Stefan Högn

NESTOR


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Du würdest es vergessen, wenn du das Wissen nicht benutzen kannst.«

      »Was ist mit Sachen, von denen ich schon ein bisschen was weiß und es auch benutzen kann?«

      »Das würde vermutlich funktionieren.«

      »Kung-Fu!«, schoss es aus ihr heraus. »Ich will noch mehr Kung-Fu lernen. Kann mir das Didaktafon noch besseres Kung-Fu beibringen? Rául ... bitte, darf ich? Bitte! Das kann ich doch bestimmt gut gebrauchen bei den alten Griechen!«

      »Ich weiß nicht recht ...«, sagte der Butler unsicher.

      »Nestor Nigglepot hat bestimmt nichts dagegen, und außerdem kann ich doch schon ganz gut Kung-Fu! Oh, bitte!«

      Der Butler grübelte, denn er hatte nur die Anweisung ihr zwei Sprachen beizubringen. »Einverstanden. Aber du versprichst mir, diese Kampfkunst wirklich nur im Notfall anzuwenden und nur gegen Menschen, die stärker sind als du. Haben wir uns verstanden?« Rául war sich sicher, dass Lilly sowieso ein sehr gut ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden hatte, aber er wollte auf die Ermahnung nicht verzichten.

      »Ich verspreche es! Wirklich! Ich schwöre! Worauf soll ich schwören, Rául?«

      »Dein Versprechen reicht mir. Lehn’ dich wieder an!«, sagte er und tippte erneut auf dem Bildschirm herum. Diesmal dauerte es etwas länger. Lilly machte sich schon Sorgen, er hätte es sich anders überlegt, aber dann wurde ihr klar, dass Rául auf Griechisch und Phönizisch vorbereitet gewesen war. Ein Kung-Fu- Lernprogramm musste er scheinbar erst in der Maschine suchen. Dann ging es los.

      Dieses Mal strömten nur wenige Worte und Sätze in sie hinein, stattdessen Bewegungsabläufe und Situationen, die passende Reaktionen hervorriefen. In ihrem Kopf wirbelte alles herum, aber auch diese Lektion endete schlagartig.

      Lilly Foo war nun vermutlich die gefährlichste zehnjährige Kung-Fu-Kämpferin der Welt. Mit Technik allein würde sie nicht mehr zu bezwingen sein, sondern nur in Verbindung mit mehr Kraft, als sie selbst hatte.

      Sie stand ein bisschen benommen vom Sessel auf, ging in die Kung-Fu-Grundposition und spannte jeden Muskel an. Dann entspannte sie sich wieder, betrachtete ihre Beine, Arme und Hände und sagte: »Wow!«

      Dann ließ sie sich wieder in den Sessel fallen und gähnte aus vollem Herzen. Sie konnte kaum damit aufhören.

      »Was ist los mit mir?«, quälte sie zwischen der Gähnerei heraus. »Ich bin fürchterlich müde.«

      »Dein Kopf muss Schulstoff von mehreren Jahren verarbeiten, du hast bis zum schwarzen Gürtel trainiert und wunderst dich, dass du jetzt müde bist?«

      Lilly konnte nicht antworten, sie schlief schon. Rául trug sie in ihr Zimmer im ersten Stockwerk und erst am nächsten Mittag wachte sie wieder auf.

      Als sie die Augen öffnete, dachte sie zuerst, sie hätte das mit dem Didaktafon nur geträumt. Aber das war leicht zu überprüfen. Sie überlegte etwas auf Altgriechisch, dann zählte sie auf Phönizisch bis zehn. Beides klappte einwandfrei. Ihr letzter Test war ein spontaner Sprung aus liegender Position über die Bettkante direkt in den Stand.

      »Perfekt!«, dachte sie, wusch sich in ihrem Badezimmer, zog einen frischen Kung-Fu-Anzug an und machte sich auf die Suche nach Rául und Nestor Nigglepot. Sie fand beide im Weißen Salon und sie sortierten Geld.

      »Ich hab’ gewusst, dass du reich bist, Nestor Nigglepot, aber das da«, sie zeigte auf den Geldberg, der mitten auf dem Tisch lag, »ist sehr, sehr, sehr viel Geld!«

      »Na ja, wir wollen mal nicht Übertreiben, aber ... ja ... es ist verdammt viel Geld ... und es ist unglaublich wertvoll. Viele dieser Münzen sind so selten, dass ihr heutiger Wert den ursprünglichen um ein vieltausendfaches Übersteigt. Jeder Münzsammler der ein bisschen was auf sich hält, würde bei diesem Anblick vor Freude heulen!«, sagte Nestor Nigglepot. Zurückhaltung war scheinbar ein unbekanntes Wort für ihn.

      »Guten Morgen, Lilly!«, sagte Rául, »Was macht dein Griechisch?«

      »AΦΘOPIA!«, strahlte sie. »Was macht ihr da?«

      »Wir brauchen Geld ...«, sagte Nestor Nigglepot gelangweilt und sortierte, ohne zu ihr aufzuschauen, weiter.

      »Zu viel Geld verdirbt den Charakter«, sagte Lilly altklug.

      »Ihr braucht das richtige Geld«, ergänzte der Butler. »In der Antike hat fast jede Stadt ihre eigenen Münzen geprägt. Wir suchen Münzen aus Syrakus oder der Mutterstadt Korinth, die zeitlich auch wirklich passen. Stell dir vor, ihr würdet mit Münzen bezahlen, die dort niemand kennt«, erklärte er weiter.

      »Was wäre denn dann?«

      »Wir würden mächtig viel Ärger bekommen – das wäre! Falschmünzerei war auch damals schon sehr unbeliebt!« Nestor liebte auch die kleinen Triumphe. »Von wegen, zu viel Geld verdirbt den Charakter ... genug Geld erspart uns die Sklaverei!«

      »Dir vielleicht, Nestor Nigglepot!«, stellte die Chinesin fest und spielte auf ihre Rolle als seine Sklavin an.

      »Pass auf, die mit der Eule drauf können wir nicht gebrauchen, die kommen aus Athen und das war eine Feindesstadt. Wir suchen die mit dem Kopf der Nymphe Arethusa auf der einen und mit einem Streitwagen auf der anderen Seite. Und zu alt sollten sie auch nicht aussehen. Damals waren die Münzen ja noch neu«, sagte Rául, der natürlich schon einen viel größeren Haufen mit richtigen Münzen vor sich liegen hatte als Nestor Nigglepot.

      »Du kannst dich auf meinen Platz setzen, ich gehe dir was zu Essen machen, Lilly!«

      »Danke, Rául!«

      Der Butler verschwand und Lilly betrachtete die Münzen genauer. Sie waren aus Silber, klein und alle wirkten schlecht geprägt, aber vermutlich nicht, weil sie so alt waren, sondern weil das damals nicht besser ging.

      »Wie viel brauchen wir denn?« Lilly klaubte eine Hand voll Münzen aus dem großen Haufen und begann zu sortieren.

      »Je mehr, desto besser«, sagte Nestor Nigglepot. »In der Schatzkammer hab’ ich nochmal so viel, aber mehr konnten wir vorhin nicht tragen. Münzgeld ist echt so was von unpraktisch.«

      »Ich glaube, ich will gar nicht wissen, wo du das ganze Geld her hast, Nestor Nigglepot.«

      »Stell dich mal nicht so an. Ohne meine geschickten finanziellen Transaktionen, könnten wir unmöglich nach Griechenland reisen, weil wir nämlich gar kein Geld hätten. So!«

      Nach einer Weile hatte Lilly schon viele passende Münzen beiseite gelegt, Nestors Eifer noch mehr nachgelassen und Rául eine typisch altgriechische Mahlzeit für Lilly zubereitet, die jetzt eine appetitliche Knoblauchfahne durch den Weißen Salon trieb.

      »Riecht aber ganz gut – wie gegrillt«, stellte Lilly fest.

      »Ja ... es geht eigentlich, nur die Erbsenpampe ist gewöhnungsbedürftig. Sieht ganz klar aus, wie schon mal gegessen«, nörgelte Nestor Nigglepot.

      »Danke, Rául«, sagte das Mädchen und machte sich über das Essen her. Die Erbsenpampe schmeckte süßlich.

      Der Butler setzte sich wieder an den Tisch und sortierte gemeinsam mit Lilly Münzen. Nestor zog es vor, den beiden bei ihrer Tätigkeit zuzuschauen. Echte Arbeit schien keine Erfindung der Firma Nigglepot gewesen zu sein. Lilly blickte erst zu Nestor und dann zu Rául, der sie freundlich anlächelte. Er hätte auch sagen können: »Finde dich damit ab.«

      Aber das tat Lilly nicht, sondern verschränkte die Arme und erklärte trotzig, sie würde erst weitermachen, wenn Nestor Nigglepot sich an der Arbeit beteilige. Rául war verblüfft, als sich der Hausherr erhob und feierlich erklärte: »Na, dann werde ich wohl mal Nachschub aus der Schatzkammer holen!«, und dann gemächlichen Schrittes den Weißen Salon verließ.

      »Du hast Mut, junge Dame!«

      »Einer muss ihm ja mal sagen, dass man schneller vorankommt, wenn alle zusammenarbeiten. Warum machen Sie das nicht mal, Rául!«

      »Ich wurde so erzogen und als Butler ist