Stefan Högn

NESTOR


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Durst gestillt war.

      Lilly biss in das Dörrfleisch, spuckte es aber sofort angewidert wieder aus. »Bah!«

      »Gib mal her.« Er nahm einen Bissen und der schien ihm zu schmecken. »Was hast du denn?«

      »Das Zeug ist total versalzen! Davon bekommt man doch noch mehr Durst.« Lilly bevorzugte das Fladenbrot.

      »Ach was! Das schmeckt so ähnlich wie gegrillte Bücklinge!«

      »Aber das Wasser wird gerecht geteilt!« Darauf bestand Lilly vehement.

      »Nöö!«, entgegnete Nigglepot gelangweilt.

      »Aber der Wasserschlauch ist irgendwann auch mal leer!«

      »Und was ist mit diesem hübschen, kleinen, sprudelnden Bach dort?« Er zeigt auf den Bachlauf, dem sie schon seit dem Verlassen der Höhle gefolgt waren.

      Manchmal war Nestor Nigglepot allerdings wirklich zu gebrauchen. Lilly stand auf und kostete aus der hohlen Hand das Wasser. Es schmeckte muffig durch den Schwefel des nahen Vulkans, war aber genießbar, kühl und herrlich erfrischend.

      Sie stellte sich mit den Füßen in den Bach, bis die Haut anfing zu kribbeln. Dann schüttelte sie sich kurz, schnappte den Wasserschlauch und füllte ihn wieder auf.

      »Dann können wir ja jetzt weiter!«

      »Das war doch keine Pause!« Nestor packte hastig seine Sachen und grunzte: »Das war maximal ein Päuschen!«

      Das Gelände wurde immer flacher. Die zahlreichen Baumstümpfe zeigten, dass hier ganze Wälder gerodet worden waren und es dauerte nicht lange, bis Lilly und Nestor auf einen einigermaßen befestigten, zumindest aber ausgetretenen Pfad stießen. Sie folgten diesem Weg, bis er sie hinter einem letzten Hügel zu einem Dorf führte.

      Lilly schaute Nestor fragend an.

      »Ja, meine Liebe, es wird ernst. Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, halt einfach deinen Mund.«

      »Wie nett von dir, Nestor von Korfu!«

      Es war mittlerweile Nachmittag geworden und noch heißer, als bei ihrer Ankunft. Um nicht aufzufallen, gingen sie zügig auf die wenigen Häuser zu. Sie waren schmucklos und grob gemauert, niedrig und mit flachen Dächern versehen. Die wenigen Fenster waren mit Holzläden verschlossen. Stimmen oder Geräusche waren nicht zu hören.

      »Meinst du, das Dorf ist verlassen?« fragte Lilly.

      »Quatsch! Die machen Siesta, nur Verrückte marschieren bei dieser Hitze um ihr Leben.«

      Sie erreichten das erste Gebäude und Nestor ging völlig selbstverständlich auf die Türe zu und klopfte laut an, eine Antwort kam aber nicht.

      »Vielleicht ist das Dorf doch verlassen«, sagte das Mädchen.

      »Ich versuch’s nochmal!« Diesmal klopfte er so stark, dass die schlecht gezimmerte Tür in ihren Angeln wackelte.

      »Verdammt und zugenäht!«, rief es von drinnen und scheinbar bemühte sich jemand stöhnend zur Tür, die sich ruckartig nach innen öffnete.

      »Was willst du?«, krächzte ein altes Mütterchen, das Mühe hatte gegen das blendende Sonnenlicht die Besucher zu erkennen. Sie blinzelte, hielt sich dann die flache Hand als Sonnenschutz an die Stirn und fuhr sofort zusammen.

      »Verzeiht, Herr!«, flehte die alte Frau. »Ich dachte, ihr wäret mein verrückter Schwager. Der hat mich heute schon zigmal aufgescheucht.«

      »Du täuschst dich, Weib!«, sagte Nestor mit einer für Lilly völlig unerwarteten Souveränität. »Wir werden dich nur dieses eine Mal aufscheuchen, denn wir benötigen Hüte, um uns gegen die Sonne zu schützen.«

      »Hüte, Herr?« Die Omi starrte ihn ungläubig an.

      »Ja, Hüte! Die Sonne brennt und wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

      »Sieht das hier etwa wie ein Hutladen aus? Wo wollt ihr denn überhaupt hin?«, krächzte die Frau.

      »Gute Frau, wir bekommen einen Sonnenstich, wenn wir uns nicht schützen. Als wir uns auf den Weg machten, war das Wetter schlecht, darum haben wir unsere Hüte vergessen. Wollt ihr uns nicht helfen?«, mischte sich Lilly ein, fest davon überzeugt, dass Freundlichkeit immer weiterhilft.

      »Das Wetter war schlecht, als ihr aufgebrochen seid? Wann soll denn das gewesen sein, im Winter? Hier scheint immer die Sonne!« Die alte Frau misstraute den Wanderern.

      »Wir kommen von weit her, Mütterchen! Und nun mach hin und bummle nicht, wir sind in Eile. Es soll dein Schaden nicht sein!«

      Die Frau tat einen Schritt vor die Tür und brüllte so laut sie konnte: »Perikles!«, dann wandte sie sich wieder Nestor Nigglepot zu: »Es dauert nur einen Moment, Herr!«

      Ihr Lächeln offenbarte zahlreiche Lücken im Gebiss.

      »Peeeeerikles!«, schrie sie wieder, lächelte und brüllte dann: »Beeil dich, du fauler Sack!«

      »Wer ist Perikles?«, wollte Lilly wissen.

      »Mein Schwager.«, antwortete die alte Frau, ohne das Mädchen auch nur anzusehen, stattdessen lächelte sie mit schrägem Kopf, hin und wieder freundlich nickend, Nestor an – und zwar so lange bis Perikles endlich auftauchte.

      Nestor betrachtete die Frau immer wieder mal beiläufig und tat was er am besten konnte: hochnäsig wirken.

      Als Perikles endlich auftauchte schienen alle aufzuatmen.

      »Gib dem Herrn da deinen Hut!« befahl die Alte.

      »Warum?«, wollte Perikles wissen.

      »Weil ich es sage. Basta!«

      »Verrücktes Weib«, grummelte Perikles, gab Nestor seinen Hut und starrte die Zeitreisenden mit offenem Mund an.

      »Und jetzt verzieh dich wieder oder gibt es hier was zu glotzen?«, fuhr seine Schwägerin ihn erneut an.

      »Schon gut, reg dich wieder ab!« Und Perikles machte kehrt und drehte sich auf seinem Rückweg noch mehrmals gaffend zu den merkwürdigen Besuchern um.

      »Einen Obolos, bitte, Herr!« sie hielt die Hand auf.

      »Lilly ...«, sagte Nestor, um ihr zu bedeuten, dass sie die alte Frau bezahlen möge.

      »Ja ... und was ist mit einem Hut für mich?«, war Lillys Deutung der Situation.

      »Das gelbe Kind soll auch einen Hut bekommen?«, fragte die Alte völlig überrascht.

      »Ja, Weib!« Nestor schlug einen Befehlston an.

      »Sehr wohl, Herr!« sie verbeugte sich, spuckte Lilly vor die Füße und verschwand leise fluchend im Haus und kehrte wenig später mit einem weiteren Hut in der Hand zurück.

      »Ich habe aber nur den einen! Der ist teurer als der andere.«

      »Wie viel?«, fragte Lilly trocken.

      »Zusammen vier Oboloi!«

      Lilly wühlte in einem Geldsack und gab ihr irgendeine kleine Münze, weil sie nicht wusste, wie ein Obolos aussah.

      »Habt ihr es nicht passend?«

      »Stimmt so, der Rest ist für Dich!«, sagte Nestor.

      »Danke, Herr! Habt vielen Dank! Mögen die Götter euren Weg beschützen!« Sie macht zahlreiche Verbeugungen.

      »Sag Mütterchen, wie weit ist es noch bis Catania?«

      »Ach, ihr seid jung! Vielleicht drei oder vier Stunden, ihr werdet schnell da sein!« Dann bedankte sie sich wieder wortreich und verbeugte sich, bis sie außer Sichtweite waren.

      »Ich glaube, die mochte mich nicht«, sagte Lilly, als sie ihren müffelnden Hut aufsetzte.

      »Sie hat Angst vor dir«, erklärte Nestor.

      Auf ihrem Weg durchs Dorf tauchten jetzt verstohlen blickende Augen in verschiedenen