Stefan Högn

NESTOR


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würde.«

      »Ich weiß, dass sie das nicht tun, aber wir machen es. Und ich kann ihnen sagen, Chief, dass können so viele nicht sein, nicht in London, nicht in England oder sonst auf der Welt«, sagte die Sekretärin selbstbewusst und schubste Fazzoletti von seinem Sessel. Dann tippte sie so flink auf der PC-Tastatur des Chief Inspectors herum, dass diese sich zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich gebraucht und nicht – wie sonst – nur benutzt fühlte.

      Die Fenster auf dem Monitor öffneten und schlossen sich wieder. Programme, von deren Existenzen Fazzoletti noch nie etwas gehört hatte und deren Anwendung ihm völlig unbekannt waren (und blieben), wurden gestartet und wieder beendet, bis plötzlich der ganze Monitor violett leuchtete. Mittig prangte in hübschen, weißen Buchstaben auf Englisch Violet Reality und der Computer forderte die Benutzerin zur Passworteingabe auf.

      »Können sie mal weggucken, Chief? Das ist geheim!«

      »Was?«, antwortete dieser verdattert und drehte widerwillig seinen Kopf zur Seite. Dann fiel ihm ein, dass dieses sein Computer war und er, seiner Meinung nach, Anspruch auf dieses Wissen hatte. Aber da war Miranda schon fertig.

      »Google können sie vergessen, Chief! Hier findet Frau wirkliche brauchbare Informationen.«

      Während Miranda einen Suchtext eingab, fragte Fazzoletti die Sekretärin: »Wieviele lila Mäuschen gibt es eigentlich?«

      »Ach, in England ein paar hunderttausend. Auf der ganzen Welt wohl einige Milliönchen.«

      Der Chief Inspector staunte nicht schlecht und las den Suchtext: »Hallo ihr Süßen! Ich habe da einen Spezialauftrag für Euch. Ich suche einen Mann, der immer bestens gekleidet ist, ausgesprochen stilvoll auftritt, leider sehr eingebildet, dafür aber vermutlich unverheiratet und ganz sicher ausgesprochen wohlhabend ist. Sein Aufenthaltsort ist wahrscheinlich England, er ist ungefähr 185 cm groß, schlank, ca. 45 Jahre alt, hat mittelbraune Haare, blaue Augen und sein Name lautet Nestor Nigglepot. Küsschen, eure MIRANDA3007«

      Kurz, nachdem Miss Simmons auf den Senden-Knopf geklickt hatte, wurden zeitgleich einige Millionen Textnachrichten an ebenso viele Handys auf der Welt geschickt und in Seldom House aktivierte sich Sofia schlagartig.

      XVI

      Viecher

      Nach dem gemeinsamen Essen teilte sich die Gesellschaft um Nestor und Lilly auf. Nigglepot begleitete Judith und Aaron zum Hafen um eine Schiffspassage nach Syrakus zu ergattern. Lilly begleitete, mit Arf auf dem Arm, Darian und Roxanna zum Viehmarkt.

      »Wie kannst du nur immer diesen Hund mitschleppen?«, wollte die Athenerin wissen.

      »Na ja … ich bin ein Kind, und jedes Kind will doch irgendwann einen Hund haben.«

      »In welcher Zeit lebst du eigentlich? Seit wann wollen Kinder Hunde haben? Falken oder Schlangen, vielleicht. Aber so einen kläffenden Köter? Unser Herr scheint ja einen Narren an dir gefressen zu haben, sonst hätte er dir und der Flohquaste einen Tritt verpasst«, ätzte die Frau.

      »Pass auf auf deine Worte auf!«, sagte Darian bestimmt. »Herr Nestor hat gesagt, dass Lilly ihn vertritt, wenn er nicht dabei ist.«

      »So weit ist es schon gekommen«, nörgelte Roxanna leise vor sich hin und Arf bewies eine gute Menschenkenntnis, denn er knurrte sie unablässig an.

      Lilly war mit ihrer neuen Rolle als Abteilungsleiterin noch nicht vertraut, sonst hätte sie Roxanna ein paar passende Worte gesagt. Eingefallen wären ihr genug. Aber sie war ein Mädchen aus einer anderen Zeit, die im Umgang mit Sklaven nicht nur ungeübt war, sondern der auch jede Form von Machtausübung und Unterdrückung zuwider war. Sie wusste, dass, wollte sie ihre Rolle gut spielen, sie sich daran gewöhnen musste, nach oben zu buckeln, also Nestor nicht widersprechen, und nach unten treten also auf die anderen Sklaven Druck ausüben.

      Fest stand, dass sie Roxanna im Auge behalten musste, denn von den Vieren, die zu ihrer kleinen Gruppe gestoßen waren, war die Frau aus Athen ganz sicher diejenige, von der am meisten Ärger ausging.

      Sie erreichten den Viehmarkt. Lakis hatte ihnen zwar den Weg gesagt, aber Darian wusste ihn schon längst, denn er interessierte sich ja für Tiere und deswegen war er schon einige Male hier gewesen.

      »Wofür braucht der Herr denn die Tiere genau?«, wollte er von Lilly wissen.

      »Na ja, das Pferd ist zum Reiten gedacht und der Esel soll einen Karren ziehen.«

      »Das weiß ich. Aber will er ein schnelles oder ein starkes Pferd? Braucht er einen jungen Esel, der viel tragen könnte oder einen alten Esel, der weit tragen würde?«

      »Du stellst Fragen … was würdest du denn nehmen?«, fragte sie zurück.

      »Tja, das kommt eben darauf an, was der Herr will. Habt ihr denn nicht darüber gesprochen?«

      »Doch, doch«, log sie. »Ich wollte nur deine Meinung hören.«

      »Ich würde ein starkes Pferd nehmen, das mich weit tragen könnte. Die Straßen und die Felder auf dieser Insel sind so uneben, dass ein schneller Galopp schwer möglich ist.« Dann schaute Darian zu den Eseln. »Und was die Grauen angeht … da sind ja nur drei. Ich würde den nehmen, der am gesündesten ist. Jung ist von denen eh keiner mehr.«

      »Dann machen wir das so, wie du gesagt hast, Darian. Sprich mit den Händlern und versuch sie so weit wie möglich runter zu handeln, Roxanna kann dir dabei helfen. Ich schaue inzwischen nach einer Hundeleine«, sagte Lilly.

      »Eine was?«, fragten die beiden anderen zeitgleich.

      »Das ist so ein Ding, das ich Arf um den Hals binden kann, damit er nicht wegläuft und ich ihn nicht die ganze Zeit tragen muss.«

      Roxanna und Darian starrten sie ungläubig an.

      »Auf Korfu geht heutzutage kein Hundebesitzer mehr ohne auf die Straße«, schwindelte sie schon wieder und stellte zu ihrem Erstaunen fest, dass es ihr sogar ein bisschen Spaß machte, den Anderen etwas vorzumachen.

      »Da würde ich mal bei den Geschirrmachern fragen, die haben vielleicht einen kleinen Gürtel und ein Seil«, schlug Darian vor.

      »Wenn ich dem Hund ein Seil um den Hals binden würde, bräuchte er bald keines mehr«, stellte Roxanna fest.

      Lilly wollte zwar tatsächlich eine Hundeleine kaufen, aber zuerst hielt sie nach ein paar Metern inne, um den Mann und die Frau zu beobachten. Sie wollte wissen, wie sie sich vertrugen, wenn weder Nestor oder sie selbst in der Nähe waren.

      Ein Team waren sie nicht, das konnte die Chinesin schon nach wenigen Augenblicken erkennen. Roxanna wollte ständig Recht behalten, während Darian mit wirklich stichhaltigen Argumenten dagegen hielt.

      Leider konnte sie nur wenig verstehen, denn nicht nur die Tiere, Arf eingeschlossen, sondern auch jeder andere machte Lärm. Niemand schien in dieser Stadt das Wort Leise zu kennen, solange es hell war. Es wurde gehämmert, gesägt, geflucht, gesungen, gestritten und immer in einer Lautstärke, die selbst in London und in ihrer Heimatzeit jedem unangenehm aufgefallen wäre.

      Die Menschen waren zwar weniger gehetzt, aber solange gearbeitet wurde, schien jeder darauf bedacht zu sein, dass alle anderen ihr Tagwerk auch hören konnten.

      Außerdem stank es. Das war von einem nahegelegenen Viehmarkt auch nicht anders zu erwarten, aber es stank auch sonst überall in dieser Stadt. Das Wasser vom Hafen müffelte brackig und nach verdorbenem Fisch. Die Gerberei neben dem Viehmarkt verschlug einem den Atem und hinter jedem Haus gab es irgendwo eine Ecke, wo die großen und kleinen Geschäfte der Stadtbewohner hingeschüttet wurden. Ab und zu nahm ein Sklave gnädig einen Eimer Wasser und spülte den ganzen Mist auf die Straße. Aber es war heiß und Regen war hier scheinbar unbekannt, darum verbiss sich der Geruch in der Nase – kurzum, es war eklig.

      Roxanna und Darian zankten sich noch immer und Lilly schlug den Weg zum Geschirrmacher ein. Sie fand auch schnell etwas Passendes für Arf, dem sie in den nächsten Tagen das ordnungsgemäße Erledigen von Geschäften beibringen musste, obwohl sie ein schlechtes Gewissen für