Klaus Bock

Morituri


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so brennend interessiere...

      Nein, das tat es nicht, und der Graf passierte Zerberus, der ihm noch einen skeptischen Blick nachsandte.

      Neben ihm hatte ein handgeschriebenes Schild über den Fakt informiert, dass alle Plätze im Lesesaal besetzt seien. Und auch da verkniff sich der Graf die Frage, warum dann noch Leute eingelassen würden... Naja, lesen konnte man schließlich auch im Stehen.

      Als er den Lesesaal betrat, staunte er nicht schlecht – sicherlich waren alle Arbeitsplätze belegt – und das waren wahrlich nicht wenige, gefühlt bestimmt achthundert. Allerdings darf man sich nun nicht vorstellen, dass an jedem Platz ein fleißiger Student saß, nein, mehr so wie im „all-inclusive“-Urlaubshotel, wo die Gäste noch vor dem Frühstück Handtücher auslegten, um ihren Platz zu beanspruchen, lagen hier auf jedem zweiten Platz Block und Kugelschreiber – offenbar die Handtücher der jüngsten Akademikergeneration.

      Vermutlich waren die angeblich fleißig Arbeitenden in der Cafeteria oder in den benachbarten Cafés, dachte sich der Graf, schließlich gehört zum Leben ja nicht nur das Studium der diversen Wissenschaften, sondern auch das des anderen Geschlechts.

      Er schaute sich um und fand ein Schild oder Plakat, auf dem in Stichworten vermerkt stand, wo in den unendlichen Regalreihen, seine Interessengebiete versteckt waren. Er suchte seine Stichworte: Rechtsmedizin oder Kriminologie – und fand sie nicht.

      Also steuerte er einen der vier oder fünf Beratungsplätze an. Am ersten saß ein auszubildender Bibliothekar (oder wie der sich nennen mochte), der wusste schon mal gar nichts und verwies stumm nur mit Handzeichen mit seinem gefährlich spitzen Bleistift an seinen Kollegen auf dem Nachbarplatz, der einer Studentin intensiv und konzentriert das Suchsystem im Bibliotheks-PC erläuterte. Das schien zu dauern.

      Der Graf verstand, das Mädel war eindeutig jünger und vor allem hübscher als er. Also schaute er sich um und fand auf der anderen Seite des Ganges eine weitere Beraterin. Sie sah schon aus der Ferne streng aus. Er erläuterte ihr seine Wünsche. Sie schaute ihn zweifelnd an, nahm sich eine verkleinerte Version des Plakats, das er schon vergeblich durchsucht hatte und meinte dann achselzuckend, dass sie fände, dass da nichts sei – Medizin stände „oben“ und Rechtswissenschaften auch. Der Graf dachte sich, dass das ein toller Service sei, aber da die Benutzung des Lesesaales kostenlos war, war eine bessere Dienstleistung irgendwie auch nicht zu erwarten, fand er. Er ging also die Freitreppe hinauf.

      „Leise und langsam gehen“ bedeutete ihm ein weiteres Schild an der Treppe, die Anweisung wurde zumindest dahingehend erläutert, dass sich sonst Lesesaalbenutzer über den ungebührlichen Lärm, den schnelles Gehen verursachen würde, beschweren würden.

      „Ganz schön empfindlich, die iPad-Generation“, dachte sich der Graf. Jedenfalls ging er leise und auf Zehenspitzen die Treppe hinauf, die trotzdem ziemlich in Schwingungen geriet und trotz seiner Vorsicht einiges Getöse von sich gab. Seine Beraterin am Fuß der Treppe schaute ihn böse an, und er zog die Schultern hoch und machte ihr sein unschuldigstes Gesicht. Leiser ging einfach nicht. Nicht auf dieser Treppe.

      Oben angekommen suchte er zunächst „Medizin“. Seine Beraterin hatte ihm die Auskunft gegeben, dass er die unter „400“ finden würde, was immer das sein mochte. Er fand sie unter „900“, suchte den Fehler aber bei sich. Zwei lange Regalreihen begrenzten einen schmalen Gang, nichts für Leute mit Klaustrophobie. Die Hälfte der Regale war leer – aber nicht, weil die Bücher entnommen waren, sondern weil offenbar tatsächlich jemand „auf Zuwachs“ gebaut hatte!

      Endlich, fast ganz am Ende, über Kopfhöhe fand er das Stichwort „Rechtsmedizin“, unter dem sich sechs einsame Bücher fanden. „Hhm“, dachte der Graf, „das scheint es zu sein...“.

      Er nahm sich ein großes Lehrbuch und ein kleines Buch „Rechtsmedizin für die Kriminalpolizei“ aus dem Regal, schmökerte noch im Gang ein wenig darin herum und fand beide interessant genug, um sie unter den Arm zu nehmen und sich einen freien Arbeitsplatz zu suchen.

      Von den ersten drei, auf denen weder Block noch Stift lagen, wurde er von den Platznachbarn mit dem Hinweis verjagt, dass da gleich jemand käme. Der Graf bezweifelte das zwar, wollte dem akademischen Nachwuchs aber auch kein Hindernis in der wissenschaftlichen Arbeit sein. Im Vorbeigehen sah er doch einige Jungakademiker, die sich mit ihren Laptops gerade von der anstrengenden Literaturarbeit entspannten – er sah Spielfilme und Schweinchen Dick-Comics laufen, andere spielten Patiencen oder Videospiele, das ganze Spektrum moderner Elektronik-basierter Entspannungsmedien eben.

      Nun gut, sei es drum, er suchte weiter und fand endlich einen Bereich, in dem viele Plätze unbesetzt waren. Doch verdammt, ein Schild belehrte ihn, dass dieser Bereich für wissenschaftliche Mitarbeiter mit Codekarte reserviert war. Entsprechend war da eine verschlossene Tür, für die man offenbar die genannte Codekarte brauchte. Also auch nichts...

      Schließlich fand er einen leeren Platz, dessen Nachbar ihn ob der Störung durch das leise Hinsetzen zwar böse ansah, sich dann aber wieder den Abenteuern Bugs Bunnys hingab.

      Die Bücher, vor allem das dicke Lehrbuch, erwiesen sich als Volltreffer. Er fand auf Anhieb drei Schussgeräte, an die sie bisher nicht gedacht hatten: Pfeil und Bogen, eine hochmoderne Armbrust und eine Hochleistungszwille!

      Da der Graf weder einen Laptop mitgebracht hatte noch einen Block, musste er sich die Informationen einfach merken. Allerdings fand er die Vorstellung, wie Robin Hood mit Pfeil und Bogen durch die Gegend zu schleichen, um sein „Wild“ zu schießen, eher erheiternd als anregend. Andererseits fand er es spannend, dass Rekordversuche mit modernen Hochleistungsbögen eine Schussweite von mehr als 1000 Metern gezeigt hatten.

      Auch die moderne Armbrust fand er grundsätzlich interessant, las sich in dem Kapitel etwas fest (Auftreff- und Durchdringungsenergie etc.), entschied sich dann aber dagegen, die Armbrust den anderen als geeignete Waffe zu schildern, da sie ihm zu groß und mit nur jeweils einem Schuss zu unsicher erschien. Sie waren schließlich weder Robin Hood noch Jungfer Marian..., nicht in ihrem Alter!

      Eine Hochleistungszwille deuchte ihm deutlich interessanter – vor allem, da sie sich leichter beschaffen lassen würde und Udo eventuell welche bauen könnte. Allerdings musste man damit gut umgehen können und das Zielen erschien ihm schon in der Theorie schwierig.

      Er verwarf die Zwille letztlich aber endgültig, weil ihm der Kraftaufwand für seine Freunde doch zu hoch erschien. Aber interessant war das alles allemal...

      Bei den Schießgeräten, so wurden die wirklich genannt, gab es eine interessante Einleitung über die verschiedenen Typen von „Schießprügeln“: Revolver und Pistolen als kurzläufige Waffen und Gewehre, Büchsen und Flinten und sonstiges Gerät mit langen Läufen.

      Und dann fand er den interessanten Hinweis, dass der Erwerb von Langlaufwaffen viel einfacher sei, als der von Pistolen und Revolvern. Hhm, dachte er, darüber müssen wir nachdenken: Langwaffen. Bisher hatte zumindest er ja immer nur Pistolen und Revolver in Betracht gezogen, zur Not auch sogenannte Derringer, die nur eine Patrone pro Lauf boten und die nach dem Schuss nachgeladen werden mussten. Allerdings wie sollte man mit Langwaffen herumfuchteln? Das erschien ihm schwierig.

      Und dann fand er den nächsten interessanten Hinweis, dass nämlich Morde auch mit selbst gebauten Schussapparaten geschahen, und in dem Moment erinnerte er sich an einen Film, den er vor sicher zwanzig Jahren gesehen hatte: „Der Schakal“.

      Im „Schakal“ ging es um ein geplantes Attentat der OAS auf Charles de Gaulle, in dem sich der Attentäter extra ein zerlegbares Gewehr von einem Büchsenmacher bauen ließ! Er klappte das Buch langsam zu, und rief sich die Szene in das Gedächtnis zurück. Erstaunlich, was man sich alles merkte. Das Gewehr bestand nur aus einem Lauf und einem einfachen Schloss mit Abzug. Die Patronen hatte der Film-Büchsenmacher auch selber gemacht! Stopp, halt mal, Patronen!

      Er schlug den Index des Buches auf und schaute unter Patrone nach – und siehe da, das war ja ganz einfach. Treibmittel war vor allem Schießbaumwolle und die hatte er schon mit vierzehn Jahren zusammen mit seinem Schulfreund Klaus hergestellt, das war ein Klacks gewesen, wenn er sich richtig erinnerte – und was sie mit vierzehn gekonnt hatten, konnte nicht wirklich schwierig