Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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der Freunde, zu denen es ihn verschlagen haben könnte. Der Kreis begrenzte sich auf einen eigenbrötlerischen Köhler, den sie aber nicht antrafen, und einen Freund, den er schon vor der Auswanderung aus Westfalen kannte. Der machte kürzlich von sich reden, durch den Bau einer Gerberhalle, die allen anderen Gerbern das Wasser abgrub. Sie mussten durch das wenig vornehme Westviertel, wo Fischer, Gerber und Färber ihrem anrüchigen Handwerk nachgingen. Auf ihrem Weg scheuchten sie in einem engen Durchgang ein entlaufenes Schwein auf, das im Schweinsgalopp vor ihnen her zuckelte und sich, als sie schneller ausschritten, durch ein Hundeloch unter einem Bretterzaun verdrückte. Früher oder später würde es in einem Vorgarten beim Räubern im Rübenbeet erwischt werden und doch noch auf dem Tisch landen. Ulrike seufzte - so war es nun einmal in der Welt. Ein Feldweg, von dem aus man die Hunte hörte, führte zu Fordolts Mühle, von der die Aumunds ihr Korn mahlen ließen. Die Grillen zirpten, und wo sich klappernd das Wasserrad der Mühle drehte und es immerzu plätscherte, tollten einige Kinder auf der Badewiese umher. Das Brausen vom Wehr wurde lauter und schwoll an, während sie sich langsam Eikes Angelstelle näherten. Sie entdeckte Eike schon von weitem. Keinen Steinwurf entfernt saß er am Ufer, und Ulrike rief die vorausgepreschte Freundin vom Wehrgang zurück, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln und ihn nicht völlig zu übergehen. Eike von Bardenfleth lehnte an seinem Stammplatz an der Weide und beschäftigte sich gerade mit der Angel. „Nein, dein Vater ist hier nicht vorbei gekommen“, klärte er sie auf, wickelte Schnur ab, tat ein kleines Schrotkorn daran und ließ forschend die Augen über das sie umgebende hohe Hafergras schweifen, auf der Suche nach einem Köder. Flink fasste er zu und erwischte eine grüne Heuschrecke, die er dann konzentriert auf den kleinen Haken spießte. Erst dann widmete er sich den Mädchen. „Setzt euch zu mir“, forderte er, und als Ulrike sich zu ihm hockte, lachten seine Augen anzüglich. „Ich finde Lüder großartig. Der traut sich was“, gab er zu. „Aber was hat jemand wie er mit diesem Gnatterpott von Gerber zu schaffen? Das wüsst‘ ich gern.“

      Von den in der Sonne verrottenden Feldern her lag dumpfer Heu- und Öhmdgeruch auf dem Land, und Ulrike rieb sich die Nase, eigentlich schien es wichtiger, ihren Vater aufzustöbern, aber sie bezähmte sich und erklärte es ihm geduldig. „In Soest, wo Vater aufwuchs, arbeiteten sie zusammen in der Saline. Salinen sehen aus wie riesige hölzerne Bienenhäuser mit Türmen, hoch wie unser Erntebaum und vollgestopft mit Reisig. Im Reisig sammelt sich Sudsalz, und im Eifer des Gefechts stieß Hinnerk oder Lüder einen vollen Sack um. Auf wessen Kerbholz es tatsächlich ging, darüber haben sie sich nie einigen können. Hinnerk nahm es auf seine Kappe, und das verbindet.“ Sie wollte ihm nicht die Fische verscheuchen und ließ sich nicht länger aufhalten, warf aber ein Auge auf den Melkbottich am Schilf. Drei Rotfedern schwammen darin, die hin und wieder leise plätscherten. Eike deutete mit dem Kinn stumm auf das klare Wasser. Die Weißfische, auch die ältesten und größten lockte die Wärme empor, um sich zu sonnen, und einige umkreisten die in der Strömung wippende Federpose.

      „Wie ich Lüder einschätze“, gab Eike ihr auf den Weg, „hockt der in der Schmiede und hadert mit sich und der Welt. Ich will eine Nacht in einem Bett voll Brennnesseln schlafen, sollte ich mich irren. Aber Lüder wirkte nie wie jemand, der sich bei Freunden ausweint.“

      Ulrike wunderte, warum ihr das nicht selbst einfiel. „Danke“, warf sie ihm zu, und auf einmal zog es sie unwiderstehlich zur alten Herdstelle. Von dieser Stunde an mochte sie Eike wieder irgendwie; der nüchterne Wink zeugte von gesundem Menschenverstand und bewies, Eike machte sich Gedanken. Durch ihn wieder zuversichtlich gestimmt, wandte sie sich der überschaubaren Dorfstraße zu, und der Himmel über Berne war enzianblau wie Birtes Augen. Die Freundin sah sie zwinkernd an. „Ist doch ein Lieber, der Eike… musst du zugeben. Außerdem könnte ich mir dann leicht Bolke angeln. Einen für dich, einen für mich.“

      Die klappernde Mühle und das tosende Wehr blieben hinter ihnen – es zog Ulrike mit beschleunigten Schritten zur alten Schmiede. Dort fanden sie ihren Vater. Lüder rieb sich grüblerisch den Stoppelbart und konnte sich nicht entschließen, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Die Stirn gesenkt, stierte er aus glasigen Augen auf den Pott mit Most, zu dem er sonst eher selten griff. Wie viel von dem scharfen Obst er sich bereits einverleibte, zeigte die rote Nase. Er lallte hörbar, mit ihm zu reden, hätte sie sich sparen können. Er schob sich eine triefende Pflaume in den Rachen und kaute langsam und genießend. Vom Rummel wollte er nichts wissen - bevor Birte die Geduld verlor und empfahl, sie könne vorausgehen.

      Endlich machte Lüder sich Luft. „Dieser aufgeblasene Hundsfott wird mich schikanieren“ stellte er brummig in den Raum. „Du kennst mich als Gemütsmensch, Rike, mir fällt es verdammt schwer, dann nicht gereizt zu klingen.“ Er schlug krachend die Faust auf den Tisch, die Augen sprühten vor Zorn. „Ich bin keiner, der katzbuckelt… und das hier aufzugeben, das heißt, einem Hund gleich den Schwanz einzukneifen.“

      „Vater, nimm das Gute mit, das dir der Graf anbietet. Arbeite vorläufig am alten Amboss, dann an dem, den er dir hinstellt und komme zu uns, mit auf den Aumundhof, die Kammer ist allemal so groß wie das hier. Obendrein hättest du stets was zu tun. Ich erinnere mich, oft fehlte uns das Geld fürs Brot. Vergiss nicht, wie dir zumute war… hast du in der Schmiede gesessen und die Daumen gedreht.“

      Es traf den Punkt, den er in seiner Verzweiflung vergessen hatte. Lüder erhob sich unbedarft, wankte heftig, und grinste als sie ihn stützte. „Du bist so klug wie deine Mutter war, Rike“, lobte er sie mit mühsam gebändigter Zunge. “Was soll aus uns werden… hält Eike auf einmal um dich an?“

      Sie schüttelte den Kopf dazu und schmunzelte hintergründig. Er hütete sich, noch ein Wort darüber zu verlieren. Dann hakte sie sich bei ihm ein, und sie kehrten mit ihrem heftig schwankenden Vater auf den freien Platz am Rathaus zurück. Den Einzug der mit Blumengirlanden geschmückten Erntewagen hatten sie verpasst, ebenso das Ritual, in dem ein Junge die letzte Garbe vom Stoppelfeld bringt, und das Sackhüpfen der Kinder. Auf dem Stuhl des Bühnengerüsts saß ein grün und gelb gekleideter Barde. Er griff kraftvoll in die Saiten, und der Klang der Laute fuhr ihr in die Knie. Sie sang gern und genoss den Zauber des ihr fremden Instruments. Es war ein trauriges Lied von einem edelmütigen Ritter, dem die Geliebte schmollte, weil er ihr einen Freund erschlug. Wurde zum Tanz aufgespielt, war üblich, eine Seite der Bankreihen den Männern zuzuordnen, die andere Hälfte, von den Linden bis zum Tor mit der Bernebrücke blieb den Frauen. Scheue Blicke wechselten von hier nach dort, ehe ein mutiger Jüngling sich der weiblichen Gemeinde näherte.

      Vor der Bühne tanzten bereits einige, da stieß Birte Ulrike an. Ihr Blick zielte auf Eike von Bardenfleth, der sein Angelzeug bei sich hatte und quer durch die Sitzreihen gezielt auf sie zu steuerte. „Birte… nein“, raunte sie. Bisher gelang ihr, sich vor dem Tanzen zu drücken; sie fürchtete, sich zu blamieren, und seine Absicht war klar.

      „Du bleibst“, verlangte Birte. „Zeig‘ Courage, Rike. Der Eike ist ein brauchbarer Kerl. Stoß ihm nicht vor den Kopf. Hörst du?“

      Also ließ sie sich auffordern, brachte mit Eike ihren ersten Reigen hinter sich und floh schleunigst wieder an ihren Platz. Erneut beschwor er sie, mit ihm den Heuschober aufzusuchen, ja drängte sie, und die strengen Regeln von Sitte und Anstand geboten, unberührt zu bleiben, bis die Glocke von Berne in den Hafen der Ehe rief. Die Bitte nach einem zweiten Tanz schlug sie barsch ab und blieb auch hart, als er sich verstohlen entschuldigte. Jedenfalls zog Eike traurig ab. Birte weigerte sich, das stumm hinzunehmen. Ihr Gespräch wurde lebhafter. Birte klang vorwurfsvoll, und Ulrike sträubte sich, noch einmal auf Eike zuzugehen. Ja, sie behauptete kühn, sie könne auf Eike verzichten, ebenso auf jeden anderen Kerl. Lüder sorge für genug Aufregung. Sie übertrieb, aber es tat gut, danach über das zu reden, was sie wirklich belastete, und die Zeit verging darüber wie im Flug.

      Als ein kunterbunter Gaukler die Bühne betrat und eine lohende Feuerlanze in die Luft spie, hielt Ulrike fasziniert wie alle den Atem an. Es dämmerte allmählich, ein Häscher im Oldenburger Wappenrock entzündete Talglichter und steckte am Rand des Festplatzes einige Fackeln in den festgetretenen Lehm. Ulrike blies ungeduldig über ihre dampfende Schale mit Biersuppe, da erschien jemand in hohen Reitstiefeln vor der Bank, an der Ulrike mit ihren Schwestern und der Freundin saß. „Ist der Platz neben dir frei?“

      Ein freudiger Schreck spiegelte sich in ihren Zügen. Sie erkannte