Klaus Bock

Morituri


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Richtung Klo.

      „Ein Büttel, Häscher, Folterer, auf jeden Fall nichts Gutes. Jedenfalls sollte man die Vertreter der demokratisch gewählten Staatsmacht nicht als Schergen bezeichnen.“

      „Gut“, sagte Hanna einlenkend, „ich revoziere.“

      „Was macht sie?“, fragte die Plüschke immer noch aus dem Hintergrund, sie schien eine dehnbare Blase zu haben.

      „Sie nimmt das zurück!“, das war Wolf-Dieter.

      „Was?“

      „Das mit dem Schergen.“

      „Ach so. Ist das wichtig?“, Frau Plüschke erhielt keine Antwort auf diese Frage und suchte endlich die „Damen“ auf.

      „Die Frage ist doch“, sagte Wolf-Dieter, „wenn jemand nur noch eine sehr überschaubare Zeit zu leben hat, sagen wir einmal, unter einem Jahr oder gar nur noch ein halbes Jahr, und er oder sie entschließt sich, jemanden umzubringen, wer soll ihn oder sie daran hindern – wenn nicht etwas in ihm oder ihr selber?“

      „Aus welchem Grund soll überhaupt jemand umgebracht werden?“

      „Das spielt in der Situation doch nun wirklich keine Rolle mehr... moralisch ist das auf jeden Fall zu verdammen, da sind wir uns ja wohl einig, oder? Das ist ja wohl gesellschaftlicher Konsens, oder? Aber wenn sich jemand außerhalb dieser Moral gestellt hat, entweder weil es für ihn oder sie keine Moral mehr gibt oder weil er oder sie Moral nicht mehr anerkennt, was soll ihn respektive sie stoppen?“

      „Oder sie?“

      „Richtig, oder sie, wer oder was soll ihn oder sie davon abhalten, irgendjemanden umzubringen?“

      „Sie meinen also schlussendlich, dass es individuelle Situationen geben kann, in der die Gesellschaft nicht in der Lage ist, gesetzes- oder moralkonformes Verhalten zu erzwingen? Der Mord also denkbar und eine realistische Größe wird?“

      „Ja, das liegt doch auf der Hand - und Hannelore hat es bewiesen!“

      „Sie befürworten ihren Mord?“

      „Nein, das tue ich nicht! Ich sage nur, dass es Situationen gibt, in denen Menschen sich nicht mehr davon abhalten lassen, einen Mord zu begehen... sonst würde es ja auch keine Morde geben. Aber es gibt sie. Unbezweifelbar. Also gibt es auch die Situationen. Nur wollen die meisten Mörder nicht gefasst werden – das können sie in jedem Krimi sehen oder lesen. Der Mörder begeht seine Tat (vermutlich in einer Ausnahmesituation) und versucht dann – mehr oder weniger verzweifelt – seine Täterschaft zu vertuschen, weil er nicht für fünfzehn oder mehr Jahre in den Knast will.“

      „Und was bedeutet das jetzt für uns?“

      „Naja, für uns ja wohl nichts, denke ich, aber jemand, die oder der nur noch kurz zu leben hat, dem könnte alles egal sein – zumindest, was die Bestrafung angeht, weil er oder sie die nicht mehr erleben wird.“

      „Ich verstehe das alles nicht“, kam es wieder aus dem Hintergrund, Frau Plüschke war fertig, „wollen wir jemanden umbringen?“.

      „Nein! Wollen wir nicht, sie etwa?! Ach, ist ja auch Unsinn“, sagte Udo energisch, „ich finde wir sollen es dabei bewenden lassen... Hannelore hat etwas Fürchterliches gemacht und damit basta... ist doch inzwischen völlig egal, warum!“, und damit schlug er mit der flachen Hand so auf den Tisch, dass die Tassen auf den Untertassen klirrten, „Ende der Diskussion, sage ich! Und sie bleibt uns eine liebe Erinnerung!“

      Damit waren alle einverstanden, Mord hin oder her, und die einzelnen Gespräche an den Tischen begannen wieder. Unter anderem wurde besprochen, ob es den Schweinebraten immer am Mittwoch geben müsse oder vielleicht auch mal am Dienstag. Als das erschöpfend - aber ohne Ergebnis - diskutiert war, ging es darum, ob die Königsberger Klopse mit mehr oder weniger Kapern besser schmecken würden. Am anderen Tisch wurde herzhaft besprochen, warum es „nicht einmal zu einem richtigen Kranz mit Schleife“ gereicht hätte, „sondern nur zu diesem unsäglichen Gefummel von Blumengestrüpp, wie sah denn das aus, bitteschön?“. Einige wollten beim nächsten Mal wieder einen Kranz, einen klassischen, andere fanden aber den Blumenteppich besonders schön, „irgendwie, als ob die Hannelore damit geradewegs in den Himmel fliegen würde...“, was lautstarke Proteste hervorrief, denn „einen fliegenden Teppich würde es wohl eher bei den Islamisten oder wie die heißen, den Arabern halt geben, als bei uns guten Christen.“ Erst der Hinweis, dass Hannelore wohl erstens keine gute Christin gewesen sei und zweitens, selbst wenn, nach Mord und Selbstmord wohl eher in der Hölle schmoren werde, als im Himmel die Lyra (oder die Harfe, ist doch egal) schlüge, brachte diese Diskussion zu einem Ende.

      Nach einer weiteren Tasse Kaffee (dem deutschen) erhob sich Udo und sagte, er würde jetzt mal schauen, ob das Taxi vor der Tür stünde, wenn nicht, würde er vielleicht fünf oder zehn Minuten brauchen, dann sollten sie mit Hanna herauskommen. Und leise fügte er hinzu, so, dass man das nur an ihrem Tisch verstand, dass sie ja zuhause weiterreden könnten, da seien vorhin ja einige interessante Aspekte dabei gewesen und die solle man doch nicht vergessen...

      20. März. Die Debatte

      19.00 Uhr. Sie hatten sich bei Hanna verabredet, weil sie die größte Wohnung hatte. Das „Treffen zuhause“ war insofern kein Problem, als Hanna, Sarah, Wolf-Dieter, Udo, Edgar, der Graf und nur nicht die alte Tante Greten, die nicht nur so gerufen wurde, sondern – wie schon gesagt – tatsächlich eine echte Tante von Hanna war, tatsächlich alle auch im selben Haus wohnten. Sie kannten sich seit Jahren, waren auch lange schon miteinander befreundet.

      Nachdem seinerzeit Hannas Mann auf Mallorca gestorben (worden!) war, hatte Hanna die zwei Häuser in der Hübnerstraße an der Ecke Fuetererstraße geerbt und hatte später den anderen den Vorschlag gemacht, das ziemlich damals etwas heruntergekommene größere Haus zu einer Alten-WG umzubauen.

      Die Kosten dafür hatte Hanna getragen, die das weitere Haus verkauft und mit dem Geld, „ihr“ Haus modernisiert hatte. Einige Mietparteien waren vor Umbaudreck und –lärm geflohen, andere hatten sich mit einer Prämie versehen froh in Vororte verabschiedet.

      Jetzt hatten sie das Haus längst fast allein für sich. Im Erdgeschoss war noch eine Metzgerei und ein kleines italienisches Restaurant erhalten geblieben, im ersten Stock wohnten zwei Familien mit kleinen Kindern. In die anderen Stockwerke waren die Freunde eingezogen.

      Die Familien hatten sich erst gefreut und sie hatten den Vorschlag gemacht, dass die Alten ja ab und zu auf die Kinder aufpassen könnten, so im Sinne eines „Mehrgenerationen-Hauses“ mit den Familien leben sollten. Die „Alten“ hatten ob dieses Ansinnens und dessen Implikationen innerlich aufgeschrien und den Jungen schnell klar gemacht, dass jedes Mietshaus apriori ein Mehrgenerationen-Haus sei, weil da eigentlich immer Alte und Junge zusammen lebten und zweitens wurde die Idee, sich um die fremden Schratzen zu kümmern, aber so etwas von rundheraus ohne Diskussionen abgelehnt, dass den Familien sehr deutlich wurde, aus ihren Plänen würde nichts werden.

      Ganz im Gegenteil, die Jungen sollten, bitteschön, aufpassen, dass die „Blagen“, die Mittags- und sonstigen Ruhezeiten einhielten, denn dieses Haus sei schließlich ein Mehrgenerationenhaus. Heißt: Da wohnen auch ältere und alte Menschen, die zumindest ab und zu ihre Ruhe haben wollten und auch brauchten. Capito?

      Nun, das Verhältnis war danach etwas abgekühlt, aber das machte den Alten nichts aus. Hanna hatte im Hof einen Fahrstuhl zu den oberen Etagen der Alters-WG bauen lassen, da damals auch schon abzusehen war, dass sie eines Tages zumindest zeitweise einen Rollstuhl brauchen würde – und Tante Greten war sowieso dankbar für jede Stufe, die sie bei ihren eher seltenen Besuchen bei Hanna nicht steigen musste.

      Hannas Dachwohnung war die größte und schönste, schließlich war das Ganze ja eine Alters-WG und keine kommunistische Zelle. Hier war sie natürlich ein wenig gleicher als die anderen, aber das fanden alle irgendwie „Okay“ – schließlich war es Hannas Haus und Hannas Geld.

      Hanna hatte sich auch eine Dachterrasse mit einem Wintergarten darauf bauen lassen, das war einfach cool,