Klaus Bock

Morituri


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da verstehen Frauen ja wohl nichts davon, die sollen lieber nähen und waschen und was Frauen sonst halt so machen“, und fügte mit Blick auf Hanna hinzu, „wenn sie es können, sonst werden die komisch, oder? Und reden von Dingen, von denen sie nichts verstehen. Das kennt man ja.“

      Sarah sah inzwischen stinkwütend aus und war drauf und dran, ihm entweder eine zu kleben oder ihm den Kaffeerest ins Gesicht zu kippen – aber der Fotograf hatte das wohl geahnt und schon wieder seine Canon in Schussbereitschaft gehalten, deshalb hatte Sarah sich zurück gehalten.

      Ernstl kam mit einer Tüte in der Hand und reichte sie dem Dicken: „Das Bier. Zum Mitnehmen. Und jetzt kriege ich zwölf Euro fünfzig.“

      „Das ist doch nicht ihr Ernst“, sagte der Dicke und nahm die Tüte, „dass sie wahrhaftig Geld von uns haben wollen. Wir haben noch nie wo bezahlt, wenn wir so eine Story machen – egal wo, auch nicht in topp Restaurants - und hier am Kiosk, nein, ganz bestimmt nicht! Die anderen haben schnell begriffen, wie das Spiel läuft und wie man viel Reklame bekommt in der mz! Wir machen den Erfolg!“, betonte er zum Schluss, „oder die Bauchlandung... denk mal darüber nach, Lulatsch.“

      In diesem Moment kippte Sarah ihm den Kaffee in ihrer Tasse über die Hose.

      „Aua, eh, blöde Kuh, was soll die Scheiße?“, schrie der Dicke gleichzeitig, „Das war Absicht, das habe ich gesehen, Scheiße, das ist heiß, das Zeug. Ich bin verbrüht... Du bist mein Zeuge, Jens, die hat mich absichtlich verletzt... Hast Du das drauf?“. Er zeigte auf die Kamera.

      „Oh, Entschuldigung“, sagte Sarah, „das tut mir aber leid. Ehrlich“. Sie gönnte dem Dicken ihr schönstes Lächeln, „soll ich das trocken reiben? Ich kann das“. Der Dicke hatte keine Ahnung, wie dicht Sarah damit an der Wahrheit war.

      „Schluss jetzt. Papperlapapp“, sagte Ernstl jetzt, „das ist mir egal, zahlt ihr jetzt oder wollt ihr ein paar aufs Maul? Scheiß auf Deine Hose, Dicker. Ihr habt die Wahl!“. Er wurde jetzt richtig wütend, seine Meinung über die beiden war vollständig gekippt, und er ballte seine Fäuste und hielt dem Dicken eine davon vor die Nase: „Zahlen!“, sagte er tonlos, „oder...“.

      „Du zahlst!“, sagte der Dicke zum Fotografen, „ich habe nicht so viel Geld dabei. Und wenn, ist es nass“.

      Der Fotograf zahlte wortlos und die beiden verschwanden ohne ein weiteres Wort.

      „Na, was habe ich gesagt, denen haben wir´s aber gegeben!“, strahlte Ernstl Hanna und Sarah an, „Sarah-Mädchen, gut gemacht, eine neue Tasse Kaffee aufs Haus?“

      „Ich weiß nicht“, sagte Hanna, „da bin ich mir gar nicht so sicher, Ernstl, wenn das mal nicht ins Auge geht, warte mal lieber die Zeitung von morgen ab.“

      „Meinst Du, Hanna? Was soll denn schon passieren. Er hat doch gar nichts erfahren?“

      „Na, ich glaube doch“, sagte Hanna, „oder besser, ich befürchte... Sarah, rollen wir?“

      „Wartet, Frau Doktor“, rief Ernstl, „ich habe doch auch was für Sie“, und er verschwand im Kiosk, um gleich darauf wieder zu erscheinen: „Ist ja nicht mit Widmung oder so und auch nur auf deutsch und nicht französisch, aber habe ich ganz neu“, und damit reichte er Hanna zwei Bände: „ „Der Incal“ von Jodorowski und Moebius und „Arzak“ von Moebius… Jodorowski ist der, der mit der Verfilmung von „Dune“ von Frank Herbert so grandios gescheitert ist.“

      „Ach der?“, sagte Hanna, die das nicht gewusst hatte.

      „Ja, habe ich heute erst gekriegt, der Typ vom Comicladen in der Fraunhoferstraße hat sie vorhin vorbeigebracht.“

      „Dann haben Sie sie ja noch gar nicht gelesen?“, fragte Hanna.

      „Nein, aber das ist ja nicht wichtig, ich habe ja „Der Killer“, da freue ich mich schon drauf, morgen können wir ja wieder tauschen… ist eh nichts los am Kiosk bei dem Wetter!“

      Hanna bedankte sich und sagte noch einmal: „Ernstl, wenn das man nicht schief gegangen ist! Aber Danke für die Bücher, ich bringe sie morgen zurück. Nun lass uns man, Sarah. Tschüss, Ernstl“.

      Damit schob Sarah Hanna wieder in Richtung Leonrodstraße und dann nach links in die Fasaneriestraße.

      Sie passierten den Metallhandel mit Udos Werkstatt, Hanna hatte jetzt keine Lust mehr auf einen weiteren Besuch, obwohl es mit Udo immer sehr nett war. Als sie am Laden vorbeikamen, saß Herr F. auf seiner Bierkiste, rauchte eine Zigarette und hatte ansonsten den Hübnerplatz im Blick. Er winkte ihnen zu: „Möge der Tag ihnen positiv gesinnt nachschleichen“, sagte er.

      Die beiden bedankten sich höflich und Sarah sagte, dass sie das irgendwie bezweifeln würde und fragte dann noch, was es morgen zu Mittag gäbe.

      „Moment“, sagte Herr F. und erhob sich von seiner Kiste, „ich hole den Wochenplan“, sprach´s, verschwand und kam gleich darauf wieder mit einem Blatt in der Hand. Er hielt es den beiden entgegen und schaute Sarah und Hanna fragend an, wer von den beiden es haben wollte. Hanna griff zu, studierte die Angebote und entschied sich für Lauchgemüse mit Kalbfleisch-Pflanzl. Sarah meinte, sie habe morgen etwas vor und außerdem müsse sie mal wieder auf ihre Figur achten, also, nein danke, nichts für sie.

      22. März. Staatsbibliothek

      10.00 Uhr. Der Graf hatte mit Udo vereinbart, dass er sich zunächst einmal in der Staatsbibliothek umschauen würde, ob es denn dort überhaupt relevante Informationen für sie abzugreifen gäbe.

      Deshalb war er mit Bus und Straßenbahn in Richtung Universität gefahren und hatte dann nur noch einen überschaubaren Fußweg zur Staatsbibliothek gehabt.

      Er stand vor dem beeindruckenden Ziegelgebäude, das die Staatsbibliothek beherbergte und rauchte die fürs erste (so für zwei Stunden dachte er sich) letzte Zigarette.

      An der Treppe vor dem Haupteingang grüßten ihn vier große Steinfiguren, die von einigen gebildeten Münchnern als "Die vier Heiligen Dreikönige" bezeichnet wurden: Thukydides, Homer, Aristoteles und Hippokrates. In ihrer Gesamtheit verweisen die vier auf die Vielfalt der Wissenschaften, deren Literatur die Königliche Hof- und Staatsbibliothek zu sammeln bestimmt war.

      Er stand nicht alleine vor der Treppe, außer ihm standen viele junge Leute, kaum welche rauchten (bis auf ein paar junge Frauen), einige tranken das Getränk, das angeblich Flüüügel verleihen sollte und die meisten quatschten einfach nur. Fast jeder hielt einen Laptop unter dem Arm.

      Der Graf nahm einen letzten langen Zug, schaute dem Rauch aus seinem Mund einen Moment hinterher und trat dann die Zigarette mit dem Fuß aus und nahm schließlich dann die Außentreppe in Angriff.

      Er trat durch eine kleine Tür in den Vorraum der beeindruckenden Innentreppe, die zum Lesesaal hinauf führte. Diese Treppe hatte König Ludwig I. (der Großvater von Ludwig II. oder „mad Ludwig“) einst nur zur Nutzung einzig durch sich selbst vorgesehen – ein ziemliches Privileg, fand der Graf und ging die Treppe entsprechend würdevoll und langsam hinauf, um den königlichen Aufstieg zu genießen.

      Ein paar junge Leute liefen mit ihren iPad oder Laptop unter dem Arm schnell an ihm vorbei – das war offenbar ein Privileg der Jugend, in Räumen wie diesen nicht staunen zu müssen

      Der Graf wunderte sich ein bisschen über die vielen jungen Leute, denn als er die Staatsbibliothek das letzte Mal benutzt hatte, das muss so 1985 oder 86 gewesen sein, da hatte die Staatsbibliothek zwar bestimmungsgemäß jedem Bayerischen Bürger offen gestanden, aber dezidiert NICHT den Studenten! Die Zeiten ändern sich.

      Im Eingangsbereich zum Lesesaal war ein Sicherheits- und Kontrollposten eingerichtet worden, die Besucher mussten sich einzeln durch ein Drehkreuz zwängen – Fotoapparate waren nicht erlaubt, Handys mit ihren eingebauten Kameras dagegen schon.

      Als der Graf den Zerberus am Eingangsdrehtor neugierig fragte, warum denn Kameras verboten seien, die Handys aber nicht, zuckte der gelangweilt die Schultern und sagte ihm, dass das Vorschrift sei, und er sich um die