Fabienne Gschwind

Sternenkarte


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sich die Mannschaft. Das mag früh erscheinen, aber nach 400 Jahren genetischer Manipulation hatte sich die Schlafzeit des Durchschnittsmenschen auf drei bis vier Stunden reduziert. Die meisten gingen um ein Uhr nachts ins Bett und um sechs Uhr waren sie voll wach.

      Jetzt übernahm Jay das Ruder. Als Leiter des Schiffes war er dafür verantwortlich, dass alle Besatzungsmitglieder gesund und fit blieben. Obwohl die Abhysal über eine künstliche Schwerkraft verfügte, ließen die Schwerkraftplatten zu wünschen übrig, und ohne Bewegung würden die Astronauten schnell an Muskel- und Knochenmasse verlieren. Ein Minimum von zwei Stunden pro Tag war Pflicht. Aber Jays Besessenheit von Sport und Fitness führte dazu, dass der Durchschnitt eher bei vier Stunden pro Tag lag. Jay hatte einen gigantischen Fitnessparcours in der Abhysal aufgebaut und ließ sich immer wieder etwas Neues einfallen, um alle in Bewegung zu bringen. So begann der Tag zum Beispiel mit einem Fünf-Kilometer-Lauf durch die Lagerräume der Abhysal, gefolgt von einer Kletterpartie im Schacht des Lastenaufzugs. Um ganz fies zu sein, liebte es Jay auch, die Schwerkraft zu erhöhen oder sie umzukehren. So mussten sich alle anstrengen, um nicht von der Kletterwand zu fallen. Wenn Jay nicht gerade Klettern auf dem Programm hatte, gab es Hindernisparcours, denn er hatte einen echten Ninja-Krieger-Parkour aufgebaut, bei dem alle ihre Koordination und Geschicklichkeit trainierten. Außerdem gab es ein gut ausgestattetes Fitnesscenter im Aufenthaltsraum, so dass alle üblichen Geräte wie Krafttraining, Spinning oder Rudermaschinen genutzt werden konnten. Spaßübungen wie Seilspringen, Trampolinspringen und Gymnastik standen ebenso auf dem Programm wie Leichtathletik, Tanz- oder Ballsportarten oder militärischer Drill. Jay selbst war immer noch ein begeisterter Kampfsportler, und so gab es regelmäßig Box- oder Kung-Fu-Kurse. Auch Nicolai und Joe hatten ihre Leidenschaft für den Kampfsport entdeckt und trainierten regelmäßig mit Jay. Lex trainierte mit ihnen, wenn sie gefragt wurde, aber sie mochte es nicht. Sie mochte nur das Bogenschießen auf Jays Schießstand.

      Milo machte seine Sportübungen, wie es ihm aufgetragen wurde, fand aber, dass Sport nur eine langweilige Zeitverschwendung war.

      Nach dem Sport gab es Frühstück. Die Lagerräume des Abhysal waren mit Stasis-Behältern mit Lebensmitteln gefüllt. Und wenn die Nahrung in 30 Jahren zur Neige gehen würde, könnte der hydroponische Garten erweitert werden, um die gesamte benötigte Nahrung anzubauen. Derzeit liefert der Garten nur Gemüse, Eiweißgurken, Fleisch-Auberginen und Nudelknollen. So könnte die Crew auch von frischen Lebensmitteln profitieren.

      Nach dem Frühstück wandte sich jeder an seine Arbeit:

      Joe und Nemo arbeiteten meistens zusammen. Doch bevor sie mit ihrer Arbeit begannen, zwängten sich die beiden Ingenieure wie üblich in ihre High-Tech Techniker-Outfits. Diese bot neben allerlei Techniker-Schnickschnack auch Strahlenschutz, Kühl- und Heizsysteme sowie einen leichten Muskel-Verstärker. Bei einem seiner früheren Einsätze hatte dieser Anzug Nemo das Leben gerettet, als ein Leck auftrat. Deshalb hatte er darauf bestanden, dass sie ihn bei Routineeinsätzen immer trugen. Joe war offiziell für alles rund um die Subraumtechnologie zuständig und Nemo für den Fissionreaktor und die Lebenserhaltungssysteme. Aber nach so vielen Jahren auf Raumschiffen waren beide Experten auf beiden Gebieten und erledigten die Arbeit gemeinsam.

      Sie mussten täglich Inspektionen an den verschiedenen Teilen des Schiffes durchführen. Heute inspizierten sie das Außengehäuse des Subraumtauchgenerators und werteten die Röntgenbilder des Wartungsroboters aus. Es waren keine Fehler zu finden (was logisch war, denn sonst hätte Kiki sie sofort informiert). Dann kontrollierten sie die Filter der Wasseraufbereitungsanlage. Auch hier war alles in Ordnung. Gewissenhaft füllten sie die Wartungsformulare aus und machten sich bereit, ihre freie Zeit zu genießen.

      Jay selbst setzte sich in sein Büro. Dort füllte er die Fitnessformulare aus und notierte die Fortschritte des Teams, dann gab ihm Kiki seine Agenda. Von Zeit zu Zeit musste er medizinische Untersuchungen durchführen und nach den anderen Crewmitgliedern sehen. Oder er ging die Lagerlisten durch und kontrollierte, ob alles in Ordnung war. Außerdem schaute er sich an, was jeder in der Crew tat und ob sie ihre Aufgaben pünktlich erledigten. Auf diese Weise konnte er sich wenigstens ein bisschen wie ein Kapitän fühlen.

      Aber seine Lieblingsbeschäftigung war das Testen der neuesten Subraumkarten, die Kiki über Nacht erstellt hatte. Er benutzte einen Simulator und flog durch das neu kartierte Gebiet. Wenn es irgendwelche Unklarheiten gab, meldete er sie an Kiki, die dann die Karten neu berechnete, was alle zwei Jahre geschah. Die Subraumkarten reisten mit allen anderen Dokumenten in den "Brieftauben", kleinen autonomen Raumschiffen, die in die entgegengesetzte Richtung zurückflogen und die Daten an StarMap lieferten.

      Danach machte er eine Stunde lang Dehnungsübungen, um an seiner Beweglichkeit zu arbeiten. Gelegentlich schlich er sich auch in die Simulationsbox. Das war Jays liebster Rückzugsort. Die Box simulierte eine virtuelle Realität und dank eines Ganzkörperanzugs und eines Exoskeletts konnten Bewegungen und Berührungen fast lebensecht simuliert werden. Die Hirnstimulation trug dazu bei, dass es noch realer wirkte. Jay übte in der Simulationsbox alles, von komplizierten chirurgische Operationen bis zu Weltraumspaziergängen. Aber wenn er konnte, spielte er Kriegsspiele. Ego-Shooter ebenso wie Strategiespiele oder Nachbildungen berühmter Schlachten. Manchmal brauchte er die Box sechs bis acht Stunden am Tag, aber niemand machte sie ihm streitig. Lex wurde darin seekrank, Milo war es egal, und Joe und Nemo nutzten sie nur wenig.

      Milo verschwand sofort nach dem Frühstück im Astrolab und kam erst am Abend wieder heraus. Die meiste Zeit eskortierte ihn sein Pflegeroboter zum Esstisch, damit er richtig essen konnte.

      Milo nutzte die Zeit sowohl, um mit Kiki die neuen Navigationspläne zu erstellen, als auch um unbekannte Subraumphänomene aufzuspüren und zu erforschen. Er schrieb neue Publikationen und einmal in der Woche durfte er seine neuesten Ergebnisse der Besatzung präsentieren. Nicht, dass jemand viel von seinen Theorien verstanden hätte, aber alle gaben sich Mühe, ihm aufmerksam zuzuhören. Schließlich war es wichtig, dass Milo sich wohlfühlte und Spaß hatte. Der Vorteil war, dass mit der Zeit die meisten Besatzungsmitglieder nun auch Experten in Sachen Subraumphysik waren.

      Lex ging in den Computerraum, der mit dem Astrolab verbunden war, wo sie sich mit Kiki einloggte. Über ihre Datenschnittstelle überprüfte sie jeden Tag einen kleinen Teil der KI-Programmierung. Die gängige Hypothese war, dass irgendeine Subraumstrahlung Fehler im Computercode verursachte, was der Grund dafür war, dass die Roboterschiffe so oft verunfallten. Aber weder Lex noch andere Programmierer waren jemals auf induzierte Fehler gestoßen. Lex liebte es, Zeit mit Kiki zu verbringen. Für sie war Kiki fast menschlich, sogar ihre beste Freundin. Sie genoss es, Zeit in der logisch klaren Welt des Programmcodes zu verbringen. Hier und da nahm sie Änderungen und Verbesserungen vor. Außerdem arbeitete Lex gerne an ihrem "Baby" und programmierte ihre eigene KI nach ihren Bedürfnissen.

      Es war fast ein Uhr und Lex musste ihre Arbeit unterbrechen. Selbst die besten KI-Programmierer konnten nicht mehr als drei Stunden am Stück in einer KI-Umgebung verbringen. Danach wurde das Risiko zu groß, dass sie sich ablenken ließ und sich ein fehlerhafter Code einschlich.

      Lex durchquerte den kurzen Korridor zum Wohnzimmer. Hier befanden sich die Küche und das Esszimmer, sowie der Fitnessraum und eine gemütliche Sofaecke mit Multimedia-Bildschirmen und Bibliothek.

      Zur gleichen Zeit trafen auch Nemo und Joe ein, ebenso wie Jay, der meist erschöpft aus der Simulationsbox kroch und sich in sein Quartier zurückzog, um sich umzuziehen.

      Zu Mittag gab es eine leichte Mahlzeit mit Suppe und Brot.

      Jeden Tag gab es am frühen Nachmittag eine Notfallübung, das konnte nur ein einfaches Briefing sein, bei dem Jay die Anweisungen noch einmal durchging, oder eine vollständige Simulation. Heute gab es nur eine kurze Übung, und jeder musste so schnell wie möglich in den Notfallraumanzug steigen. Schließlich waren die Leute auf dem Schiff, um im Notfall einzugreifen. Also war es logisch, dass alle möglichen Szenarien geübt werden mussten.

      Kurz darauf gingen die Leute entweder in ihr Quartier oder an ihren Arbeitsplatz und führten ihr Psycho-Hypnose-Programm durch. Viele Techniken lehrten sie, sich zu konzentrieren oder in lebensbedrohlichen Situationen ruhig zu bleiben. Inzwischen war die Crew darin Meister geworden, und sie genossen es auch, gemeinsam als Gruppe zu üben. Dreimal waren sie in den letzten Jahren nur