S. Mayer

Endzeit


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ist gleich vorbei«, sagte sie ungerührt. »Stell dich nicht so an. Ich dachte, du bist ein Mann.«

      »Was?« Jonas schielte sie giftig und verständnislos zugleich an und verzog gepeinigt das Gesicht, als sie den grünen Brei sorgsam herumwalgte. »Selbst schon angeschossen worden, oder woher nimmst du diese Binsenweisheit? Was ist das für Zeug, Dreck?« Er hob erneut die Hand danach, aber auch diesmal schob das Mädchen sie bestimmt wieder weg.

      »Das ist eine Kräutermixtur«, antwortete sie besserwisserisch, ohne ihm auch nur einen Blick zuzuwerfen.

      Jonas besah sie sich dafür umso genauer. Sie war Asiatin, vielleicht wie Yû japanisch, mit langem, seidig glänzendem Haar, zierlichem, zerbrechlich wirkendem Körperbau und einer niedlichen Stupsnase. Passend zu ihrer östlichen Abstammung trug sie ein fein besticktes, hochgeschlossenes und nichtsdestotrotz figurbetontes Kleid mit niedrigem Kragen, kurzen Ärmeln und schräger Knopfleiste, in einem cremefarbenen Grundton, der für sich genommen nah an hässlich heranreichte, an ihr aber gut aussah. Ihr Alter konnte er nur schwer schätzen, aber er vermutete, dass sie zur selben Generation gehörte wie er.

      »Sie unterstützt den Heilungsprozess und verringert das Risiko einer Infektion«, belehrte sie ihn etwas hochnäsig.

      Jonas stemmte sich auf die Ellenbogen hoch und beäugte misstrauisch die Kräutermixtur. Es fiel ihm nicht ganz leicht, den Blick von dem Mädchen zu nehmen, weil sie ihn natürlich an Yû erinnerte, und wie sie an seinem Krankenbett saß, ähnelte zu sehr dem letzten Gespräch mit ihm, um Jonas nicht automatisch eine Verbindung zu ihr aufbauen zu lassen. Ob die beiden über die Rasse und den Moment hinaus überhaupt irgendetwas gemeinsam hatten, spielte dabei keine Rolle.

      »Aha?«, machte er alles andere als beruhigt und empfand bezüglich dieser Wundversorgung sogar noch mehr Bedenken, als er einen flüchtigen Blick in die Runde warf.

      Der Raum war groß, sehr groß, an zwei Seiten nicht durch Wände, sondern Säulen abgegrenzt, hinter denen sich die antike Architektur in weißem Stein weiter fortzusetzen schien, und bis auf das Bett, einen kleinen Beistelltisch und zwei wuchtige, planlos hingestellt wirkende, archaische Truhen vollkommen leer. Auch hier gab es an Stelle einer richtigen Tür nur einen Durchlass in der Wand, durch den ein Elefant bequem hindurchgepasst hätte.

      Irgendetwas sagte Jonas, dass er hier keine Infusionen und moderne Labortechnik erwarten konnte.

      »Sieht es gut aus?«, fragte er in einem hellen Ton mit deutlichem Einschlag eines Wimmerns, der ihn selbst überraschte und ihm unangenehm war. Normalerweise machte er sich nicht so ins Hemd, aber normalerweise bekam er auch keine Kugel ab und schüttelte dem Sensenmann die Hand – oder musste fürchten, wegen unzulänglicher Medizin Wundbrand zu bekommen.

      »Die Narbe wird dich nicht entstellen, keine Sorge«, antwortete das Mädchen flapsig, nahm endlich ihre Hände und damit den Druck weg, dass Jonas aufatmete, und wusch sie in einer Wasserschale auf dem Tisch ab. Dann nahm sie einen langen, schmalen Stoffstreifen, stand auf und begann, ihn fest um ihn herumzuwickeln. Obwohl es umständlich war, da Jonas lag und nicht mehr tun konnte, als den Rücken durchzudrücken, ging sie sehr geschickt und geradezu geübt vor.

      »Bist du Krankenschwester?«, fragte er und sparte es sich, sich über ihre weitere Schnippischkeit zu ärgern. Stattdessen gab er sich alle Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihm nicht gerade gefiel, wie sie sich in einer Tour über ihn beugte und ihn quasi eng umarmte, während sie den Verband anbrachte.

      Er trug den Sweater nicht, und es war keine Decke über ihn gebreitet, aber es lag weniger daran, dass die Situation ihm deshalb etwas peinlich war. Es machte ihn vielmehr die unmittelbare Körpernähe nervös, und es kam dabei nicht darauf an, dass sie ein Mädchen war, oder ob er sie attraktiv fand. Sein Puls jagte regelrecht, und er konnte nur mit einer brachialen Geistesanstrengung verhindern, dass Karls Worte in seinem Kopf widerhallten.

      »Manchmal«, meinte das Mädchen mit einem angedeuteten Achselzucken, zog das Ende straff und pulte es unter die gewickelten Streifen.

      »Kann das nicht Raphael machen?«, schlug Jonas vor, konzentrierte sich schon krampfhaft auf sein Gegenüber und die Gegenwart. Er war weder scharf auf Raphaels Heilungskräfte, noch darauf, in seiner Schuld zu stehen, aber die Aussicht, sich tagelang schonen zu müssen, was im Klartext herumliegen bedeutete, begeisterte ihn noch weniger. Er war nicht hierher gekommen, um sich zu erholen.

      Das Mädchen maß ihn mit einem irgendwie seltsamen Blick, setzte sich wieder und strich sich mit einer Bewegung das Haar hinters Ohr, dass Jonas sich fragte, ob sie es die ganze Zeit vermied, ihm ins Gesicht zu sehen, weil sie im Grunde schüchtern war und ihre spitzen Bemerkungen nur dazu dienten, das zu verstecken.

      »Du musst dich mit mir zufrieden geben«, meinte sie mehr affektiert als ehrlich beleidigt, zog in der gleichen teilweise unechten Manier gekränkt die Augenbrauen hoch und wandte sich ihrer kleinen Kräuterapotheke auf dem Tisch zu.

      Neben der Wasserschüssel sah Jonas ein paar kleinere, bis auf eines allesamt leere Gefäße aus Holz, einen Stößel, teilweise oder komplett kahle Stiele von verschiedenen Pflanzen, eine geöffnete und zwei verschlossene schlanke Fläschchen ohne eine Beschriftung, saubere und braun verschmutzte Tücher und den zu einem unförmigen Ball zusammen geknautschten und in sich verklebten Pflasterverband aus dem Krankenhaus.

      Er war Naturheilkunde gegenüber nicht negativ eingestellt, im Gegenteil war ihm im Gegensatz zu den meisten Menschen und seinen Altersgenossen im Besonderen durchaus bewusst, dass die moderne Medizin ihren Ursprung in der Heilkraft von Pflanzen und auch Tiersekreten hatte, aber er war nun mal weder als Höhlenmensch noch als Angehöriger eines brasilianischen Dschungelvolkes geboren und hätte sich doch viel wohler gefühlt, hätte er wenigstens ein haushaltsübliches Desinfektionsspray unter den urtümlichen Utensilien erblickt.

      Sorgsam legte das Mädchen eines der ausgefransten, gut taschentuchgroßen Stoffstücke über ihre linke Handfläche und strich mit der Rechten den scheinbar restlichen Batzen Kräuterbrei aus der größten Schüssel, um ihn darauf zu geben und gleichmäßig zu verteilen.

      »Für einen Kerl bist du eine ganz schöne Memme«, sagte sie frech. »Aber keine Angst, wenn du dich schonst und brav deine Medizin nimmst, bist du in ein paar Tagen wieder auf der Höhe.«

      Mit dem grünen Brei in der Hand drehte sie sich ihm zu, musterte mit bedeutsamem Blick seine geschwollene Wange und die Veilchen an Auge und Kiefer und grinste zuckersüß.

      »Auf keinen Fall schmier ich mir diese stinkende Pampe ins Gesicht«, wehrte Jonas bestimmt ab, deutete ein Kopfschütteln an und verspürte darüber hinaus den starken Impuls, von ihr und ihrem Kräutermatsch wegzurutschen.

      »Wer schön sein will, muss leiden«, sang sie geradezu, beugte sich vor und drückte ihm das Zeug auch schon an die Backe, ehe er zu einem weiteren Widerspruch auch nur ansetzen konnte. Er drehte zwar den Kopf weg, aber dadurch bot er ihr die Blessuren sogar noch an, anstatt ihrer Reichweite zu entgehen.

      Angewidert verzog er das Gesicht, biss die Zähne zusammen, um ihr nicht auch noch die Genugtuung eines Schmerzenslautes zu geben, und strafte sie mit einem stechenden, finsteren Blick. Unausweichliches Zusammentreffen schien sie auf jeden Fall mit Yû gemein zu haben.

      »Nun hab dich nicht so, nur ein paar Minuten«, sagte sie auf einmal mild, sah ihm nun unerwartet direkt in die Augen und betrachtete ihn unverhohlen neugierig – schüchtern, ja, klar. »Mein Name ist Suzann, und deiner?«

      »Jonas«, antwortete der, verlagerte sein Gewicht auf einen Arm und hob die Hand nach der Kräuterkompresse, um sie selbst festzuhalten und ihr damit den Grund zu nehmen, ihm länger wortwörtlich an der Pelle zu hängen. Er hätte es ihr gegenüber nie zugegeben, aber zumindest die Kälte und die Feuchtigkeit ihres Kräuterbreis entfalteten augenblicklich eine mehr als angenehme Wirkung. »Wo bin ich hier?«

      »Wo wärst du denn gerne?«, erwiderte Suzann und nahm ihre Hand weg, machte aber keine Anstalten, auch mit ihrem Blick von ihm abzurücken – noch etwas, dass sie mit Yû gemein hatte, aufdringliches, unhöfliches und durchdringendes Starren.

      Jonas sah sie unwillig an, teils weil