H.L. Thomas

Schattenkriege


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      Verflucht, was für ein mieser Schuppen. Tank wischte sich den Staub von der Sonnenbrille und betrachtete das heruntergekommene Gebäude. Es war ein schmuckloser Bau, der vermutlich nicht einmal gut ausgesehen hatte, als er neu war. Jetzt blätterte die Farbe ab, die Leuchtreklame flackerte ungesund und die blinden Scheiben waren in den letzten dreißig Jahren vermutlich nicht mehr geputzt worden. Er erkannte Ramon sofort. Damals war er schon ziemlich pummelig gewesen und hatte echte Probleme, beim Training die Kletterwände zu bewältigen, aber jetzt konnte man ihn nur noch als fett bezeichnen. Die Tatsache, dass er über seinem Wanst nur eine Weste mit dem Clubemblem trug, verbesserte die Sache nicht. Fünf weitere Männer hingen herum und schauten misstrauisch zu ihm herüber. Vertrauenerweckend sahen sie alle nicht aus. Ramon stand auf und kam näher.

      „Oh Madre Dios! Tank, bist du das wirklich?“ Ein Strahlen ging über sein Gesicht, als er Tank umarmte. „Alles klar, Companeros, der Mann ist in Ordnung. Wir kennen uns aus Parish Island.“

      Tank registrierte sehr wohl, dass die eine oder andere Waffe wieder zurückgesteckt wurde und die Männer sich kaum merklich entspannten.

      „Du hast mich doch eingeladen, da bin ich.“

      Tank nahm die Sonnenbrille ab und stakste näher. Die lange Fahrt saß ihm gehörig in den Knochen. Er hatte wenig Hoffnung, bei diesem trübseligen Haufen die Informationen zu bekommen, die er haben wollte, aber einen Versuch war es wert.

      Ein paar Tage später bereute es Tank beinahe, dass er hergekommen war. Was hatte er erwartet? Dass das Leben solcher Männer nichts mit der vielbeschworenen Biker-Romantik zu tun hatte, war ihm schnell klar geworden. Der Anführer der Diablos, genannt „El Grande“, war ein Mann Mitte dreißig. Er allein gab die Richtung vor, andere Meinungen waren nicht gefragt. Vielleicht hatten die Männer auch keine, so genau war das nicht festzustellen. Tank mochte El Grande nicht besonders. Er hatte was von einer Ratte oder vielleicht auch einer Schlange, er mochte sich nicht festlegen. Die Truppe hielt sich ein paar Mädchen, die in dem schmierigen Stripclub für sie arbeiteten, wobei die Dienstleistung beim Strip nicht endete. Die Mädchen waren total fertig. Die meisten betäubten ihr elendes Dasein mit Drogen. Der Umgang mit diesen Frauen stieß ihn zutiefst ab. Als er mitbekam, wie einer der Männer eine junge Anhalterin mitbrachte und auf welche Weise diese dann dazu gebracht wurde, für die Diablos zu arbeiten, war der kalte Hass in ihm hochgestiegen. Er verstand auf einmal die Reaktion der „normalen“ Bürger auf solche Typen. Verflucht, was hatte jemand wie Jane bei solchen Leuten gemacht? Hatte ihr so etwas gefallen? Er konnte es sich nicht vorstellen.

      Als er drauf und dran war, seine Satteltasche zu packen, kam Ramon zu ihm.

      „Wir fahren morgen zum Applecreek-Treffen. Wär’ schön, wenn du mitkommst. Das ist eine Riesen-Party. Alle Clubs aus Arizona, New Mexico und Texas werden da sein. El Grande hat noch ein Bonbon für dich: Wenn du beim ‚Dusty 100‘ mitfährst und unter die ersten zehn kommst, darfst du bei uns mitmachen, natürlich erst mal als Prospekt.“

      Wow! Das waren ja tolle Aussichten, sich den ganzen Tag von dieser Rattenschlange rumscheuchen zu lassen und artig das zu machen, was ihm befohlen wurde. Tank bekam beinahe Zahnschmerzen bei dem Gedanken. Andererseits bot dieses Treffen vielleicht doch noch die Möglichkeit, endlich was über die Marauders und ihren mysteriösen Anführer herauszubekommen. Wenn er mit den Diabolos dorthin kam, war das auf jeden Fall besser, als allein aufzutauchen.

      Er nickte Ramon zu. „Okay.“

      Unterwegs beobachtete Tank, dass El Grande ihn die ganze Zeit im Auge behielt. Am zweiten Abend sprach er ihn an.

      „Ey Mann, du sagst kaum ein Wort, interessierst dich nicht für unsere Geschäfte, packst nicht mal eine von unseren Nutten an. Du willst kein Mitglied bei uns werden, oder?“ Tank schaute ihn einfach nur an, ohne ein Wort zu erwidern. „Gringo, ich bin nicht blöd. Du suchst was!“

      Tank nickte knapp. „Wenn ich’s finde, steh mir einfach nicht im Weg, dann sind wir beste Freunde.“

      Etwas in Tanks Blick veranlasste El Grande, nicht weiter nachzubohren.

      „Aber du fährst für uns?“

      Tank war klar, dass diese Frage nur der Tatsache geschuldet war, dass er das PS-stärkste Motorrad besaß. Die anderen Bikes waren in einem teilweise erbärmlichen Zustand. Er nickte El Grande wortlos zu.

      Wer dem Applecreek seinen Namen gegeben hatte, musste Sinn für Humor gehabt haben. Roter Staub lag über dem ehemaligen Tagebau, der sich tief in die Landschaft gefressen hatte. Selbst, wenn ein Strauch es gewagt hätte, in dieser Mondlandschaft zu wachsen, wäre es wohl kaum mehr als dürres Dornengestrüpp.

      Tank stellte fest, dass es eine Menge Outlaws gab. Man kannte sich untereinander. Allerdings konnte nur mit einer herzlichen Begrüßung rechnen, wer dazugehörte. Tank tat das nicht. Bestenfalls wurde er der Kategorie einsamer Wolf zugerechnet, solchen Leuten vertrauten die Biker nicht. Entsprechend misstrauisch fielen die Antworten auf seine Fragen aus: „Brotherhood?“ – „Marauders?“ – „Alle draufgegangen.“ – „Nie gehört.“ – „Gibt’s nicht mehr.“ Tank war enttäuscht. Er war sicher, dass es hier Leute gab, die mehr wussten. Für das Dusty 100-Rennen gab es ein Bike zu gewinnen. Tank entging nicht, dass auf dem Tankdeckel der Schriftzug „Brotherhood“ nur halbherzig überarbeitet worden war.

      Er fluchte leise, bevor er wieder zu seiner Harley zurückkehrte. Er musste vor dem Rennen noch die Maschine vorbereiten: Kerzen erneuern, Vergaser überholen, kurze Auspuffrohre anschrauben, Schutzbleche und Lampen runternehmen, Luft aus dem Hinterreifen ablassen, das war bei diesem Boden besser. Immerhin lenkte es ihn von seinem Frust ab.

      Der Kurs war beeindruckend: steile Auf- und Abfahrten, Kurven, Hochgeschwindigkeitsstrecke, alles, was man brauchte. Tank musste aufgrund des PS-starken Bikes ziemlich weit hinten starten. Das bedeutete Dreck fressen! Der Lärm war ohrenbetäubend. Neben ihm nahm ein Fahrer Aufstellung, dessen schwarzes Bandana nur wenig von seinem Gesicht erkennen ließ.

      „Wenn du mit einem von der Brotherhood sprechen willst: Heavy in Tusker, Alabama!“ Er zog den Gashahn und die Maschine schoss förmlich vorwärts.

      Tank schaute überrascht hoch. Scheiße, er hatte den Start verpasst!

      Das Rennen war die Hölle. Tanks Glide bockte wie ein wütender Esel über die Strecke. Er fühlte sich einen Moment lang an ein Rodeo erinnert. Schön wär’s, dann hätte er es wenigstens nach zwei Minuten hinter sich. Nach einigen Runden kannte er die richtig fiesen Stellen, die Schlaglöcher, die Matschgruben. Er schonte die Maschine zwischendurch, so gut es möglich war. Bei einem Stopp zwischendurch reichte Ramon ihm eine Flasche Whiskey. Tank schüttelte den Kopf und rief:

      „Wasser!“

      Das kühle Nass spülte den Staub aus seiner Kehle, aber die Erleichterung war nur vorübergehend. Es wurde langsam dunkel und kühl, aber er bemerkte es nicht. Seine Haut war von einer dicken Schutzschicht aus Schweiß und Staub überzogen, sein Hintern war taub und der Rücken schmerzte mörderisch, obwohl er die meiste Zeit stand, um den harten Schlägen auszuweichen. Direkt auf gleicher Höhe fuhr eine Triumph mit Hinterradfedern. Tank biss grimmig die Zähne zusammen. In den Kurven war sie nicht zu packen, er musste auf die nächste Gerade warten. Nach zwei weiteren Runden streikte die Glide. Kerzen, Vergaser, Tanks Bewegungen waren beinahe mechanisch, während seine Augen versuchten, den Mann auszumachen, der ihm den Tipp mit der Brotherhood gegeben hatte. Er fand ihn nicht. Die Glide erwachte wieder zum Leben. Im Schein der Feuer sah die Strecke beinahe surreal aus. Die Zuschauer grölten und feuerten ihre Leute an. Whiskyflaschen, Joints und kleine Tütchen kreisten. Tank war sich mittlerweile nicht mehr sicher, ob der Typ ihn wirklich angesprochen hatte oder ob er das alles nur geträumt hatte. Die Maschine brach aus, das nächste Schlagloch, vor ihm stürzte jemand. Ausweichen! Er war der Glide beinahe dankbar, als er fünf Runden später ein hässliches, mahlendes Geräusch hörte, erst der vierte Gang versagte, dann der dritte. Sie röchelte auf, bevor sie endgültig ausging. Er roch heißes Metall und verbranntes Öl. Die Harley lag auf der Seite wie ein sterbendes Pferd.

      Wasser.