Stefan Högn

NESTOR


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ließ. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass die Sonne gerade erst aufgegangen war.

      Sie wusch sich, zog sich an, nahm ihr Gepäck und wollte Nestor wecken, der zur gleichen Zeit aus seinem Zimmer trat.

      »Ich hätte nicht gedacht, dass du so früh aufstehen kannst, Nestor von Korfu!«

      »Keine Frechheiten um diese Zeit. Ich bin das Paradebeispiel für einen Morgenmuffel!«

      »Schlecht geschlafen?«, grinste Lilly ihn an.

      »Zu kurz!«

      Während das Mädchen voller Energie war, schien Nestor wenig belebt zu sein.

      »Was ist los? Du musst doch genauso lang geschlafen haben wie ich«, stellte Lilly fest.

      »Ja, aber du hast auch erheblich weniger billigen Wein getrunken als ich«, grunzte er.

      »Und jetzt weißt du auch warum«, kam es altklug zurück.

      »Ich werde es beherzigen«, raunzte Nestor zurück und schob noch ein »Pffff!« hinterher.

      Lilly ging munter die Treppenstufen herab und Nestor folgte ihr mit vorsichtigen Schritten. Im Gastraum saßen der Wirt und zwei Gäste. Viel musste er nicht umquartieren.

      »Ich hoffe, ihr habt wohl geruht, Herr!«, rief ihm Lakis schroff entgegen.

      »Mhmm«, nickte der Herr.

      »Du solltest mal die Decken waschen, Lakis! Die müffeln nämlich nach alten Socken!«, stellte Lilly fest.

      »Socken?«, der Wirt sah das Mädchen ratlos an.

      »Ja, Socken. Kennst du keine Socken?«

      Nestor stupste Lilly unauffällig an und flüsterte: »Er kennt keine Socken.«

      »Na ... wasch sie halt. Die Dinger stinken!«

      »Wenn die edle Sklavin es wünscht ...« Der Wirt war beleidigt, denn er war es nicht gewöhnt, dass sich Sklaven, insbesondere so junge, bei ihm beschwerten.

      »Sie hat recht! Und wenn du sie waschen lässt, bleiben wir noch eine Nacht länger in deiner Herberge«, sagte Nestor.

      »Natürlich, Herr, sehr gerne Herr!«, biederte Lakis sich an. »Das Frühstück findet ihr dort.« Er zeigte auf einen Tisch, auf dem Früchte, Fladenbrot und Erbsenbrei standen.

      Lilly wunderte sich: »Du willst noch eine Nacht hier bleiben? Muss das sein?«

      »Selbstverständlich, Lilly! Oder glaubst du, wir könnten heute alles erledigen, was wir zu tun haben?«

      Das Mädchen schnupperte an dem Tonkrug und runzelte die Nase: »Da ist ja schon wieder Wein drin!«

      »Aber viel zu wenig!«, brüllte einer der beiden anderen Gäste, schüttelte sich vor lachen und trank einen großen Schluck aus seinem Becher.

      »Gibt’s auch normales Wasser?«, wollte Nestor wissen.

      »Wasser? Ja, natürlich, aber wer will denn schon normales Wasser zum Frühstück trinken?«

      »Wir!«, sagte Lilly fest.

      »Sehr wohl!« Der Wirt und das Mädchen würden keine guten Freunde werden, soviel stand fest.

      Die Zeitreisenden nahmen sich ihr Frühstück und setzten sich, ein Stück weit von allen anderen weg, an einen Tisch und beratschlagten den kommenden Tag.

      »Wir müssen einen guten und ehrlichen Sklavenhändler finden«, sagte Nestor.

      »Wieso ehrlich? Was kann denn daran ehrlich sein, Sklaven zu verkaufen? Das scheint mir das Unwürdigste zu sein, was ein Mensch überhaupt machen kann.

      »Ja, aber auch da gibt es Unterschiede. Das ist wie bei den Autohändlern in unserer Heimatzeit.«

      »Aha! Und was schwebt dir vor? Etwas Praktisches oder eher etwas Sportliches ... Nestor von Korfu, du bist widerlich!«

      »Das kommt natürlich auf die Angebote an.« Er ging gar nicht weiter auf Lilly ein. »Vielleicht bekommen wir ja sogar Rabatt, wenn wir alle vier bei einem Händler kaufen.«

      Lilly schüttelte den Kopf und begann mit ihrem Frühstück. Obwohl sie erst eine Nacht von Seldom House weg war, fehlte ihr das typische Frühstück schon jetzt. Sie vermisste ihre Nudelsuppe und Rául. Den Gedanken, was der Butler wohl jetzt gerade machte, verwarf sie wieder, denn der stand ja neben der Zeitmaschine.

      Nestor aß nur wenig, ihm stand der Sinn mehr nach Wasser, das er becherweise zu sich nahm.

      »Sag, Lakis, wo finden wir den größten Sklavenhändler der Stadt?«, wollte er vom Wirt wissen.

      »Wollt ihr euer Prinzesschen veräußern?«

      »Mal sehen ... wenn er mir einen guten Preis macht?«

      Lilly sah Nestor entrüstet an.

      »Versucht euer Glück bei Metros, der kauft und verkauft alles was zwei Beine hat. Ihr findet ihn direkt neben dem Apollon-Tempel am Hafen. Wenn ihr dort seid, bestellt einen Gruß von mir: Die Matrone für die Küche kann er wieder haben. Die taugt nichts.«

      »Wir werden für dich keine Botengänge machen!«, giftete Lilly den Wirt an, denn es störte sie zutiefst, wie er über Menschen sprach.

      »An eurer Stelle würde ich jedes Angebot für die Kleine akzeptieren. Wenn man die hier erstmal kennt, fällt ihr Preis ins Bodenlose!«

      »Danke für den Hinweis, Lakis. Und wo finde ich den billigsten Sklavenhändler der Stadt?«, sprang Nestor in die sich anbahnende Diskussion zwischen Lilly und dem Wirt.

      »Ihr wollt euer Glück doch nicht etwa bei Lefteris versuchen? Der kauft seine Ware auch immer bei Metros. Er nimmt alle seine Ladenhüter. Den Weg könnt ihr euch sparen, Herr.«

      »Wo finden wir diesen Lefteris?«, wollte Lilly wissen.

      »Gar nicht weit von hier, die zweite Gasse links und dann einmal rechts«, antwortete Lakis kopfschüttelnd und wandte sich dann wieder Nestor zu: »Herr, ich kann euch verstehen!«

      »Ich werde mich überraschen lassen. Danke, Lakis«, sagte Nigglepot, stand auf und sagte zu Lilly: »Komm, wir gehen bummeln!«

      Der Wirt sah den beiden zu, wie sie die Gaststube verließen und sagte dann zu einem anderen Gast: »Die Kleine erinnert mich an meine Schwägerin oben im Dorf am Ätna.«

      Währenddessen baute sich das Mädchen auf der Straße vor Nigglepot auf und stemmte die Fäuste in die Hüften: »Wenn du mich verkaufst, kannst du was erleben, Nestor von Korfu! Dann kannst du was erleben!«

      »Beruhig dich! Lakis hat doch recht, für dich bekomme ich sowieso keinen guten Preis.«

      Lilly trat Nestor wuchtig gegen sein linkes Schienbein, aber weil Nestor so lachen musste, tat ihm das viel weniger weh, als sie gehofft hatte.

      XII

      Chief Inspector Fazzoletti

      Miranda Simmons hatte, wie jeden Morgen die Aufgabe, wichtige von unwichtigen E-Mails zu trennen und ihrem Vorgesetzten vorzulegen. Eine undankbare Aufgabe, denn der Chief Inspector hatte eine höchst eigene Auffassung davon, was wichtig war und was nicht.

      Wenn es um Werbung für Fußballwetten ging, so war die Kategorie wichtig problemlos zu erkennen. Lautete der Inhalt aber eher so: »Meine Kühe sind schon wieder von Außerirdischen entführt worden«, war es zwar der Fachbereich des Chief Inspectors, aber eigentlich unwichtig.

      Sie machte Tee, während der Tintenstrahldrucker am Ende doch alle E-Mails zu Papier bringen musste. Chief Inspector Fazzoletti war vermutlich der einzige Beamte in ganz England, der sich mit Computern nur dann beschäftigen konnte, wenn sie ausschließlich seiner Unterhaltung dienten, also Wetten, Spiele und Fotos hübscher Damen.

      »Ihr Krawatte hat einen Fleck, Chief«, sagte sie, als Fazzoletti das Büro betrat. »Genau wie gestern.«

      »Aber