Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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sollte damit rechnen, geschlachtet zu werden… und stirbt der Bauer, muss seine Witwe selbst dafür eine Abgabe leisten an die Burg. Das beste Stück im Viehbestand fällt dann an den Vogt. Aber das ist ja ebenso fällig, will jemand heiraten. Anderswo war das ewig so. Wir werden uns an diese Schikanen gewöhnen.“

      Eike stöhnte. Ulrike holte beunruhigt Atem; der Name Ocko fiel und in ihr flackerten Erinnerungen auf, an die Tage, in denen sie noch ein Kind sein durfte. Sie besann sich auf einen jungen Friesen mit einem verwegenen Zug um den Mund und wachen, hellblauen Augen. Der hieß auch Ocko und führte eine Bande Halbwüchsiger an, die früher die geheimnisvolle Wildnis hinter den Moorweiden unsicher machte. Er duldete keine fremden Kinder auf dem Gut der dortigen Meierei. Später geriet er ins Gerede, da er sich mit jeder einließ, die ihm schöne Augen machte, und fiel in Ungnade bei allen. Dafür rächte er sich in denkwürdiger Art und Weise. Zur Lindenblüte stiegen die Jungfrauen der Gemeinde nach alter Sitte an der Leiter in die Äste hinauf und pflückten ein Körbchen Lindenblüten, und es hieß, ein Handwerksbursche auf Wanderschaft passierte die große Linde, die voller Weibsleute saß und nahm sich in seiner Bettlerfreiheit heraus, die Leiter zu entfernen. Hinterher sprach sich freilich herum, wem der Streich zuzuschreiben war, aber Ocko scherte das wenig, weil für ihn damals die Wanderjahre anbrachen. Ulrike versuchte, sich auf Einzelheiten zu besinnen, doch ehe betretene Stimmung aufkam, fiel Bolke von Bardenfleth in einen Plauderton. „Gestern besuchte mich Elmer der Fuhrmann“, besann er sich. „Der Alte beschwerte sich entrüstet, jemand habe ihm das Pferdegespann gestohlen, während er in der Schänke saß und zechte.“

      Begeistert stieß Ulrike die Freundin mit dem Ellbogen an, er hatte ihre Neugierde geweckt. Bolke lächelte sinnig, und Birte, sich neugierig über den Tisch beugend, folgerte: „Klingt nach dem Streich eines Spaßvogels.“

      Bolke schickte trocken die Erklärung hinterher. „Sagen wir, er hat kluge Pferde, der Elmer. Er wankte heim und traute seinen Augen kaum, da ihn Fuhrwerk und Gespann bereits erwarteten. Er hat seine Pferde über Gebühr warten lassen, und die Tiere fanden allein den Weg nach Haus.“

      Birte prustete ein helles Lachen heraus. Ulrike belächelte es. Sie ärgerte sich, offenbar hielt selbst ein Mann wie Bolke es für unangebracht, sie und Birte an einem Männergespräch teilhaben zu lassen. Seit sie sich als eine Erwachsene begriff, stieß es ihr übel auf, kam dieser ungeliebte Wesenszug an den Tag. Ulrike war kein Kind mehr und spürte genau wie die Männer, der Graf von Oldenburg streckte vor dem Rathaus zu Berne eindeutig die Hand nach Stedingen aus; unruhige Jahre bahnten sich an. Sie hob aufbegehrend das Kinn, da empfahlen sich die Bardenflether schon. Eike nickte Ulrike zu, niemand sollte von ihm sagen, er habe sie wie Luft behandelt. Die beiden tauchten in der Menge unter, da flüsterte Birte: „Der Bolke ist nach meinem Geschmack.“

      „Er scheint verliebt“, fiel ihr ein. „In dich, Birte. Hast du das nicht gemerkt?“

      Birtes Züge erstarrten. „Ach was, du hörst das Gras wachsen.“

      Einen Moment überraschte Ulrike ihr ungläubiges Gesicht, dann zuckte es um ihren Mundwinkel, als bereite ihr Birtes Verlegenheit Vergnügen. Sie zwinkerte schelmisch. „Meinst du, es ist Zufall, wenn der höchste Deichgraf sich so eurer Sache annimmt? Hat dir noch nie ein Mann so richtig von Herzen nachgestellt und dir so wie er eben, in immer länger werdenden Reden zu verstehen gegeben, wie du ihm gefällst?“

      Es überraschte Birte, dass sie verdattert die Lippen kräuselte. „Hat er das?“

      „Ja, er sah meistens dich an. In sechs Tagen feiern wir Erntedank in Berne. Lass uns hingehen. Ich kann dir flüstern, wer dich zum Tanz auffordern wird.“

      „Na, wir werden sehen.“ Birte freute sich, und in Ulrikes Zügen setzte sich ein breites Schmunzeln durch. „Während der Rede des Deichgrafen betrachtete dich sein Sohn mit einem verträumten Ausdruck… richtig lange… verstehst du, Birte? Und dieser Mann, das darfst du mir glauben, der weiß, was er will.“

      In dem Augenblick näherte sich vom Feldweg, der zur Huntebrücke führte, trommelnder Hufschlag, eine Handvoll Reiter steuerten den Hof an. „Wir bekommen Besuch“, bemerkte Birte leise.

      Ulrike nickte ihr zu. „Sie suchen Ocko. Ob es nun der ist, an den ich bei diesem Namen denke, weiß ich nicht, aber dem ist einiges zuzutrauen. Womöglich feiert er flott hier mit, während die Schergen des Vogtes Ställe, Scheunen und Wäldchen durchkämmen nach ihm. Der mit der Kettenhaube ist Graf Moritz. Ich sah ihn vormittags in Berne, als sie die Bulle verlasen und das Blatt an die Rathaustür genagelt haben.“

      Der Graf wäre fast in die feiernde Gesellschaft hinein galoppiert und riss bei der Trauerweide heftig die Zügel an, sein Ross bäumte sich vor den Tischen auf. „Was ist denn hier los?“, rief er gehässig. „Ich schätze, ihr feiert zu früh.“

      Zum zweiten Mal an diesem Abend fiel Ulrike der junge Bardenflether auf. Der war nämlich abseits der gedeckten Tafel noch in ein Gespräch gezogen worden und lachte dem ungeladenen Besuch beherzt ins Gesicht. „Auch, wenn Ihr unser Lehnsherr seid… Ihr stört, werter Herr Graf! Für Euren Stand wirft es schlechtes Licht auf Euer Ansehen im Land, in der Art in eine Feier hinein zu poltern!“

      „Schweig, stehst du vor deinem Lehnsherren, befahl ihm Graf Moritz. „Ich habe euch Wichtiges zu sagen, womit sich die Feier erübrigen dürfte.“

      „Lasst hören, werter Herr Graf“, gab Bolke von Bardenfleth frech zurück. Ein Klappern lief durch die Sitzreihen der Festtafel. Alle, die bis eben unbeschwert an ihrem Bier nippten, stellten den Krug auf den Tisch und hielten den Atem an.

      „Sollte einer unter euch einen heimlichen Gast auf dem Heuboden beherbergen, empfehle ich, das zu melden. Wer Ocko Unterschlupf gewährt, wird gehängt… wie der Gesuchte selbst. Ist das klar? Niemand kann sich hinterher herausreden“, drohte der Graf ausdrücklich und erinnerte sie mit gesenkter Stimme: „Noch etwas: Ich schickte eure Knechte zum Hemmelskamper Wald um Eichen zu schlagen für ein Herrenhaus. Ich will, dass es vorangeht auf der Baustelle, und ich erwarte von jedem, den ich hier sitzen sehe, morgen ab dem Sonnenaufgang bei der Rodung zu helfen. Wer fehlt, den lasse ich in Ketten nach Burg Lechtenberg schleifen.“

      Sein Herold mochte sich überflüssig fühlen, doch der Graf formulierte es kurz und bündig selbst und preschte mit seinen Reisigen davon, ehe der junge Bardenflether mehr erwidern konnte. Entsetzen ergriff die Feiernden, und Bolke von Bardenfleth räusperte sich. „Ihr habt es gehört. Nicht einmal der Deichgraf kann von euch verlangen, euch dieser Anordnung zu widersetzen. Es wäre einfach unklug; tut mir leid um die, die der Schuh drückt, wo er Sibo Aumund drückte. Wir hätten euch ebenso geholfen, aber das wird schwierig. Man stellt uns ein Bein.“

      Schräg gegenüber saß Renke van Hartjen, ein graubärtiger Mann mit geröteten Wangen, die Augen glasig vom vielen Bier. Es betraf ihn. Er hob aufhorchend den Kopf und zog gefasst die Unterlippe hoch. „Herrjemine“, stieß er verdrossen hervor, „das schmeckt nach einem abgekarteten Spiel. Der Graf weiß, das Korn ist reif und muss schleunigst in die Scheune. Wie kann er von mir verlangen, auf der Rodung zu helfen? Ich bin nicht der Heiland, vermag nicht, an zwei Stellen zugleich zu sein und weigere mich, meinen Sohn bei der Ernte im Stich zu lassen?“

      „Sie wollen billiges Ackerland einsammeln“, erklärte Bolke ernst. „Diese Menschenschinder. Mir sind wie jedem der hier Anwesenden die Hände gebunden. Ich rate euch: Geht nach Warfleth. Fragt nach Detmar tom Dieke. Es gibt noch mehr, die sich nicht einschüchtern lassen. “

      „Was wollen sie mit den brachliegenden Äckern?“, flüsterte Birte der Freundin zu. „Die werden doch nicht ihre Schergen vor den Pflug spannen.“

      Ulrike fuhr sich nervös um den Hals. „Dein Vater besitzt ein Gut. Das gefällt ihnen nicht. Die wollen Leibeigene, die sich nicht mucken.“

      Sie hob wie unterbrochen das Kinn - am anderen Ende der Bank sprang Eike von Bardenfleth auf, die Hände in den Nachthimmel gestreckt. „Heda Freunde… auf ein Wort. Wartet noch!“ Er nickte allen zu, als hätte sein besonnener großer Bruder etwas Wichtiges außer Acht gelassen. „Renkes Roggenfeld gehört zum Gemeinschaftsacker Altenesch. Wer sich beim Besuch des Grafen unauffällig verhielt, sollte über den Mumm verfügen,