immer wieder zu Adam hinübersah. Es wirkte auf mich, als wusste dieser Mann ganz genau, dass er nur ihn zu fragen brauchte, es aber aus irgendeinem Grund nicht tat.
Ich machte einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf:
»Nein, das Boot kam nicht von hier!« Und das war ja auch im Grunde genommen keine Lüge. Fearghas war hier lediglich von seinen Freunden abgeholt worden. »Wieso möchten Sie das denn wissen?«
»Oh, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Verzeihung!« Der Mann lächelte erneut. Wieder tauchte das Grübchen auf. Seine dunklen Augen waren von langen gebogenen Wimpern umrahmt und erinnerten mich wage an Fearghas. Wieder eine Verschwendung an einen Mann, die eher einer Frau zugestanden haben sollte. »Mein Name ist Sean McDougal. Ich arbeite für die hiesige Zeitung und wollte den Jungen interviewen, der durch das Loch geschwommen sein soll, um Hilfe für seine Freunde zu holen.«
»Hier gibt es keinen Jungen«, log ich diesmal unverfroren. »Die Söhne von Adam sind schon erwachsen und nicht mehr hier.«
»Oh, wie schade.« Der Reporter sagte es so, als wollte er sagen: »Ich glaube dir kein Wort, du kleine Lügnerin«, aber das war vielleicht auch nur meinem schlechten Gewissen zuzuschreiben, dass gerade vorwurfsvoll mit dem Finger auf mich zeigte. »Dann werde ich mich wohl woanders umhören müssen.«
»Ja, sieht so aus«, sagte ich und biss mir auf die Lippen. Adam kam jetzt mit meinen Eltern den Steg herunter. Hoffentlich entlarvte mich gleich niemand von ihnen als Lügner.
Doch diese Sorge war unbegründet. Auch dem Reporter war nicht entgangen, dass Adam auf das Bootshaus zukam. Mit einem knappen Nicken verabschiedete er sich und schlenderte betont lässig davon.
Ich sah ihm hinterher, bis er verschwunden war. Eine kleine Stimme in meinem Inneren flüsterte mir mit leichter Paranoia zu, dass dieser Mann dort niemals ein Reporter gewesen sein konnte. Doch bevor ich mich näher mit diesem Gedanken befassen konnte, riss Finn mich von diesen fort. Wie ein Sack ließ er sich rücksichtslos neben mich auf die Bank plumpsen, auf die ich mich inzwischen gesetzt hatte.
»Wir gehen jetzt ins Haus. Ich bin total kaputt«, seufzte er mit einem glücklichen Ausdruck im Gesicht.
»Ach, ich bleibe noch eine Weile hier und werde lesen. Es ist zu schön hier.«
»Bleib nicht zu lange«, sagte mein Vater, der dazu trat. »Komm nach Hause, bevor es dunkel wird.«
»Ja, ist gut.«
Auch ihnen sah ich eine Weile hinterher. Meine Eltern liefen Hand in Hand mit Finn den Weg zurück. Ich konnte ihnen förmlich ansehen, dass sie sich hier wohl fühlten. Eine zufriedene Ausstrahlung ging von ihnen aus, die ich in jeder Geste sehen konnte. Und auch ich musste zugeben, dass Schottland anscheinend gar nicht so schlecht war. Meine Abneigung hatte schon unter dem herzlichen Empfang von Adam und Mairee zu bröckeln begonnen. Ganz zu schweigen von der wirklich schönen Gegend. Auch ich konnte mich nicht der Faszination entziehen, die das Loch mit seinen grünen Inseln und den gewaltigen Berghängen vom gegenüberliegenden Ufer auf mich ausübte.
Ich nahm mein Buch und ging bis zum Ende des Steges. Dort zog ich meine Schuhe aus und setzte mich. Langsam ließ ich meine Füße mit angehaltenem Atem in das kalte Wasser gleiten. An dieser Stelle war das Wasser völlig dunkel. Bereits am Steg fiel der Grund des Lochs auf zehn Meter Tiefe ab. Ich sah über die glatte Fläche. Wie tief mochte es weiter draußen wohl sein, und was trieb sich in der Dunkelheit alles herum? Ein unbehagliches Gefühl beschlich mich, aber ich ließ meine Füße, die ich gerne an mich gezogen hätte, wo sie waren. Ich wollte mich nicht von meiner Fantasie beeindrucken lassen.
Für eine Weile saß ich nur da und genoss die Einsamkeit und die Stille. Lediglich das leise Gluckern des Wassers, das leicht gegen das Metall des Steges schlug, war zu hören. Neugierig betrachtete ich die zwei Segelboote, die etwas weiter draußen lagen. Die kleine Bucht bot wirklich einen gut geschützten Ankerplatz. Ob jemand auf den Booten schlief? Für den Moment schien ich jedenfalls völlig alleine zu sein. Zufrieden nahm ich mein Buch und begann zu lesen. Gerade geriet der Held in Gefahr. Die Spannung überlief mich mit einem Schauer, als sich plötzlich etwas um meinen rechten Knöchel legte und mich, wie mit einem Schraubstock festhielt. Mein Herz setzte aus. Ich schrie!
Der Griff löste sich augenblicklich, und vor mir tauchte das verlegene Gesicht von Fearghas auf.
»Bist du eigentlich vollkommen verblödet?«, schrie ich ihn wutentbrannt an. Am liebsten hätte ich auf das Wasser geschlagen, so viel Zorn rannte durch mich hindurch. Zitternd vor Schreck umklammerte ich meine Knie und legte den Kopf darauf, um mich wieder zu beruhigen.
»Entschuldigung. Ich konnte doch nicht ahnen, dass du so schreckhaft bist.« Er lächelte ein wenig verzweifelt und zog sich mit einer beeindruckend spielerischen Bewegung auf den Steg. »Tut mir wirklich leid, aber es war so verlockend, als ich deine Füße gesehen habe.«
Er wirkte so beschämt, dass ich mir plötzlich albern vorkam. Beinahe hätte ich geseufzt, stattdessen entrang ich mir ein abfälliges Schnauben. Zu leicht wollte ich es ihm auch nicht machen.
»Schon gut. Ich war gerade in einem sehr spannenden Teil in meinem Buch vertieft. Du hast das Talent mir immer im unpassendsten Augenblick zu begegnen«, sagte ich und ließ meine Füße zurück ins Wasser gleiten.
»Ah, und wie reagierst du auf mich in den passenden Augenblicken?«, schmunzelte er.
Oh, mein Gott! Ein tiefes Grübchen rutschte neben sein Lächeln, während ich gegen die Hitze in meinen Wangen kämpfte.
»So, wie man eben reagiert, wenn man irgendjemanden begegnet, den man schon mal gesehen hat. Ich sag Hallo«, entgegnete ich leicht schnippisch und trat nun spielerisch mit dem Fuß ins Wasser. »Ich habe dich übrigens vor einem Reporter verleugnet, der nach dir gefragt hat. Ich habe behauptet, dass Adam nur erwachsene Söhne hat.«
»Du hast ihn angelogen?« Er musterte mich interessiert und kein bisschen böse, was ich zunächst befürchtet hatte. Dabei bogen sich seine Augenbrauen wie geschwungene Brücken über die dunklen Seen seiner Augen. »Wieso?«
»Ich fand ihn komisch«, antwortete ich lahm, weil ich selber merkte, wie dumm sich das anhörte.
»Du bist schon ein wenig seltsam, Klara. Das weißt du schon, oder?«
»Sagte der Junge, der behauptet eine Strecke geschwommen zu sein, die ihm niemand recht glauben kann«, konterte ich.
»Okay, komm mit.« Fearghas stand auf und streckte mir seine Hand entgegen, um mir aufzuhelfen. Ich ließ mich hochziehen und versuchte dabei nicht auf seinen mehr als durchtrainieren Oberkörper zu starren. Bei jeder Bewegung quollen an irgendeiner Stelle Muskeln vor.
»Was willst du mir zeigen?«, fragte ich und konzentrierte mich auf sein Gesicht, was nicht weniger beunruhigend auf mich wirkte.
»Steig ins Boot. Kommst du mit der Steuerung klar?«
»Ja, natürlich.«
»Ich möchte dir beweisen, dass ich die Strecke locker schaffe.«
»Du spinnst!«, sagte ich und blieb stehen. »Du musst mir wohl nichts beweisen. Das Ganze geht mich noch nicht einmal etwas an.«
»Und dennoch hast du dich doch bereits eingemischt, oder nicht? Du lügst irgendwelche Fremden an, weil du denkst, dass ich etwas zu verbergen habe.«
Mir wurde plötzlich unangenehm bewusst, dass er immer noch meine Hand hielt. Mein Magen zog sich ein wenig zusammen, und das war ganz bestimmt kein unangenehmes Gefühl. Ich stand hier in dieser doch inzwischen ganz traumhaften Kulisse mit diesem … Schotten und hatte keinerlei Ahnung, wo ich jetzt noch hinschauen sollte, ohne mein Gesicht in ein purpurnes Bonbon zu verwandeln. Fearghas schien meine Verlegenheit nicht zu bemerken und zog mich sanft weiter. »Bitte!«, sagte er und schenkte mir einen bettelnden Blick. Ich seufzte und atmete tief ein.
»Na gut, aber ich muss vor Dunkelheit zu Hause sein.«
»Das ist kein Problem.« Er warf einen Blick zur Sonne, die sich langsam zu neigen begann. »Wir müssen nur mit dem Boot aus