Klaus Bock

Morituri


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das als nicht ernst gemeintes Spiel. Und damit schob er Hannas Rollstuhl resolut unter dem Wärmepilz und für Sarah fand sich auch gleich ein Plätzchen, denn die Jungs rückten gerne für so eine schöne Frau zusammen.

      Ernstl verschwand in seinem Kiosk, in dem der Kanonenofen bollerte, und kam nach einem Moment mit einem Kaffee für Sarah und einem „Spezial“ für Hanna in den Händen wieder heraus. Er servierte die Kaffees als wären sie in einem Sternelokal: Mit Keks. Wenn er wollte, konnte sich der grobe Mann ohne weiteres sehr fein bewegen, er strahlte dann so etwas wie Grandezza aus, naja fast.

      „Hallo“, rief es plötzlich von vorne, „wer ist denn hier der Kioskinhaber?“

      „Wer will das wissen?“, fragte Ernstl über die Schulter, denn er bewunderte immer noch die Widmung.

      „Wir sind von der mz und machen eine Artikelreihe über Kioske in München, ich bin der Redakteur und das ist mein Fotograf“, sagte der Dicke der beiden. Der als Fotograf bezeichnete, machte mit seiner Canon8 die ersten Fotos.

      „Nun mal nicht so schnell mit die jungen Pferde“, sagte Ernstl und trat zu den beiden. „Wer sagt, dass ich das will und wer sagt, dass sie meine Gäste fotografieren dürfen?“

      „Naja, das wird ja schließlich eine super Werbung für Ihre Bude hier und ein bisschen human touch brauchen wir auch und mit der Behinderten da im Rollstuhl“, er nickte auf Hanna, „kommt das besonders gut“, sagte der Dicke und nickte dem Fotografen zu, „mach du ein paar Bilder.“ Der Fotograf schoss wieder los, zweifach, denn zum einen lief er ein paar Meter zurück, zum zweiten, um dann weitere Bilder vom Kiosk und den fünf unter dem Wärmepilz zu machen.

      „Hör auf mit dem Scheiß, sag ich“, sagte Ernstl, „oder muss ich erst direkt werden? Und „die Behinderte da“, sagst du kein zweites Mal zu unserer Frau Doktor hier, sag´ ich Dir. Und fotografieren tut ihr sie schon gar nicht!“.

      Damit richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und stellte sich dem Fotografen in den Weg und dem Reporter auf den Fuß. „Schluss jetzt! Also was wollt Ihr?“

      „Aua, Du stehst auf meinem Fuß, Du Trottel, komm da runter! Also, erst mal zwei Bier und zweimal Würstchen mit Kartoffelsalat, wenn Du das hast“, bestellte der Dicke.

      „Bier ist hier nicht!“, beschied ihm Ernstl, „jedenfalls nicht zum am Kiosk trinken, das könnt ihr höchstens mitnehmen. Kaffee könnt ihr haben und die Würstchen muss ich warm machen, das dauert einen Moment.“

      Hanna suchte seinen Blick, als er zur Kiosktür ging und schüttelte leicht den Kopf. Ernstl sah das, kam zu ihr und fragte „Ja?“

      „Sei vorsichtig“, flüsterte Hanna, „die legen dich rein… Sei ganz vorsichtig! Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Ernstl, schick sie weg, das ist besser, ganz bestimmt!“

      „Ach“, entgegnete Ernstl locker, „mit den Schwuchteln werde ich dreimal fertig, bevor die pieps gesagt haben.“

      „Nein“, sagte Hanna leise, aber bestimmt, „das glaube ich nicht, schick sie weg, bitte, das wird nichts Gutes…“

      „Ein bisschen Reklame täte aber gut“, sagte Ernstl immer noch leise, „bei den Umsätzen“, und damit ging er in den Kiosk.

      Der Dicke kam zu ihnen unter den Wärmepilz und grinste sie aus seinem drei Tage nicht rasierten Gesicht an: „Na, ist da noch ein Plätzchen für den lieben Redakteur?“, fragte er schmierig.

      „Nein“, sagte Hanna, „leider nicht.“

      „Doch“, sagte gleichzeitig einer der drei Kaffeetrinker, „ich geh dann mal.“

      Schwupps, stand der Reporter zwischen ihnen und sprach Hanna an: „Sie wollen Doktor sein? Was denn für einer? Dann gehören Sie doch gar nicht hierher – oder der Pelz ist aus der Kleiderverteilung vom Roten Kreuz oder vom Laster gefallen?“. Er lachte laut über den Witz, den er gerade gerissen hatte. Hanna sagte nichts.

      „Naja“, sagte der Dicke leichthin, „auch mit ´nem Doktortitel steht einem die Welt nicht mehr so weit offen, oder? Und dann behindert im Rollstuhl... Scheiße, was? Sag´ mal, Mädchen, sollen wir eine richtig geile Story über sie machen? Eine Home-Story? Sie haben doch ein Zuhause, oder?“, grinste er sie wieder schmierig an.

      „Nein danke“, sagte Hanna bestimmt, „kein Interesse“.

      „Vielleicht die gefallene Akademikerin, die durchs Leben rollen muss – Rollstuhl statt Mercedes. Ist Dein Ehemann mit einer Jüngeren durchgebrannt, als Du die Beine nicht mehr richtig aufgekriegt hast? Ja, die Welt ist ungerecht... Man, das wäre doch ´was...!“, leckte er sich die Lippen, „richtig geil! Ich seh´ die Story schon vor mir. Oder „Sex im Rollstuhl“, ich meine, Du siehst ja nicht sooo schlecht aus. Wie alt bist Du? 50plus? Da stehen die Kerle drauf. Und er“ – der Redakteur zeigte auf den Fotografen – „macht richtig geile Fotos, da steht der drauf...“

      Hanna schaute durch ihn hindurch, sagte nichts. Durch Handzeichen gab sie Sarah zu verstehen, sich ebenfalls ruhig zu verhalten.

      Er nahm ihre Kaffeetasse und schnupperte daran. „Ein Weinbrand am Morgen macht den Tag für Dich leichter was?“, sagte er leichthin und stellte die Tasse wieder ab.

      Von der Straße rief ein junger Mann im Hoodie: „Ernstl, hast du kurz Zeit? Ich brauche meine Drogen!“, grinste dabei und wedelte mit einer Zigarettenpackung, die er anschließend zerknüllte und dann gekonnt gezielt in den Papierkorb am Kiosk warf. „Moment! Komme!“, rief Ernstl, „wie immer?“

      Kurz darauf schob der Typ mit einer Stange Gitanes unterm Arm wieder ab.

      Der Dicke griff derweil nach dem Comic. „Mein Gott, wenn Sie nicht wollen“, sagte er zu Hanna, „da wäre schon ein Hunderter für Sie drin oder bei den Fotos auch zwei“.

      Hanna reagierte wieder nicht, was sollte sie auch machen.

      „Was ist das denn?“, fragte er, „Comics, finde ich geil, nicht Jens?“, rief er seinem Fotografen zu, der immer noch knipste. Er musste inzwischen zig Fotos geschossen haben. CANON, resp. dem Motor der CANON, sei Dank. Und wahrscheinlich alle perfekt scharf und belichtet, weil auch das die CANON automatisch erledigte. Der Fotograf musste seine CANON nur in die richtige Richtung halten und auf den Auslöser drücken, den Rest erledigte die Kamera.

      „Seit wann das denn?“, gab der zurück, „höchstens, weil du doch gar nicht lesen, sondern nur Bilder begucken kannst, vom Schreiben ganz zu schweigen.“

      „Blödmann!“, war die harsche Antwort. In dem Moment kam Ernstl mit zwei Tellern mit Würstchen und Kartoffelsalat. „Nimm mal die Bücher hoch“, wies er einen der beiden Kaffeetrinker an, „damit da keine Flecken drauf kommen!“, und zu dem Reporter sagte er: „Von mir selbst angemacht – ein Rezept meiner Großmutter, ganz besonders lecker und die Würstchen sind die besten in München, mein Wort drauf. Brauchen sie Senf?““

      Einer der beiden verbliebenen Kaffeetrinker beeilte sich der Anweisung Folge zu leisten und sagte erklärend zum Reporter, dass die Bücher wahnsinnig teuer seien, schon wegen der Autogramme, aber auch sonst, geradezu unbezahlbar seien die.

      „Ach nee“, sagte der Angesprochene, „das hätte ich nicht gedacht und schon gar nicht hier… Wie heißen die „Der Killer“? Na, Sie lesen Sachen hier, sind die denn eigentlich erlaubt?“

      „Ach“, sagte der Informant arglos, „da drinnen hat der Ernstl noch ganz andere Sachen, ganz hartes und geheimes Zeug, und noch viel teurere…“, und damit schaute er sich stolz um, „und damit tut er richtig geheimnisvoll – die darf nicht jeder sehen! Nicht einmal wir. Die holt er nur raus, wenn die richtigen Leute da sind.“

      Hanna schwante Böses und deshalb sagte sie: „Unsinn. Was erzählen sie denn da für einen Blödsinn! Das sind ganz normale Comics, nichts Besonderes, nichts Geheimnisvolles und schon gar nichts Wertvolles.“

      Der Informant fühlte sich irgendwie auf den Schlips getreten und widersprach, nein, nein, da wären Sachen dabei, man, die wären