S. Mayer

Endzeit


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wie aus dem Küchenhahn, aber das war im Grunde auch zu erwarten gewesen und machte ihm nichts aus.

      Er schielte einen Augenblick begierig den beinahe leuchtend grünen Apfel an, der noch auf dem Tisch lag. Die Portion Brei hatte seinen Hunger soweit gestillt, dass sein Magen nicht mehr zu implodieren drohte, aber da war noch einiger Platz für mehr – er hatte eine Woche aufzuholen, ein Wunder, dass er nicht abgebaut hatte, sondern sich so kräftig fühlte. Er ließ den Apfel jedoch unberührt und schenkte sich lieber den Becher wieder voll.

      Suzann spähte flüchtig zu ihm herüber, richtete sich dann mit ihrer Beute aus der Truhe auf und kam zurück ans Bett, um den Kissenbezug und das Laken zu wechseln. Jonas sah ihr dabei zu und nahm immer wieder einen gemäßigten Schluck. Als sie fertig war, langte sie an ihm vorbei und drückte ihm Krug und Apfel in die Hand, dann raffte sie die gebrauchte Wäsche sowie die Decke an sich und wandte sich um.

      »Komm mit.« Sie machte eine auffordernde Kopfbewegung und ging voraus auf den Gang. Den Wachposten beachtete sie dabei gar nicht, als wäre er überhaupt nicht da, und der Mann schien sich auch nicht daran zu stören, dass Jonas ihr in wenigen Schritten Abstand folgte.

      Der jonglierte Krug, Becher und Apfel umher, damit er von dem knackigen Obst abbeißen konnte, und nahm sein dadurch langsames Vorbeigehen als Möglichkeit, den Mann unauffällig aus der Nähe zu betrachten.

      Er blickte Jonas einigermaßen grimmig entgegen, verzog jedoch keine Miene und machte auf ihn den Eindruck eines erfahrenen, trainierten Soldaten, der vorbildlich seinen Dienst tat und Befehle ausführte, ohne zu fragen. In seinen Augen lag keinerlei Neugier auf den Gegenstand seiner Bewachungsmission, die immerhin knapp zwanzig Männer erforderte, und sein Gesicht rührte sich zweifellos genauso selten wie seine Pflichtdisziplin.

      Jonas’ Augenmerk lag jedoch mehr auf seiner Uniform als auf dem Mann selbst, und am längsten richtete sich sein Blick auf das Schwert. Die Kleidung war genauso einfach geschnitten wie seine eigene neue Kluft, aber durchaus mit modischen Aspekten versehen, wenn auch die farbigen Absetzungen des Jacketts abgenutzt ausgebleicht waren, als trüge der Mann die Uniform, seit er hineinpasste. Sie hatte trotz der starken Abgetragenheit und dem einen oder anderen bleibenden Fleck einen untrüglichen, elitären und natürlich militärischen Flair, der durch die schneiderische Schlichtheit sogar noch mehr zur Geltung kam, als wären Finessen wie Kordeln, Nieten oder gar Riemen eingearbeitet gewesen.

      Das Schwert war im Grunde auch nicht besonders, zumal die Klinge in der Scheide verborgen war, und styletechnisch war der breite, schwarze Gürtel sogar das Ansprechendste daran. Knauf und Parierstange wiesen keinerlei Verzierungen oder sonstige kunstvolle Schmiededetails auf, das Metall war zwar poliert, aber dennoch stumpf, und das helle Lederband, mit dem der Griff umwickelt war, war nicht nur abgewetzt und irgendwie speckig, sondern auch locker. Entweder wurde die Waffe noch öfter benutzt, als die Uniform getragen wurde, oder der Mann pflegte sie nicht ordentlich.

      Jonas blieb jedoch nicht wegen der Exklusivität seines Designs mit den Augen regelrecht an dem Schwert hängen, bis er an dem Wachposten vorbeigegangen war, sondern weil es eben ein Schwert war.

      Sein Kampfsportlehrer hatte einmal erklärt, dass Messer eine viel größere Gefahr ausstrahlten als Pistolen und damit auch einschüchternder wirkten, denn etwas Scharfes implizierte unterbewusst eine ungleich höhere Verletzungsgefahr als ein abgerundetes Projektil, das man nicht einmal dann sehen konnte, wenn es auf einen zuflog. Darüber hinaus wusste jeder, wie sich ein Schnitt anfühlte, sei er auch noch so klein, doch wie oft wurde man angeschossen oder bekam eine Pistole nur wahrhaftig zu Gesicht.

      Jonas hatte das zweifelhafte Glück, nun beides erlebt zu haben, und konnte diese Theorie nicht unbedingt bestätigen. Er hatte sich beide Male ohne Zögern zum Ziel gemacht, und beide Male war er lebensgefährlich verletzt worden. Vielleicht hätte es anders ausgesehen, wäre es um ihn allein gegangen, aber so konnte er für sich keinen Unterschied zwischen dem Gefahrenpotential einer Klinge und dem einer Schusswaffe feststellen.

      Das war nicht der Grund für seinen langen Blick, auch nicht schlicht die Tatsache, dass das Schwert ihm wie das Sinnbild dafür stand, dass er sich in einer anderen Welt befand, in Eden, oder dass er das noch gar nicht wirklich begriff, sondern ein absolut widersinniges Gefühl der Vertrautheit. Nicht als alltäglicher, normaler Anblick, nein, als innere … Verbindung. Es war fast wie im Park, als er Js Schwertgriff umschlossen gehalten hatte.

      Der Mann bewegte sich und drehte sich ihm ruppig ein Stück zu, so dass Jonas ihn noch einmal direkt ansah, bevor er sich selbst zur Seite umwandte. Er hatte seinen doch ausführlichen Blick auf das Schwert wohl ganz anders verstanden.

      Jonas lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Suzann und beeilte sich, ihr den Gang entlang, nach rechts um drei, vier Ecken, durch eine Halle und weitere zwei Abbiegungen in eine Art Waschküche zu folgen. Er blieb vor der Tür stehen und nutzte die Gelegenheit, um erneut zu jonglieren und aus dem Becher zu trinken.

      Suzann warf das Bettzeug auf einen der unordentlichen Wäschestapel, fischte ein paar Kleidungsstücke aus einem der vier großen, Wasser gefüllten Holzzuber und warf sie in einen anderen, um sie mit einem langen Stab einmal darin herumzuwalgen.

      Sie drehte sich zu ihm um, machte einen Fingerzeig, als hätte sie beinahe etwas vergessen und sein Anblick das verhindert, und verschwand aus seinem Blickfeld in eine Ecke. Jonas hörte sie etwas herumschieben – anscheinend suchte sie etwas Bestimmtes –, dann tauchte sie unmittelbar an der Tür wieder auf und drückte ihm ein Paar Schuhe in die Hand, dass er beinahe alles fallen ließ.

      »Na los, du kommst zu spät«, meinte sie und schob ihn ungeduldig herum, bevor er sich die klobigen Teile näher besehen konnte.

      »Zu spät wofür?«, wollte er wissen, doch Suzann drängte ihn nur weiter, trat nach ein paar Schritten an ihm vorbei und eilte wie zuvor voraus. Jonas schnaubte unzufrieden und folgte ihr wohl oder übel erneut.

      Sie führte ihn durch den halben Palast und zwar die Hälfte, die er nicht erkundet hatte, denn nichts kam ihm auch nur im Ansatz bekannt vor. Als sie einen zum idyllischen Garten gestalteten Innenhof von der Größe eines Fußballfeldes durchquerten, der zu zwei Dritteln in voller Morgensonne lag, fielen ihm wieder die angenehmen Temperaturen auf, und er sah in den Himmel hinauf – Erde oder Eden, Himmel oder nicht, es erstreckte sich dasselbe klare Blau eines wolkenlosen, sonnigen Tages über ihm.

      »Starr keine Löcher in die Luft, komm weiter«, forderte Suzann ihn auf und blickte leicht genervt zu ihm zurück. Der Garten grenzte mit einer Querseite an eine sicherlich zehn Meter hohe Mauer, an der eine steile Treppe seitlich hinaufführte. Suzann hatte bereits die ersten Stufen erklommen und machte nun Anstalten, sie wieder herunterzukommen, um sicherlich an ihm zu ziehen.

      »Es ist so warm«, wunderte Jonas sich und blieb entgegen ihrer Ungeduld ganz stehen.

      »Natürlich ist es warm«, antwortete Suzann und verzog das Gesicht, als wollte sie die Augen verdrehen, tat es aber nicht. »Der Sommer kommt.«

      »Sommer?«, wiederholte Jonas irritiert und sah sie schief an. »Verlaufen die Jahreszeiten in Eden anders?«

      Suzann zog die Lippen breit, blieb auf der untersten Stufe stehen und stemmte eine Hand in die Hüfte. Mit einem milden, nachsichtigen Ausdruck legte sie den Kopf schräg.

      »Ein wenig«, sagte sie jedoch nur. »Eden ist eine Scheibe, weißt du.« Sie grinste frech.

      Jonas schenkte ihr einen unzufriedenen, säuerlichen Blick, biss vom Apfel ab und kaute unnötig kräftig, während Suzann ihn noch einen Moment amüsiert musterte und dann zügig die Stufen wieder nach oben stieg. Er erklomm seinerseits die Treppe, in leichtem Laufschritt und mit aufmerksamer Wahrnehmung seines Körpers, wie Muskeln und auch Kreislauf auf die Beanspruchung reagierten. Das Ergebnis, als er oben auf der Mauer ankam, war gar nicht einmal so schlecht, auch wenn er kurz davor war, lautstark und ungleichmäßig zu schnaufen.

      Die Mauer war viel breiter, als er erwartet hatte, mindestens drei Meter, und wies auf der anderen Seite eine hohe Brüstung auf. Lärm drang zu ihm, bei dessen Lautstärke es ihn wunderte, dass er ihn nicht schon unterhalb der Treppe vernommen hatte, und der unverhohlene Neugier in ihm weckte.