S. Mayer

Endzeit


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die Knie hängen ließ und beiläufig eine der Schalen auf dem Tisch näher zu sich zog, bedurfte keinerlei Bekanntmachung oder nur eines zweiten Blickes, um seine Identität offenbar sein zu lassen.

      Er war Gott.

      Es gab keinen Zweifel und nicht den geringsten Grund, sich zu fragen, woher dieses Wissen stammte. Jonas konnte es mit jeder Faser seines Körpers, seines Geistes, spüren, wie eine unendliche Berührung, auf einer Ebene, die ihm vollkommen fremd und gleichzeitig seltsam vertraut war. Als stünde vor ihm der Inbegriff seiner eigenen –

      Etwas in ihm lehnte sich zurück und grinste hämisch. Er konnte es nicht greifen, und das Gefühl war nur für die Dauer eines Herzschlages wirklich präsent, aber es hinterließ eine Nüchternheit, die fast wehtat. Jeder Impuls, irgendeine Ehrerbietung oder Unterwürfigkeit zu empfinden oder gar zu zeigen, verging, als hätte es ihn nie gegeben, stattdessen war Jonas einfach nur enttäuscht.

      Dieser Mann war Gott? Der allmächtige Schöpfer und unergründliche Vater allen Seins? Er konnte sich nicht helfen, aber auf ihn machte er eher den Eindruck eines Zigeuners.

      Das lag nicht allein an seinem Aussehen, sondern allein die Art, in der er die ausgewählte Schale mit einem verachtenden Mundverziehen noch einmal genauer betrachtete und sie dann achtlos gegen eine andere austauschte, zeigte Jonas, dass er sich für besser hielt als – vermutlich alles, was da kreuchte und fleuchte.

      Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie er sich Gott als Person vorstellte, immerhin ist das zweite Gebot des Christentums, sich kein Bildnis von ihm zu schaffen, und darüber hinaus bläuten strenge Nonnen kleinen Kindern gern ein, dass er für menschliche Augen überhaupt nicht zu schauen wäre und ein vorbestimmter Sünder seine Herrlichkeit ohnehin nicht erkennen könnte. Aber er hätte wahrscheinlich nicht die Gestalt eines vielleicht Dreißigjährigen, schlaksig schlanken Orientalen, erwartet, und mit snobistischer Selbstherrlichkeit hätte er ebenfalls nicht gerechnet.

      Andererseits war Jonas ja schon lange klar, dass Gott nicht das war, was die Bibel einem vorschwärmte. Vielleicht war er es einmal gewesen, so wie J erst im Lauf der Jahrhunderte begonnen hatte, sich in einen schmierigen, skrupellosen Schläger zu wandeln, doch das konnte er weder ermessen, noch wollte er es. Er dachte an Yû, er dachte an Richard, an jenen Winter vor zehn Jahren, und seine Hand ballte sich zur Faust.

      »Willkommen …« Fragend und ungeduldig fordernd zu-gleich sah Gott zu Suzann.

      »Jonas«, antwortete sie hastig. »Sein Name ist Jonas.«

      Gott verzog herablassend das Gesicht. »Jonas«, wiederholte er in einem Ton, der abwertend klang, gleichzeitig aber mit Ärger versetzt war. »Wie passend.«

      Er wandte sich ihm zu und betrachtete ihn mit einem scharfen Blick, in dem sich Neugier ebenso versteckte wie Gerissenheit.

      »Kennst du die Geschichte von Yonah?« Übertrieben zog er die Augenbrauen hoch.

      Jonas schürzte ansatzweise die Lippen und hob das Kinn ein winziges Stück. Gott oder nicht, der Typ war ihm mehr als unsympathisch, und das Lauern in seinen Augen erinnerte ihn nicht nur an J, es machte seine Frage eindeutig zu mehr als beiläufigem Smalltalk.

      »Ich weiß, dass der Wal nicht das Wichtigste daran ist«, erwiderte er kühl.

      Suzann sog hörbar die Luft ein und umklammerte seinen Arm dann regelrecht, aber Jonas beachtete es kaum. Sollte sie sich doch auf die Knie werfen und Gott huldigen, bis ihre Kräfte versagten, er fand keinen Grund, dasselbe zu tun. Was hatte Gott getan, das seinen Respekt verdiente; die Welt erschaffen und alles, was sich darin fand? Den Menschen? Sollte er ihm dankbar sein für das, was Yû widerfahren war? Sollte er ihn preisen für Richards Tod?

      Laori kam ihm in den Sinn und ihre Antwort darauf, warum sie ihm nicht geholfen hatte.

      Nein. Er wollte nichts lieber, als Gott mit seinem gerechtfertigten Zorn zu konfrontieren, aber er war nicht sicher, ob er eine offene Erklärung ertrug. Vielleicht irgendwann, wenn er dem Schmerz nicht mehr hilflos ausgeliefert war.

      Gottes Augen verengten sich kaum merklich; er richtete sich auf und machte eine wedelnde Handbewegung.

      »Lass uns allein«, befahl er hart, ohne Suzann indes tatsächlich zu beachten.

      Sie stand eine Sekunde lang starr, nahm dann die Hand weg und drehte sich um, um Gottes Anweisung Folge zu leisten. Es war ihr anzumerken, dass sie es ungern tat, entweder weil sie sich wegen Jonas’ körperlicher Verfassung sorgte, oder weil sie schlicht neugierig war.

      »Setz dich doch.« Gott machte eine Geste auf den Hocker, die zwar einladend wirkte, zusammen mit dem unterkühlten Ton seiner Stimme jedoch eine Aufforderung ergab, auf die er keinen Widerstand erwartete.

      Obwohl ihm das nicht gefiel, tat Jonas, wie ihm geheißen, und ließ sich mit umsichtigen Bewegungen auf dem Hocker nieder. Was war schon dabei, im Gegenteil hatte er es dringend nötig, und während der Unterhaltung die ganze Zeit zu stehen wie herbeizitiert, gefiel ihm noch weniger.

      »Bedien dich ruhig«, bot Gott an, was zu befolgen zwar keine Anweisung war, aber kaum freundlicher klang als seine vorherigen Worte.

      Jonas ließ seinen Blick flüchtig über den Tisch gleiten. In den mindestens zwei Dutzend Schalen und kleinen Schüsseln aus edel verzierter Keramik fand sich alles mögliche Obst; vieles davon konnte er nicht benennen, oder hatte es überhaupt schon einmal gesehen. Es war in mundfeine Stückchen geschnitten, mit vielleicht essbaren Blüten garniert und zweifellos frisch hergerichtet. Außerdem standen in der Mitte des Tisches drei verschiedene, kunstvolle Kuchen, von denen nur bei einem ein angeschnittenes Stück fehlte.

      Wie aufs Stichwort fühlte er ein hohles Grummeln im Magen, ohne dass ein hörbares Knurren seinen Hunger jedoch verraten hätte, aber obwohl ihm beim Anblick der Schokoladen-Nuss-Torte nicht zu verachtender Appetit kam, nahm er sich nichts. Er wollte seine langsam aber spürbar schwindende Aufmerksamkeit nicht mit essen verbrauchen.

      Stattdessen taxierte er Gott noch einmal genau, während der sich gemütlich auf der Chaiselongue ausstreckte, die Beine übereinander legte und affektiert an seinem Obergewand herumzupfte, dessen dünner Stoff offenbar nicht so fiel, wie es ihm beliebte. Der Zorn in Jonas war noch nicht verflogen, im Gegenteil. Es fühlte sich an, als würde er sich wie ein Parasit in ihm festsetzen, mit einem Gespinst aus schleimigen, klebrigen Fäden.

      »Du hast sicher viele Fragen«, meinte Gott. »Was ist der Sinn des Lebens, wann finde ich die wahre Liebe, warum gibt es so viel Schlechtes auf der Welt – und noch vieles Unbedeutendes mehr, womit ihr Menschen euch tagtäglich unsinnig plagt.«

      »Ich will lieber wissen, wo Laori ist«, antwortete Jonas. Wie er es hasste, wenn man ihn herabwürdigen wollte – dass Gott von einem gewissen Standpunkt aus sogar das Recht dazu hatte, machte es nur umso schlimmer. Es fiel ihm viel schwerer als gewöhnlich, nicht allergisch darauf zu reagieren und ruhig zu bleiben. Davon abgesehen, dass es einfach weder klug noch hilfreich oder in seinem Zustand zweifelsfrei erfolgreich wäre, schätzte er nicht, dass Gott jemand war, der sich prügelte.

      »Ihre Aufgabe, dich herzubringen, ist erledigt«, erwiderte Gott leichthin und maß ihn mit einem nichtssagenden Blick. Dann streckte er sich zum Tisch und nahm die Schale dunkler Trauben an sich, die er sich zuvor ausgesucht hatte. »Sie ist nun mit anderem beschäftigt.« Er nahm mit einigermaßen spitzen Fingern eine Traube, begutachtete sie kritisch und warf sie sich in den Mund, um übertrieben ausführlich darauf herumzukauen.

      Jonas schwieg. Er hatte es vielleicht ansatzweise schon geahnt, dass er am Ende auch von Laori nur als Fall abgehakt wurde, ganz egal, ob es im Widerspruch zu ihren Worten und auch ihrem bisherigen Handeln stand, und er verstand Suzanns Argument, dass er, wohl selbst als Auserwählter, kein Monopol auf sie hatte, dennoch war er deswegen mehr als geknickt. Er würde nicht noch einmal den Fehler begehen, rosa umbauschten Interpretationen zu verfallen, trotzdem hatte er gehofft, einfach mehr über Laori erfahren zu können.

      Außerdem, so ungern er es zugab, er fühlte sich schlichtweg im Stich gelassen. Sie war die einzige, die ihn hinsichtlich dieser ganzen verrückten Strumpfhosennummer nicht überfordert hatte. Sie hatte