Da schimmerte mir wirklich eine große runde Muschel verlockend auf dem sandigen Boden des Lochs entgegen.
Plötzlich erhielt ich einen heftigen Stoß in den Rücken. Ich stürzte vor, schrie, als ich in das kalte Wasser eintauchte, und verstummte gerade noch rechtzeitig, bevor das salzige Nass über meinem Gesicht zusammenschlug.
»Finn«, brüllte ich halb wütend, halb lachend, als ich wieder auftauchte. Das Wasser war herrlich erfrischend, während ich mich auf der Stelle tretend nach meinem Bruder umsah. Doch auf dem Steg stand bloß Fearghas, der ein unschuldiges Lächeln aufgesetzt hatte. Neben mir strampelte Finn im Wasser und schlug mit der flachen Hand so gegen die Oberfläche, dass sich ein Schwall über den Steg ergoss. Leider ohne Fearghas zu erreichen.
»Komm auch rein, wenn du dich traust«, brüllte Finn und spritzte erneut.
»Nein, tut mir leid. Ich habe leider keine Zeit.« Entgegnete er mit einem Zwinkern und deutete auf ein näherkommendes Motorboot. »Ich bin verabredet.«
»Ja, klar. Du bist ein Weichei«, murmelte ich leise und lief rot an, als er mir direkt in die Augen sah, als ob er meine Worte verstanden hatte. Doch er schwieg und hob lediglich kurz eine Hand und schlenderte dann über den Steg davon auf das Boot zu, das am anderen Ende hielt. Mehrere Jugendliche saßen darin und begrüßten Fearghas johlend. Kurz darauf brausten sie mit ihm davon.
*
Nach dem Abendessen saß ich noch lange auf der Terrasse des Ferienhäuschens und las in meinem Buch. Meine Eltern spielten mit Finn Uno, doch ich hatte keine Lust darauf. Es lief bei diesem Spiel immer auf dasselbe heraus. Mein Bruder zockte uns alle ab, und mein Vater raufte sich seine spärlichen Haare. Da saß ich doch lieber hier und genoss die Ruhe. Als sich knirschende Schritte auf dem Schotterweg näherten, sah ich auf und bemerkte erst jetzt, dass der Abendhimmel sich inzwischen mit dunklen Gewitterwolken zugezogen hatte. Wind war aufgekommen, den ich gar nicht bemerkt hatte, weil ich völlig windgeschützt zwischen den Häusern saß. Er zerzauste Fearghas das Haar und zerrte an seinem Hemd, das klatschnass an seinem Oberkörper klebte, als er durch das Tor schritt. Sein Gesicht wirkte seltsam angespannt und ja, eigentlich sogar zornerfüllt.
»Hallo«, sagte ich, unsicher, ob ich mich überhaupt bemerkbar machen sollte.
Fearghas stockte und starrte mich an. Seine Augen funkelten so voller Wut, dass ich mich für einen kurzen Augenblick versteifte. Dann fuhr er sich mit der flachen Hand über das Gesicht und seufzte leise. »Hallo«
»Entschuldige, ich gehe wohl besser rein«, sagte ich und wollte aufstehen, dabei fiel mir auf, dass auch seine Jeans völlig durchnässt war.
»Nein, nein!«, stieß er eilig hervor und hob beschwichtigend die Hand. »Nein, ist schon in Ordnung. Das ist eure Terrasse. Du kannst dort sitzen, wann du willst. Und ich hatte sowieso vor, ins Haus zu gehen.«
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich und biss mir auf die Lippen. Es ging mich nichts an. Ich kannte ihn noch nicht mal. Aber dennoch, Fearghas wirkte so aufgebracht, dass ich einfach fragen musste.
Er betrachtete mich kurz, dann zuckte er mit den Schultern. Sein Blick wurde etwas milder, aber immer noch war die Wut darin deutlich zu sehen. Ich sah aber auch, dass sie sich nicht gegen mich richtete. Wahrscheinlich hatte er einen Streit mit seinen johlenden Freunden vom Boot gehabt. Allerdings frage ich mich schon, warum er so nass dabei geworden war. Ob sie ihn wohl ins Wasser geworfen hatten?
»Ich habe mich nur über die Idioten geärgert, mit denen ich unterwegs war. Das ist alles«, entgegnete er langsam und bestätigte damit meine Vermutung. Doch ich hörte auch deutlich heraus, dass das eigentlich nicht alles war. Aber ich schwieg und nickte bloß.
Ein Blitz zuckte über den Himmel und beleuchtete Fearghas auf unheimliche Weise. Seine Augen wirkten dadurch überdimensional groß für sein Gesicht. Donner folgte nahezu zeitgleich, und ich zuckte zusammen. Dieses Bild hätte jedem Gruselfilm alle Ehre gemacht.
»Du solltest doch besser hineingehen«, sagte er, und auf einmal klang es doch ein wenig wie eine Drohung. Ich nickte eilig, nahm mein Buch und war froh, als ich die Tür hinter mir ins Schloss zog und mich zu meiner Familie gesellen konnte. Plötzlich fand ich es gar nicht mehr so dramatisch, dass Finn mir ständig die gemeinen Karten aufdrückte und ich mehr und mehr Karten in der Hand hielt.
Zufrieden strich mein Vater nach einer Weile über seinen Schnauzbart, der inzwischen mit vielen Silberfäden durchzogen war, als er schließlich die letzte Karte ablegte und seine leeren Hände präsentierte: »Gewonnen!«, verkündete er freudestrahlend wie ein Kind. »Der alte Uno-Meister ist abgesetzt! Es lebe der Uno-Meister!«
»Ich will Revanche!«, forderte mein Bruder und schob meinem Vater den Stapel Karten zu, damit dieser sie neu mischen konnte.
Ich lehnte mich zurück und genoss das Geplänkel und die Sicherheit, die in dieser Runde herrschten, während draußen ein Sturm über das Land zog, der einen Lärm veranstaltete, als wollte er alles zerschlagen. Die Begegnung mit Fearghas hatte ich vollständig vergessen, als ich Stunden später schlafen ging.
Kapitel 2
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war von dem Gewitter, nichts mehr zu sehen. Die Sonne schien bereits wieder klar vom wolkenlosen Himmel und leerte die Pfützen, die hier und da entstanden waren.
Meine Familie und ich fuhren nach Oban, einer hübschen Stadt, die direkt an der Küste lag, und mit vielen Geschäften und Cafés lockte. Meine Mutter stürmte die Touristeninformation und stopfte jeden Flyer, für den sie nichts zu bezahlen brauchte, in ihren übergroßen Rucksack.
»Oh, sieh mal, Markus«, rief sie nach meinem Vater und deutete auf ein Plakat an der Wand, auf der ein Seehundbaby abgebildet war. »Hier bekommen wir die Karten für den kleinen Zoo zehn Pfund billiger. Lass uns gleich welche mitnehmen. Wir wollten doch sowieso die Tage da hin.«
Mein Vater nickte und ging zum Schalter, während meine Mutter weiterhin Flyer einpackte, als könnte sie uns damit die nächsten vierzehn Tage verpflegen. Hochrot im Gesicht schleppte sie den schweren Rucksack dann später durch die vielen Gassen. Aber sie verlor darüber kein Wort. Ich wusste bereits jetzt, dass sie den Nachmittag damit verbringen würde, die Flyer zu studieren und anschließend zu einem wandelnden Reiseführer mutierte, der die Gegend in- und auswendig kannte.
Als wir zurück zu unserem Ferienhaus gelangten, parkte ein Polizeiauto im Hof der Farm. Ein Polizist stand mit Fearghas und Adam vor der Haustür. Alle drei sahen flüchtig auf und unterhielten sich dann weiter. Während meine Familie ins Haus ging, blieb ich vor dem Gartenzaun stehen. Nur beiläufig streichelte ich Dee und Etive, die wieder zur Begrüßung heranstürmten und ihre Nasen fordernd in meine Handflächen vergruben. Viel mehr interessierte mich, worüber sich die Männer unterhielten. Adam sagte etwas zu seinem Sohn, der daraufhin wütend den Kopf schüttelte: »Wie ich bereits mehrfach sagte, ich bin einfach nur nach Hause geschwommen.«
„Aber es war spät am Abend, ein Gewitter zog herauf und die Insel, auf der die Jungs festsaßen, ist verdammt weit draußen für einen Schwimmer.“ Der Polizist notierte sich etwas in ein Notizbüchlein, während er sprach. Dann stemmte er die Arme in die Seiten. „Hör zu, Junge. Das wäre schon bei ruhigem Wasser eine lange Strecke. Mit dem Boot ist es eine gute halbe Stunde.“
„Das Wasser war eigentlich ruhig. Nur die Idioten waren einfach zu blöd und mussten ja unbedingt die Seehunde jagen. Ich jedenfalls hatte keine Lust auf der Insel mit ihnen zusammen festzuhängen, nachdem das Boot umgekippt ist, und bin in unsere Bucht geschwommen. Was anderes habe ich nicht zu sagen. Und ich habe auch nicht das Boot umgeworfen, falls Sie auf diese Idee kommen sollten.“
»Nein!«, der Polizist hob abwehrend die Hände und lachte. »Das halte ich dann doch eher für unmöglich. Dann könnte ich genauso gut behaupten, ein Selkie hat den Sturm über die Jungs gerufen, weil sie die Seehunde bedroht haben.« Er steckte das Notizbuch in seine Brusttasche und hielt Fearghas