H.L. Thomas

Schattenkriege


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war gemäß Heavys Beschreibung zu einer abgelegenen Farm gefahren, um das Bike auszuliefern. Der Mann, der ihn dort in Empfang nahm, war nicht besonders freundlich.

      „Wenn Heavy dich nicht mit dem Bike hergeschickt hätte, würdest du jetzt mit ’nem dicken Loch im Bauch vor meiner Veranda liegen, Mann! Aber es ist okay, komm mit!“

      Er nahm die Schrotflinte herunter, verstaute sie auf seinem Bike und bedeutete Tank, ihm zu folgen. Die Strecke war ziemlich unwegsam und zog sich endlos hin. Tank war heilfroh, dass er im Ort noch mal getankt hatte.

      Nach etwa zwei Stunden kamen sie an einem aufgelassenen Steinbruch an. Die Gebäude waren mehr oder weniger heruntergekommen. Ein hoher, rostiger Stahlzaun verwehrte den Einlass. An der Einfahrt standen zwei Wachen mit Sturmgewehren. Auf den Überresten eines verrotteten Turms konnte er einen weiteren bewaffneten Mann ausmachen. Tank war ziemlich klar, dass er ohne seinen Begleiter nicht lebend hier angekommen wäre. Das also war der Unterschlupf der Marauders – von wegen alle tot. Tank zählte etwa zwanzig Männer, von denen vermutlich jeder hundert Jahre Knast zu erwarten hätte, wenn man seiner habhaft wurde. Sein Begleiter fuhr bis zu einem Holzhaus, das einigermaßen instandgesetzt worden war. Tank hatte den Motor abgestellt und war ganz ruhig ausgestiegen. Ihn hatte das untrügliche Gefühl überkommen, dass die Leute hier auf überhastete Bewegungen allergisch reagierten.

      „Mein Name ist Trevor Jones und ich würde gern mit Ihnen über Jane Mulwray sprechen.“

      Cave nahm die Sonnenbrille ab und betrachtete den Mann, der vor ihm stand. Der Kerl schien überhaupt keine Angst zu haben. Das war dumm oder naiv. Allerdings sah er nicht aus, als sei er naiv oder dämlich. Er hatte was von einem Bullen, darauf hätte Cave gewettet. Er roch solche Typen, seit er bei seinem ersten Ladendiebstahl mit sechs Jahren erwischt worden war. Heavy musste davon überzeugt sein, dass der Mann sauber war, aber Heavy war nicht immer der beste Menschenkenner. Ob Jane in Schwierigkeiten steckte? Cave deutete mit dem Kopf auf ein altes Sofa, das neben einem Schaukelstuhl stand.

      „Setz dich.“ Tank musste ein wenig um Cave herumgehen und beinahe war es, als umkreisten sich zwei Raubtiere. Jeder versuchte, den anderen einzuschätzen. „Was willst du von mir oder von dieser Frau?“ Cave musterte ihn eindringlich. „Wer bist du eigentlich? Habt ihr sie mal wieder im Visier?“

      „Ziemlich viele Fragen auf einmal. Ich bin Janes Freund. Wir kennen uns aus Vietnam. Ich bin seit ein paar Monaten wieder hier und ich habe das Gefühl, dass sie in Schwierigkeiten steckt.“

      „Und was habe ich damit zu tun?“

      „Ich glaube, dass die Ursache für ihre Schwierigkeiten ziemlich lange zurückliegt. Ich suche jemanden, der sie schon recht lange kennt, der mir vielleicht aus dieser Zeit etwas erzählen kann, was mir weiterhilft.“

      „Warum fragst du sie nicht selbst? Spricht sie nicht mit euch Bullen? Sie scheint was gelernt zu haben!“ Caves Blick war herausfordernd.

      Tank schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass Jane die Antwort kennt. Außerdem bin ich kein Bulle.“

      „Fang mit ihrer Familie an. Ich vermute, die können dir eine ganze Menge erzählen.“

      „Geht nicht. Ich habe sie gefunden. Ist einige Wochen her. Oben an der kanadischen Grenze, etwa einen Meter unter der Erde. Archie und Helen Flechter, deren Söhne und zwei Kinder. Dafür, dass es sich um einen offiziellen FBI-Einsatz gegen ihr Restaurant gehandelt hat, ein ziemlich merkwürdiger Fundort.“

      Cave griff nach der Flasche auf dem Tisch und schüttete sich einen Drink ein. Scheiße. Archie Fletcher und er hatten nie auf derselben Seite gestanden, aber er und seine Frau hatten gut für Jane gesorgt.

      „Wie hat sie es aufgenommen?“

      „Sie weiß es nicht und sie wird es auch nicht erfahren. Sie würde sich die Schuld geben. Sie hat die Leute nach fast zehn Jahren besucht und drei Wochen später waren sie tot.“

      Cave fragte nicht lange, sondern schüttete einen zweiten Drink ein und gab ihn Tank. „Was willst du wissen?“

      „Alles, woran du dich erinnerst.“

      Cave blickte auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas. Alles, woran er sich erinnerte.

      Er sah das kleine Mädchen mit dem kastanienbraunen Pferdeschwanz vor sich. Sie besaß etwas Besonderes, etwas Leuchtendes, beinahe Magisches. Viele Jungs hatten ihr bewundernd hinterhergesehen und er selbst machte keine Ausnahme. Bei den Mädchen hatte Jane einen schwereren Stand. Neid der Besitzlosen! Er erinnerte sich an einen Zusammenstoß mit einem anderen Mädchen von der Highschool. Cave sah das affektierte Grinsen vor sich, mit dem Amy Duster durch die Gänge der Schule stolzierte und Hof hielt. Sie war wirklich ein Miststück und hatte auf jeden Fall eine Abreibung verdient. Er wusste nicht, worum es bei dem Streit ging, aber die Sache war ziemlich eskaliert.

      „Ich erzähl dir was über Jane. Sie muss so etwa zwölf, dreizehn gewesen sein, da hatte sie einen hässlichen Streit mit einem Mädchen aus ihrer Klasse. Jane hat ihr die Nase gebrochen. Die Kleine hatte einen älteren Bruder, Rory. Der Typ lauerte Jane mit ein paar Freunden auf, um es ihr heimzuzahlen.“

      Tank kannte die Geschichte schon von Jane. Cave hatte sie aus dieser brenzligen Situation gerettet und nach Hause gefahren.

      Cave lachte. „Hat sie das gesagt? Nein, Mann, so war es nicht. Ich habe eingegriffen, weil Rory Duster wie am Spieß um Hilfe schrie.“

      Tank schaute ihn überrascht an.

      „Nicht, dass ich den kleinen Scheißer leiden konnte, aber man geht nicht einfach weiter, wenn man jemanden in Todesangst kreischen hört. Zumindest dachte ich das damals. Rory war damals siebzehn, Football-Spieler, Quarterback, glaube ich. Er und seine Clique waren durchtrainierte, kräftige Jungs. Oh, mein Gott, ich habe noch nie ein kleines Mädchen so kämpfen sehen. Es dauerte nicht lange, da lag der Erste auf dem Boden. Der Kerl war übel zugerichtet und bewegte sich nicht mehr. Zwei rannten weg und dann schnappte sie sich Rory. Junge, hast du diese Frau jemals in Aktion gesehen? Es hört sich vielleicht bescheuert an, aber sie ist eine Kampfmaschine, ein Killer. Ich wollte nicht, dass sie Rory Duster umbringt, da ging ich dazwischen. Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, dass ich kein neuer Gegner war. Es war dann, als wache sie aus einem Traum auf. Sie hat nicht mal mitbekommen, was sie angestellt hat. Ich setzte sie auf mein Motorrad und habe sie nach Hause gebracht, bevor einer die Bullen rufen konnte.“

      Cave trank das Glas mit einem tiefen Zug leer und schenkte sofort nach.

      „Rory und seine Kumpane konnten natürlich nicht zugeben, dass ein kleines Mädchen sie so fertiggemacht hatte. Das hätte ihnen auch niemand abgenommen. Also waren es natürlich wieder die üblichen Verdächtigen. Ich bin dann abgehauen, bevor die Bullen dumme Fragen stellen konnten.“

      Tank hörte Cave zu, ohne eine Miene zu verziehen. Er erinnerte sich, wie er Jane in Van T’rac zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war tagelang auf der Flucht vor einer Special-Force-Einheit gewesen. Der Dschungel in Vietnam war die Hölle, das wusste er aus eigener Erfahrung. Als die Typen versuchten, sie sich zu greifen, fehlte nicht viel und sie hätte die Soldaten zu Kleinholz verarbeitet. Er hätte ihr damals den Arsch retten sollen, aber es war umgekehrt gewesen.

      „Ich glaube, ich weiß, was du meinst.“

      Cave fuhr fort: „Ich traf sie dann vor ein paar Monaten in Mexico wieder. Ich war ehrlich überrascht, sie dort bei Boyds üblem Haufen zu sehen. Sie hat dort echt was mitgemacht, eigentlich ein Wunder, dass sie nicht draufgegangen ist. Ich habe schnell gemerkt, dass die Feds an ihr dranhingen. Mein erster Gedanke war, dass es was mit Boyds Geschäften zu tun hat, aber das war nicht so. Sie waren hinter Jane her. Ich kann dir nicht sagen, was sie wollten, aber es ist gründlich schiefgegangen. Vielleicht hatten sie keine Ahnung, mit wem sie sich anlegen.“

      Cave starrte auf den staubigen Boden und verstummte. Gewalt war Teil seines Lebens, aber bei der Erinnerung stellten sich ihm beinahe die Nackenhaare auf.

      „Dein Mädchen ist