Klaus Bock

Morituri


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      21. März. Bei Tante Greten

      9.45 Uhr. Gegen viertel vor zehn erschien Udo im Laden, grüßte fröhlich mit „Moin Moin!“, und sah, dass er allein im Laden war. „Hallo“, rief er, „Frau Z.? Keiner da?“

      Hinten in der Küche rumorte es eine Zeit lang, dann erschien die strahlende Frau Z., sich die Hände in einem Küchenhandtuch abtrocknend.

      Sie mochte Udo und vor allem seinen norddeutschen Dialekt. Manchmal sagte sie „Udo, sagen sie doch mal was, das ist immer so lustig.“. Sie meinte aber nicht „witzig“, sie meinte eher, dass es sich für bayerische Ohren ungewohnt und damit irgendwie etwas lustig anhörte, wenn Udo auf „Hamburger-Hafen-Modus“ umschaltete und dann irgendwelche Döntjes aus seinen Hafen-Jahren zum Besten gab. Die mussten auch nicht wahr sein, wenn es nach Frau Z. ging, sie sollten sich nur „schee“ anhören – und sie waren ja auch nie „wahr“ - oder wenn doch, glaubte sie trotzdem niemand.

      „Moin“, sagte Udo jetzt im halben „Hamburg-Modus“, um Frau Z. eine kleine Freunde zu machen, „ham´ sie noch Brötchen?“

      Brötchen - das war in München so eine Sache, Brötchen gibt es in Norddeutschland (Udo betonte stets, dass es Brötchen in „Deutschland“ gäbe!), in München gibt es keine Brötchen, da sind das Semmeln.

      Also lernte er gleich mal wieder, aber richtig: „Aber Udo, des san‘d doch Semmän!“

      „Auch gut, ich nehme drei und eine Brezel.“

      „Brezn. So an großen Hunger heut früh? Oder müssen sie eine Dame zum Frühstück bewirten, sie Schlimmer?“, fragte Frau Z.

      „Nö“, sagte Udo, „nix da mit die Frunslüüd... Das ist lange her.“

      „Nana, sie sind doch ein stattliches Mannsbild, Udo, wirklich, da wird doch scho no was gehn, oder?“

      „Hhm“, machte Udo, „ach nö, wissen Sie, das ist so kompliziert mit die Frauen, nee, ich gehe nur zu Tante Greten zum Frühstück, da leckt der Wasserhahn!“

      „Müssens mal wieder was reparieren, gell? Na, sie haben schon ein gutes Herz Wenn wir sie hier nicht hätten…“

      „Ach“, sagte Udo, „da nicht für! Kann ich jetzt meine Brötchen haben, Tante Greten fällt sonst vor Hunger vom Hocker.“

      „Ach Udo, sie aber immer, sie sagen solchene Sachen, die fällt doch nicht vom Hocker, weil, die hat doch gar keinen. Ja, natürlich“, beeilte sich Frau Z. daraufhin, „die Brötchen, oh, mein Gott, jetzt sage ich auch schon Brööötchen statt Semmeln, sie können eine arme Frau aber auch ganz schön durcheinander bringen, Udo“, lachte sie und reichte ihm dann die Tüte. „Brauchens auch an Aufschnitt oder einen Butter?“

      „Nö, das wird Tante Greten schon haben, sonst gibt es Marmelade.“

      „Ja, Marmelade hat sie gestern gekauft, Kirsche und Johannisbeere und an Butter müsste sie eigentlich auch noch daheim haben...“

      „Na, denn kann ja nix schiefgehen“, lachte jetzt Udo, „gut, dass sie so etwas alles wissen.“

      „Ach, das ist ja nur, weil sie gestern erst hier war. Sonst wüsste ich das ja nicht, ich bin ja auch nicht neugierig.“ Und als Udo sich schon umdrehen wollte, um zu gehen, sagte sie: „Ich krieg fei noch einen Euro achtzig.“

      „Oh, Entschuldigung“, entgegnete Udo, „das kommt von das Palavern, nicht?“

      „Das...was?“

      „Das kommt von dem vielen Gerede“, er gab ihr zwei Euro, „passt schon, der Rest ist für die Wechselkasse!“. Frau Z. legte das Geld in die Kasse, entnahm der sorgfältig zwanzig Cent und warf sie in das Einweckglas auf dem Warmhalteofen für den warmen Leberkäs und fragte dann: „Das war schon eine schöne Trauerfeier gestern, net wahr?“

      „Ja, war ganz nett.“

      „Nett? Nur nett? Also ich weiß nicht, ich fand sie schön – und die Blumen waren so schön.“

      „Ja, obwohl – ein paar von den anderen hätten wohl es wohl lieber klassisch gehabt, so mit einem richtigen Kranz mit Schleife, nicht?“

      „Hat es Ihnen denn nicht gefallen? Der Blumenteppich von den Blumenbuben, meine ich.“

      „Ich fand´s sehr gut.“

      „Na, dann ist ja alles in Ordnung!“

      „Den Brief haben sie sehr schön vorgelesen.“

      „Ja? Danke, gell! Obwohl – ich musste an mehreren Stellen fast weinen.“

      „Das mussten doch alle.“

      „Naja, es war aber auch traurig, nicht? Einfach so den Vater von der eigenen Tochter erschießen...“

      „Sie fand, sie hätte genügend Gründe.“

      „Ja schon, aber es dann auch zu machen, also zu schießen, meine ich. Sie haben ihr scho a bissi g‘holfen, nicht?“

      Jetzt wurde Udo aber aufmerksam und sehr vorsichtig: „Wie kommen sie denn darauf?“

      „Ich dachte halt, ich hätte so etwas gehört.“

      „Was denn?“

      „Dass sie sie hingefahren hätten?“

      „Unsinn! Wie denn, ich habe doch gar kein Auto, nee, Frau Z., da hat ein unverantwortliches Plappermaul Tüttelkram erzählt, wer denn?“

      „Tüt...was?“

      „Tüttelkram, Frau Z., Lügengeschichten!“

      „Ach so, ja, die Frau Plüschke, die verzählt...“

      „Ach so, die Plüschke, die kann`s Maul unter der Perücke mal wieder nicht halten, was? Und der ausgerechnet glauben Sie?

      „Nein, natürlich nicht, der doch nicht, aber ich dachte, ich frage mal... bevor es jemand anderer tut, Udo!“

      „Sie haben das doch gestern auch selber vorgelesen, dass sie es allein getan hat, ganz alleine.“

      „Ja klar, Udo“, sagte Frau Z. bestimmt, „da hams recht, da sehen sie mal, was andere für einen Schmarrn rumerzählen. Na, die soll mir wieder unter die Augen kommen, die Plüschke, die bläde Amsel. Also nun gehns a mal zu, sonst wartet die Tante Greten bis zum Mittag auf ihre Frühstücks-Semmel. Wollen sie nicht noch zwei Eier mitnehmen? Die hat sie nämlich nicht, soviel ich weiß, halt.“

      „Gute Idee! Zwei.“

      „Weiße oder braune?“

      „Ist egal, ach, lieber braune – das sieht mehr nach Heckenkratzer aus...“

      Als Udo den Laden mit den Semmeln, der Brezn und zwei braunen Eiern in einer Papiertüte verließ, saß Herr F. auf einer umgedrehten Bierkiste neben der Ladentür, eine Zigarette rauchend, und hatte den Hübnerplatz „optisch voll im Griff“. Er grüßte Udo mit den Worten, dass sein Tag lang, segensreich und erfolgreich sein möge... Udo wünschte ihm dasselbe.

      „Ach“, sagte Herr F. von unten herauf und qualmte, „ich habe da einen neuen Rotwein... vom Feinsten sage ich Ihnen, Udo, den müssen sie probieren. Ein Franzose. Super bewertet! Neun Euros die Flasche!“

      „Na, dann legen sie mir eine Kiste zurück!“

      „Höchstens fünf Flaschen, eine muss ich selber trinken.“

      „Na gut“, sagte Udo, „ich schaue heute Nachmittag noch einmal rein. Der Sancerre von letzter Woche war übrigens S-pitze!“, und stolperte dabei gewollt „etwas über den spitzen Stein - von wegen dem Hamburger, den er heute Morgen im Laden gab.

      „Ja, nicht?“, antwortete Herr F. „der ist richtig gut!“, und schmatzte leicht bei der schönen Erinnerung, die der Wein auf seiner Zunge hinterlassen hatte, „ich kriege davon noch ein paar Kisten.“

      „Sagen