setzen konnten und wenig später tauchte die Frau auf, die den Wirt wecken wollte.

      »Verzeiht, Herr! Lakis ist noch nicht aufgestanden, er hat gestern noch mitgefeiert«, stammelte die Sklavin des Wirts. »Ich fürchte, er wird auch so bald nicht wach werden.«

      »Und wer rechnet jetzt ab? Weckt ihn, sofort!«

      »Ja, Herr! Ich will es versuchen«, meinte die Frau.

      Das Wetter war schlecht, das Frühstück stand noch nicht auf dem Tisch und der Wirt war nicht wachzubekommen. Die Seefahrt hätte kaum schlechter beginnen können, aber die Chancen in den nächsten Tagen eine andere Gelegenheit zur Überfahrt nach Syrakus zu bekommen waren nun mal schlecht.

      Die andere Bedienstete brachte Brot und Früchte zum Frühstück. Alle griffen beherzt zu, nur Lilly und Nestor hatten keinen rechten Hunger.

      »Ihr sollt euch zum Teufel scheren ...«, richtete die Frau aus, die Lakis wecken sollte.

      »Wir können ja wohl kaum abreisen, ohne unsere Zeche zu zahlen«, sagte Nigglepot mürrisch.

      »Ihr könnt schon, aber ihr solltet euch hier nicht wieder blicken lassen!«

      »Was meinst du, was wir bezahlen müssten?«, fragte der Zeitreisende die Sklavin.

      »Gute Frage ... vielleicht zwanzig Drachmen?«

      Nigglepot gab ihr die genannte Summe und nachdem alle fertig mit ihrer Mahlzeit waren, brachen sie auf. Er selbst und Lilly trugen ihr Gepäck nach unten, Roxanna klaubte ihre Sachen zusammen und Darian, Judith und Aaron taten es ihr gleich.

      Kurze Zeit später wurden die Tiere auf die Straße geführt und alle luden ihre Bündel auf den Eselskarren. Es goss in Strömen und der Wind kam stramm von Süd-Ost als alle den Hafen erreichten.

      »Da seid ihr ja endlich!«, begrüßte Kapitän Dias seine Reisegäste. Er war in Lederkleidung gehüllt, die zumindest etwas Schutz gegen das Wetter bot. »Beeilt euch! Das Wetter wird erst heute Nachmittag besser werden!«

      Der Hengst und der Esel sträubten sich nach Kräften gegen den Weg über die Planke auf die Galeere, sodass einige Rudersklaven zur Hilfe kommen mussten um die Tiere an Bord zu zwingen. Darian, Judith und Aaron zogen den Karren von Hand an Bord, was ebenfalls schwierig war. Die Planke die vom Kai auf das Schiff führte war kaum breiter als das Gefährt und die Sparren quer über dem langen Brett erschwerten die Aufgabe zusätzlich.

      Als alle erschöpft an Bord waren, legten sie unter lautem Geschrei ab, denn das Wetter ließ keine normal gerufenen Kommandos zu. Arf versteckte sich so schnell er konnte unter dem Eselskarren und tauchte während der ganze Überfahrt nicht mehr auf.

      Der Steuermann lenkte das Schiff geschickt aus dem Hafen. Vor dem ersten gemeinsamem Schlag aller Riemen mussten die Paddel auf der Kaiseite das Schiff vom Hafen abstoßen, und erst dann stritten die Riemen mit den Wellen, die ihnen auf der Fahrt nach Syrakus den Weg erschwerten.

      »Schlechtes Wetter kostet extra!«, brüllte der Kapitän zu Nigglepot und strahlte quer über sein regennasses Gesicht.

      »Da wo ich herkomme, wird nur die Überfahrt berechnet«, sagte Nestor und musste sich plötzlich an der Reling festhalten, weil ein Brecher außerhalb des Hafenbeckens sie voll erwischte.

      »Ja, aber Gott Euros zürnt uns! Ich werde mit dem zusätzlichen Geld ein Opfer bezahlen müssen«, strahlte Dias.

      »W-wenn ... i-ihr meint ...«, stammelte Nigglepot, der blassgrün mit beiden Händen Halt an der Reling suchte, denn es ging ihm nicht gut.

      »Großartige Idee!«, brüllte der Steuermann von der Ruderpinne hinüber zum Kapitän und freute sich ebenfalls.

      In der Tat konnte es für unredliche Seeleute kaum besser kommen, als bei einem Unwetter unbedarfte Edelmänner mit Gefolge die Küsten entlang zu schippern.

      Wer sich übergibt, übergibt gern viel bei der Ankunft war eine feste Regel unter den Fährleuten im alten Griechenland. Je größer die Strapazen unterwegs, umso größer die Bezahlung bei der Ankunft. Vielleicht mussten sie die Reisenden gar nicht ausrauben und als Sklaven verkaufen!

      Lilly kannte Galeeren nur aus Büchern. Sie wusste, dass die Antriebskraft aus den Armen der gequälten Sklaven, ein Deck tiefer, stammte. Im gleichförmigen Rhythmus stießen sie die Riemen ins Wasser und zogen sie mit aller Kraft zurück – wenn es sein musste stundenlang.

      Der Steuermann wechselte sich nach dem Auslaufen mit dem Kapitän ab, der die Ruderpinne fest mit beiden Händen packte, während sein Spezi unter Deck ging. Oben wütete das Unwetter und alle waren nass bis auf die Knochen. Eine Etage tiefer gab es zwar kein Wetter, aber die Ruderer waren vom Schweiß so nass, als wären sie oben. Lilly folgte dem Steuermann in sicherem Abstand.

      Sie hörte, wie er die Galeerensklaven anbrüllte und unbarmherzig mit der Peitsche um sich schlug.

      »Lass’ die faulen Säcke schneller rudern!«, brüllte er den farbigen Sklaven an der Trommel an, der den Ruderrhythmus vorgab. Alle Sklaven – auch der Trommler – waren mit einer langen Kette an ihren Füßen so gefesselt, dass sie gerade genug Raum hatten, ihrer Arbeit nach zugehen. Die Rücken der Ruderer waren vernarbt und das Blut der frischen Peitschenwunden verdünnte sich mit dem Schweiß, sodass beinahe jeder einen hellroten Rücken hatte. Das Mädchen kauerte auf der Treppe, um nicht gesehen zu werden. Vorsichtig und ängstlich atmete sie durch die Nase und roch eine eklige Mischung aus Schweiß, Blut, Angst, Hass, Schimmel und moderigem Holz ein.

      Der Steuermann ging auf dem Steg zwischen den beiden Bankreihen langsam auf und ab. Lilly hatte jedes Mal Angst, er könnte sie entdecken, wenn er wieder zurück kam, aber dieser Widerling hatte nichts anderes im Kopf als die armen Männer zu quälen.

      Immer wieder hieb er mit der Peitsche durch das ganze Deck. Aber noch schlimmer waren die unvermittelten Schläge mit dem Griff der Peitsche, direkt an die Schläfen der Ruderer. Sie sanken sofort benommen zusammen und ihre Sitznachbarn taten was sie konnten um die Kameraden wieder aufzuwecken, doppelt so stark zu rudern und dabei den Rhythmus nicht zu verlieren, was anderenfalls neue Schläge nach sich zog.

      Die Männer hatten über viele Jahre alle Kraft verloren sich gegen diesen bösen Menschen zu wehren, aber ihr Hass wuchs mit jedem Trommelschlag. Lilly wurde schlecht und sie schlich wieder nach oben, unentdeckt wie sie vermutete. Aber sie irrte, denn der Steuermann hatte die ganze Zeit gewusst, dass sie da auf der