Stefan Högn

NESTOR


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      »Siehst du! Den Herrn interessiert das sogar selber!«, triumphierte Aaron über seine Schwester, die den Zeitreisenden fragend ansah.

      Nestor hatte erst jetzt gemerkt, dass er ungewollt für Verwirrung gesorgt hatte und war erleichtert, als er jemanden völlig aufgerichtet und ganz ohne Gepäck von Bord gehen sah.

      »Da! Das muss der Kapitän sein! Kommt, wir fragen ihn!« Nigglepot schaute gar nicht zurück, sondern machte sich sofort auf, damit ihm der Mann nicht entwischte und die Geschwister liefen hinter ihm her.

      »Kapitän!«, rief Nestor. »Kapitän, warten sie!«

      Der andere Mann blieb verdutzt stehen und schaute auf die drei Menschen, die sich ihm näherten.

      »Was wollt ihr?«, fragte er kühl, als Nestor ihn erreicht hatte.

      »Wir suchen eine Überfahrt nach Syrakus.«

      »Und da habt ihr an mein Schiff gedacht?«

      »Ich zahle gut«, entgegnete Nestor protzig.

      »Herr … wenn ich euer Geld wollte, würde ich euch eins über die Birne ziehen und dann hätte ich es!«, sagte der Seemann und machte deutlich, dass er keinen Respekt vor reichen Leuten hatte.

      »Ihr seht mir nicht aus wie ein Pirat, Kapitän!«

      Bei dem Wort Pirat rückte Aaron ganz nah an seine Schwester, die ihn fest an sich drückte.

      »Wer auf diesem Meer ein Schiff hat, ist entweder Pirat oder Opfer. Wofür würdet ihr euch entscheiden?«, fragte der Kapitän.

      »Ich würde vermuten … Pirat?«, sagte Nestor, als ob er überlegt hätte. Dann legte er freundschaftlich seinen Arm um die Schulter des Seemanns und sagte: »Mein Freund! Bringt mich, meine Sklaven, mein Pferd und meinen Eselskarren nach Syrakus – und wir beide werden auf dieser Fahrt nur etwas zu gewinnen haben.«

      Der Kapitän schälte sich aus Nestors Umarmung und fragte geradeheraus: »Was habt ihr auf dem Kerbholz?«

      »Kapitän, fragt ihr den Wein in den Amphoren auch, wie er den Empfängern wohl schmecken wird?«

      »Wenn ihr verfolgt werdet, könnt ihr es sofort vergessen«, sagte der Kapitän misstrauisch.

      »Wir werden nicht verfolgt und wir werden euch für die Fahrt angemessen bezahlen«, sagte Nestor, so beruhigend er konnte. Aber der Seemann hatte eine gute Menschenkenntnis und blieb auf Distanz.

      »Der Preis wird sich verdoppeln, wenn ich gegenteiliges höre, Herr ...«, sagte der Kapitän.

      »Nestor. Nestor von Korfu!«

      »An Bord nennt man mich Dias. Wann wollt ihr reisen, Herr Nestor von Korfu?«

      »Morgen früh, wenn es euch passt, Herr Dias.«

      »Dann sehen wir uns hier, in der zweiten Stunde nach Sonnenaufgang, Herr Nestor!«

      »Sehr gut … kommt Kinder, wir schlafen zeitig!«, sagte Nestor, als er mit Dias durch Handschlag handelseinig war und machte sich auf den Weg zur Herberge.

      Der Steuermann, den weder Nestor, noch Judith oder Aaron bemerkt hatten, lehnte während des ganzen Gesprächs an der Reling und hatte gelauscht. Nachdem Nigglepot und die Geschwister außer Sicht waren, kam er zu Dias hinunter und sagte: »Interessante Kundschaft …«

      »Was meinst Du?«, fragte der Kapitän.

      »Wo kommt der Kerl her?«, fragte der Steuermann.

      »Korfu … sagt er zumindest«, antwortete Dias.

      »Das würde mich doch sehr wundern«, entgegnete der andere.

      Dias lächelte beinahe unmerklich, aber der Steuermann verstand die unmissverständliche Geste des Kapitäns sofort.

      Als Nestor und sein Gefolge die Herberge erreicht hatten, kamen auch Roxanna, Darian und Lilly mit den Tieren an, die von Lakis sofort in den Stall dirigiert wurden. Natürlich verdrehte er die Augen, als er Lilly mit Arf an seiner Leine sah.

      »Darian, Roxanna, Judith, Aaron … geht schon mal in den Gastraum und bestellt Abendbrot für uns alle, Lilly und ich kommen gleich nach«, sagte Nestor.

      »Ja, Herr!«, antwortete Aaron, die anderen nickten nur.

      Nigglepot nahm Lilly beiseite und führte sie nach draußen, dann schaute er sich kurz um und ergriff leise das Wort.

      »War irgendetwas besonderes?«

      »Diese Roxanna ist eine schwierige Frau. Darian kommt nicht sehr gut mir ihr aus und mich kann sie – glaube ich – gar nicht leiden. Aber sie kann wirklich gut feilschen.«

      »Und wie bist du zurechtgekommen, Lilly«

      »Weißt du, Nestor von Korfu, so langsam gewöhne ich mich an das Lügen. Du bist ein guter Lehrer!«, antwortete sie.

      »Ich muss doch sehr bitten, das mit der Ehrlichkeit hatten wir doch schon. Die Wahrheit glaubt einem doch sowieso kaum einer. Und dich habe ich noch nicht belogen, das steht mal fest«. Nestor klang nicht wirklich beleidigt.

      »Hast du eine Überfahrt gefunden?«, wollte Lilly wissen.

      »Ja, bei einem zwielichtigen Kapitän, der uns nicht wirklich wohl gesonnen sein dürfte. Aber alle anderen Schiffe sahen aus, wie schwimmende Särge. Wir müssen uns in Acht nehmen.«

      »Hast du etwa Angst, Nestor von Korfu?«, ärgerte ihn das chinesische Mädchen.

      »Junge Dame! Angst hatte ich das letzte Mal vor fast 2.500 Jahren«, gab Nestor eingebildet zurück.

      »Du meinst wohl in 2.500 Jahren?«

      »Wann lernen Kinder eigentlich, dass sie nichts mehr sagen sollten?«, stellte Nigglepot in den Raum.

      »Wenn sie begriffen haben, ob die Erwachsenen etwas denken oder sagen wollten, Nestor von Korfu!«

      Nigglepot ließ die Schultern sinken und fragte nach einer kurzen Pause: »Kannst du nicht auch mal Herr zu mir sagen?«

      »Vergiss es«, kicherte Lilly Foo.

      Der Abend dämmerte bereits und im Gastraum wurden die Öllampen entzündet. An einem Tisch in der Ecke saßen die vier Sklaven und warteten auf die Zeitreisenden. Lakis hatte schon etwas zu essen bringen lassen.

      Nachdem alle satt waren, was bei Aaron lange dauerte, wies Nestor alle an, zu Bett zu gehen und nahm Darian beiseite.

      »Ich möchte, dass du ein besonderes Auge auf Judith und ihren Bruder hast. Ich will nicht, dass ihnen etwas passiert. Die beiden brauchen einen Beschützer.«

      »Was ist mit Roxanna?«, fragte der Perser.

      »Die kann ganz gut auf sich selber aufpassen«, entgegnete Nigglepot.

      »Ich werde aufpassen, Herr Nestor!«

      »Danke! Gute Nacht«, sagte Nestor und ging die Treppe hinauf.

      »Passt ihr auf Lilly auf?«, rief Darian ihm hinterher.

      »Die kann auch ganz gut auf sich selber aufpassen!«

      XVII

      Sturm

      Kurz vor Sonnenaufgang zog ein mächtiges Gewitter herauf, das im Gesindelager für frühes Aufstehen sorgte, denn es regnete heftig in den Hof, der nur spärlich bedacht war.

      »Und ausgerechnet heute müssen wir mit einem Schiff quer Über das Meer fahren«, beschwerte sich Roxanna, die offensichtlich schon morgens schlechte Laune hatte.

      »Bei normalem Wetter, würde die Fahrt vielleicht drei Stunden dauern. Es sind nicht mal zehn Parasanges bis Syrakus«, versuchte Darian, der nur wenig geschlafen hatte, weil im Gastraum bis tief in die Nacht gefeiert wurde, die Frau aus Athen zu beruhigen. Der Perser sah es von der guten Seite. Immerhin konnte er so gut auf alle aufpassen.

      »Gott Euros ist erzürnt und