Stefan Högn

NESTOR


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...«, sagte sie, besann sich dann aber eines Besseren. »Doch, wir suchen die besten Sklaven der Welt. Vier Stück um genau zu sein. Sie sollten schreiben können, treu zu ihrem Herrn stehen, lustig sein, arbeiten können, freundlich sein, streiten können, faulenzen wollen, nicht allzu alt, gesund und ehrlich sein.«

      Nestor stand der Mund offen, als er Lilly bei ihren Ausführungen betrachtete. Dann schloss er ihn wieder und sagte zu Lefteris: »Habt ihr da was Passendes?«

      »Hui!«, staunte der Sklavenhändler und wandte sich an seine Angebotspalette: »Fühlt sich da einer von euch angesprochen?«

      »Muss man alle Punkte erfüllen?«, fragte ein Junge in Lilly Foos Alter.

      »Nein, aber die meisten«, antwortete das Mädchen, nachdem sie kurz überlegt hatte.

      »Hey!«, sagte ein Mann und knuffte seinen Nachbarn, »Das wär doch was für dich. Du bist ehrlich faul ...« Und alle lachten sich halb kaputt.

      »Jetzt reißt euch mal zusammen«, unterbrach Lefteris irgendwann die fröhliche Runde. »Ich kann euch hier nicht alle ewig durchfüttern, ab und zu muss ich mal ein paar von euch verkaufen.«

      Alle schauten betreten und nickten. Das ganze wirkte eher wie eine Genossenschaft und weniger wie ein Sklavenmarkt. Alle schienen sich bei Lefteris häuslich eingerichtet zu haben und wollten offenbar auch nicht wirklich weg. Das gefiel dem chinesischen Mädchen.

      »Vielleicht sollten wir doch noch mal zu Metros gehen«, sagte Nestor und machte schon kehrt, denn das Angebot hier wirkte ihm zu aufsässig.

      »Kommt gar nicht in Frage«, hielt Lilly ihn auf »Also?«

      Ihr Blick richtete sich an jeden Einzelnen in der Runde und als Erstes stand der Junge auf, der gefragt hatte. Er nahm die Hand einer jungen Frau und zog sie mit sich hoch.

      »Komm, Judith! Wir gehen mit den beiden.«

      Als nächstes erhob sich ein gebräunter Mann um die Zwanzig und ihm folgte noch eine Frau, die in Nigglepots Alter war.

      Lilly strahlte Nestor mit großen Augen an: »Kann ich die vier haben, Herr?«

      Herr Nestor seufzte tief und wühlte dann nach seinem Geldbeutel »Wie viel?«

      »Sagt einen guten Preis, Herr«, forderte Lefreris ihn zum Feilschen auf.

      »100 Drachmen?«

      »Eine Mine? Seid ihr verrückt? Sie sind das Doppelte wert. Fragt sie selbst ...«, entgegnete der Sklavenhändler.

      »200 Drachmen?«, Nestor fragte erst gar nicht, weil er wusste, dass sie ihrem Verkäufer nicht wiedersprechen würden.

      »Verkauft: Ich gratuliere! Ihr werdet es nicht bereuen.«

      Daraufhin platzte die unverkaufte Ware wieder in schallendes Gelächter aus.

      Nestor sah in Lillys Augen, zog ahnend eine Braue hoch, gab Lefteris das Geld und wollte dem Zugang seiner Reisegruppe den Abmarsch signalisieren, als Lefteris hastig sagte: »Wartet! Wartet! Ich hab’ noch eine Gratis-Zugabe für Euch!«

      Lilly und Nestor wunderten sich.

      Dann drückte der Sklavenhändler der Chinesin den sich ebenso wundernden und kläffenden Hund in den Arm.

      »Danke«, sagte sie und freute sich.

      »Arf, arf«, sagte der Hund und wusste nicht, ob er sich freuen sollte.

      Nestor ließ ermattet die Schultern sinken und schlug den Weg zur Herberge ein. Sein Gefolge tat es ihm gleich.

      Lefteris setzte sich wieder zu seiner Ware und begann zu würfeln. Einer sein Mitspieler schaute ihn an und sagte: »Der Hund gehörte doch gar nicht dir!«

      »Na, und? Jetzt ist er ein Werbegeschenk.«

      Nestor, Lilly, die Neuerwerbungen und der Hund hörten das schallende Gelächter von Lefteris Runde langsam hinter sich leiser werden, als sie den Hafen ansteuerten. Wenig später standen sie an einer Kaimauer und Nigglepot ergriff das Wort.

      »So, Herrschaften ... ach nein, das bin ja ich, Entschuldigung! Nochmal ... so, Männer und Frauen!«, versuchte Nestor das Wort souverän zu ergreifen, was aber wieder gründlich misslang.

      »Und Kinder!«, sagte der eben gekaufte Junge.

      »Ja, genau ... und Kinder!«, pflichtete ihm Lilly bei, die sich sichtlich freute das Nestor mit der Situation überfordert war.

      »Meinetwegen ... also, Männer, Frauen und Kinder! Mein Name ist Nestor von Korfu! Ich bin euer neuer Herr.«

      Alle verbeugten sich, nur der Hund kläffte ihn an.

      »Und das dort ist Lilly Foo! Sie ist meine Dienerin und wenn ich nicht da sein sollte, habt ihr ihr zu gehorchen. Verstanden?«

      Alle außer dem Hund nickten.

      »Wir befinden uns auf dem Weg nach Syrakus. Wenn ihr uns dabei unterstützt, werdet ihr ein angenehmes Leben haben – vielleicht nicht ganz so entspannt wie bei Lefteris, aber es könnte schlimmer kommen. Ich will mich nur auf euch verlassen können wie auf Lilly.« Nestor schaute jedem einzelnen lange in die Augen und alle gaben zu verstehen, dass sie auch dieses verstanden hatten. Nur der Hund ließ ein respektloses »Arf, arf!«, vernehmen.

      »Wie heißt ihr und wo kommt ihr her?«, wollte Lilly wissen, während der Hund versuchte sich in Nestors Sandalen zu verbeißen.

      Als Erstes ergriff der junge Mann das Wort. Er sprach mit phönizischem Akzent und war mit einer Art Shorts, einem Stoffüberwurf und Sandalen bekleidet. Seine Größe war beeindruckend und sein Kopf kahl geschoren.

      »Mein Name ist Darian, ich stamme aus einem Dorf in Persien, jenseits des Flusses Jordan. Ich wurde von Phöniziern verschleppt, als ich auf der Jagd nach Bergziegen war, das ist jetzt neun Winter her.«

      »Wem hast du vorher gedient?«, hakte Nestor nach.

      »Ich war Ruderer auf Galeeren.«

      »Wieso wurdest du verkauft?«

      »Das Schiff meines früheren Herrn wurde von Piraten aufgegriffen, aber die hatten keinen Bedarf an weiteren Ruderern, also wurde ich an Metros den Sklavenhändler verkauft. Dort war ich einige Wochen, aber der Markt für Galeerensklaven ist schon seit Monaten zusammengebrochen. Er hat mich dann an Lefteris weiter verkauft.«

      »Der Markt ist zusammengebrochen?«, stutzte Nestor.

      »Ja, seit der Markt mit billigen Germanen geflutet wird, hat keiner mehr Interesse an hochwertigen Rudersklaven aus Persien. Eine Schande! Heute muss alles immer nur schön billig sein.«

      Nestor nickte verständnisvoll. Er selbst war an dem einen oder anderen Börsencrash nicht ganz unbeteiligt gewesen. Sein Blick führte ihn zu der Frau.

      »Ich bin Roxanna und wurde in Athen als unfreie Griechin geboren. Meine Eltern waren schon Sklaven und auch meine Großeltern. Über viele Jahre haben wir adeligen Familien dort gedient. Mein letzter Herr dort musste mich verkaufen, weil er sich dem verrückten Sokrates angeschlossen hatte und danach aus der Stadt fliehen musste. Anschließend habe ich noch zwei anderen Herren gedient. Mein letzter Herr verstarb und hatte keine Erben, also wurde ich an Lefteris versteigert.«

      »Wie alt bist du?«, wollte Lilly wissen.

      »Ungefähr vierzig Jahre.«

      »Hast du Kinder?«, hakte das Mädchen nach.

      »Ich habe vier Kinder. Alle wurden, wie ich in die Sklaverei geboren. Soweit ich weiß, leben sie in Athen und dienen dort verschiedenen Familien«, sagte Roxanna ruhig und schaute auf den Boden.

      Lilly schluckte und wusste nicht, was sie sagen sollte.

      »Und ihr beiden?«, ergriff Nestor das Wort und schaute den Jungen und das junge Mädchen an.

      »Ich heiße Judith und das hier ist mein Bruder Aaron, wir sind Hebräer und wurden von syrischen Sklavenhändlern mit allen anderen