Klaus Bock

Morituri


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fragte Sarah, „ich meine, ich brauche ja keine, aber...“

      „Ich weiß nicht so recht“, sagte der eher praktisch veranlagte Udo, „da kann man doch schlecht auf einen verdächtig aussehenden Typen im Hauptbahnhof zugehen und ihn fragen, ob er zufällig eine oder mehrere Pistolen zu verkaufen hat.“

      „Ausprobieren?“, fragte Edgar.

      „Was? Jemanden fragen?“

      „Nein. Ich meine, man müsste sich da mal ein bisschen rumtreiben und erst mal schauen.“

      „Ich habe mal gehört, dass auf dem Flohmarkt in Riem…“

      „Das ist doch dasselbe Problem. Wie erkennt man, ob jemand eine Waffe zu verkaufen hat. Da schreibt doch niemand auf sein Schild, dass es bei ihm Knarren gibt, wie neu, kaum gebraucht und auch sehr preiswert, wie stellst du dir das denn vor?“

      „Also ich hätte immer Schiss, auf einen Undercover-Agenten zu treffen.“

      „Gibt es so etwas in Riem?“

      „Keine Ahnung, vielleicht?“

      „Also was nun, Leute, ein großer Plan schnell beerdigt?“

      „Nein, wir machen das wie die Politiker.“

      „Hä?“

      „Arbeitsgruppe! Wir bilden eine Arbeitsgruppe „Waffenbeschaffung.“

      „Und was macht die dann?“

      „Erst einmal die theoretischen Grundlagen schaffen.“

      „Und die wären?“

      „Erstens: Was gibt es für Waffen? Zweitens: Welche sind für uns geeignet? Drittens: Wo bekommen wir die her? Und viertens: Was kosten die?“

      „Dafür braucht es doch keine Recherche: 22er Pistole. Steht in jedem vernünftigen Krimi. Die Waffe der Profikiller. Die Kugel geht in den Kopf rein aber nicht wieder heraus, sie prallt so lange von den Schädelknochen ab und flitzt dabei kreuz und quer durch das Gehirn, bis die Energie verbraucht ist. Absolut tödlich und sauber“, sagte Hanna, „das weiß doch jeder Krimileser!“

      „Ach nee“, meinte der Graf, „dann bist du also das erste Arbeitsgruppenmitglied?“

      „Nein, dazu braucht es Beine, die laufen könnten - und schau meine an... Ich käme nie weg, falls es einmal knapp werden sollte.“

      „Mit dem Rennen tun wir uns alle schwer.“

      „Nein, das meine ich ja nicht, bei mir ist es ja auch das Laufen im Sinne von Gehen; ich habe auch nicht die Nerven dafür. Und ich sehe euch schon durch Polen und durch die Ukraine fahren. Ich habe einen anderen Vorschlag: Ich mache den Finanzier! Diese Arbeit machen Udo und der Graf, schlage ich vor.“

      „Per Akklamation angenommen“, sagte Wolf-Dieter, „dann legt mal los, ihr beiden! Ich schlage vor, ich mache erst ein paar Internetrecherchen in wechselnden Internet-Cafés natürlich, und dann sollte einer von uns in den Lesesaal der Staatsbibliothek gehen, da ist man ziemlich anonym. Ich habe da vor Jahren mal ein Buch gefunden, das ging über Rechtsmedizin – alle Arten zu morden waren darin beschrieben und wie die Polizei sie nachweist. Vielleicht finden wir es ja wieder?“

      Er musste eine kurze Hustenpause einlegen und fuhr dann fort: „Ich meine, eigentlich könnten wir alten Zausel in unserer Situation ja sogar mit rauchender Pistole neben dem Opfer stehen bleiben, uns traut keiner was zu, aber was, wenn einer zwei oder drei Leute umnieten will – und man muss sich ja auch nicht gleich selber wegwerfen.“

      „Sag mal“, sagte Sarah entgeistert, „sprichst du jetzt von Massenmord, oder was? Bist du krank? Ich meine, wir reden hier ernsthaft davon, dass und wie wir ein paar Leute umbringen, die uns früher mal etwas angetan haben, das ist ja schon krank genug, finde ich, aber jetzt jeder gleich mehrere bis viele vielleicht?“

      „War nicht so gemeint“, lachte Wolf-Dieter sie an und dachte insgeheim, dass sie eigentlich ja Recht hätte.

      „Nun mal halblang mit den jungen Pferden“, sagte der Graf, „noch machen wir gar nichts, weil wir gar nichts machen können.“

      „Aber wenn, dann doch...“

      „Aber erst dann!“

      „Und wenn wir die Pistolen haben?“

      „Dann?“

      „Dann muss jeder für sich entscheiden, was er damit machen will. Keine Absprachen, kein Reingerede.“

      „Aber man darf die anderen dabei nicht gefährden.“

      „Nein, keinesfalls!“

      „Fünfundneunzig Prozent der Morde werden aufgeklärt, weil enge Verwandte die Mörder waren, oder weil enge Beziehungen zwischen Opfer und Mörder bestanden“, sagte Hanna, „die findet die Polizei schnell.“

      „Solche sind ausgeschlossen!“

      „Und den Rest der Mörder kriegen sie, weil die dem Geld folgten. Unsere Opfer dürfen also keine Verwandten sein, zumindest keine nahen, und wir dürfen keinen Profit aus der Sache ziehen. Nur Befriedigung! Dann haben wir gute Chancen, davon zu kommen“, ergänzte Hanna.

      „Obwohl das eigentlich nicht wichtig ist, das Davonkommen, meine ich“, gab der Graf zu bedenken, „aber gleich beim ersten Mal danach Selbstmord, nein danke!“

      „Jetzt ist der schon wieder beim Massenmord“, stöhnte Sarah.

      „Nein“, sagte der Graf, „aber ich bleibe auch nicht neben der Leiche stehen – oder vielleicht doch, wenn`s mich nämlich umhaut, moralisch oder so. Aber man kann`s doch auch sportlich sehen, oder?“

      Sarah stöhnte nur lauter auf und sagte nichts.

      „Naja“, sagte Hanna lächelnd in die Runde, „ich habe noch eine ganz besondere Flasche Champagner aufgehoben, vielleicht ist jetzt der Moment, sie zu köpfen? Sarah, wärest du so nett? Sie steht auf Eis in der Speis, und Wolf-Dieter, holst du die Gläser?“

      Udo öffnete die Flasche ganz zart und goss die Gläser voll. Als er Tante Greten ihres geben wollte, schaute er suchend in die Runde: „Nanu, wo ist sie denn hin, unsere Alterspräsidentin?“

      In dem Moment ging die Tür auf und Tante Greten kam herein. In ihrer Hand hielt sie einen in einen grauen Lappen eingewickelten Gegenstand, den sie auf den Tisch legte. „Hier“, kicherte sie, „ich bin bereit“, und damit wickelte sie eine alte Pistole aus, „was die Hannelore hatte, habe ich schon lange.“ Alle schauten sie verblüfft an. „Tante Greten“, sagte Hanna, „ich wusste ja gar nicht...“

      „Ach, Kindchen“, sagte Tante Greten, „Du weißt so viel nicht! Von mir aus kann`s losgehen!“. Sie nahm ein Glas und sagte fröhlich in die Runde: „Prost! Habt ihr schon wen?“

      „Was meinst Du?“, fragte Hanna.

      „Ob ihr schon einen ausgeguckt habt? Ich bin bereit!“. Sie schaute jetzt listig in die Runde, „wisst Ihr, mit sechsundsechzig Jahren mag das Leben angefangen haben, sagt Udo, Udo Jürgens! Nicht Du, Udo. Aber mit achtundachtzig hat man nicht mehr viel Zeit. Da eilt das, alles, meine ich? Also wer?“

      „So schnell schießen die Preußen nicht, Tante Greten“, sagte Udo lachend.

      „Hab` ich mir doch gedacht, dass ihr nix gebacken kriegt!“, antwortete Tante Greten und wickelte die Pistole wieder ein, „naja, jedenfalls wisst Ihr, wo ihr eine herbekommen könnt.“ Drehte sich um, sagte „Gute Nacht!“, und verschwand.

      Aber kaum war die Tür hinter ihr zu, öffnete sie sie wieder, schaute Udo an und fragte: „Udo, hast du morgen Vormittag mal Zeit, für mich – der Wasserhahn tropft, das nervt! Oder kommst du zum Frühstück? Dann bekomme ich auch mal Semmeln.“

      „Klar“, sagte Udo, „ich hole Brötchen. Ich komme so gegen zehn.“

      Jetzt verschwand Tante Greten endgültig.

      Hanna