Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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desto besser…! Dem Grafen wird die Spucke wegbleiben. Der hütet sich, einen Aufstand zu entfesseln und wird anders sein Gesicht wahren. Nach Holler Recht sind wir und unsere Kindeskinder unmissverständlich von jeder Fron befreit, darauf können wir pochen.“

      Sein Auftritt sorgte für Beifall und erhitzte Gemüter. Manchen reizte es auf einmal, das Ganze morgen früh mit Eike von Bardenfleth auf die Spitze zu treiben. Es wurde stockdunkel, ehe Ulrike den Heimweg antrat. Von der Festtafel aus nahm sie wahr, in Sichtweite blühte Wiesenschaumkraut, und sie widerstand nicht, einen üppigen Strauß für die Vase zu pflücken. Danach überlegte sie ernüchtert, ob es im Sinn ihrer Mutter wäre, morgen den Männern bei der Ernte zu helfen. Bei der Rodung zu fehlen bedeutete ein Wagnis einzugehen, und die Vorstellung, Udo Werther am Moorbach erhängt, ließ sie erschauern und machte ihr Angst. Die Nachbarhilfe am Altenescher Feld könnte ähnlich enden, und die Tatsache, die Verantwortung für die Schwestern zu tragen, nagte an ihrem Gewissen. Timke war noch keine sechs Jahre alt und die würde mithelfen wollen…

      Müde von der Arbeit auf dem Stoppelfeld kamen die drei Schwestern zur Mitternachtsstunde zu einer finsteren Laube, die Berne mit Elsfleth verband und sich einen Steinwurf entfernt im Waldesdunkel verlor, da näherte sich von hinten humpelnder Hufschlag.

      „Nanu“, bemerkte Wibke. Für die Tochter eines Schmieds stand sofort fest: „Das klingt nach einem lahmenden Gaul.“

      „Stimmt“, bestätigte Ulrike, um sich neugierig umzudrehen und mit den Augen die nächtliche Dorfstraße nach einem kommenden Reiter abzusuchen. In der Tat zeichnete sich schattenhaft ein Pferd im Dunkel ab, und die Gestalt, die es am Zügel führte, war ihr nicht geheuer. Sie warteten, und es handelte sich um einen Edlen, wie an seinem Barett im näher kommen zu sehen war. Im Licht des Mondes wirkte sein langes Gesicht gutmütig und seine Augen ausdrucksvoll. Solch einen Mund verleiht einem Gott, wenn man gern und viel lacht, sagte sich Ulrike. Sie knickste höflich vor ihm, und er erfasste, ihren groben Leinengewändern nach zu urteilen waren sie nicht seines Standes. Um diese Stunde und mit ihnen unter sich, verbeugte er sich trotzdem wie unter Ebenbürtigen und zog sich zum Gruß höfisch das Barett mit der Straußenfeder ab. „Gott sei gelobt, dass ihr mir über den Weg lauft“, sagte er. „Ich habe einen scharfen Ritt hinter mir, und mein Rappe hat irgendwo in einem Vorort einen Huf verloren.“

      Ulrike schmunzelte. „Wie sich das trifft, Herr von und zu…“

      „Keyhusen“, ergänzte der Junker. „Dirk von Keyhusen. Ich werde auf Burg Lechtenberg erwartet. Ich habe allerdings keine Ahnung, wohin nun…“ Er lächelte breit und rieb sich das Kinn. „Ich kehrte mit einem Freund in einem Gasthaus vor Oldenburg ein, und mein Freund machte bei der Gelegenheit der Tochter eines bei Tisch schlafenden Tuchhändlers den Hof, um das Mädchen dreist auf unsere Kammer zu entführen. Ich verdrückte mich, ritt allein weiter. Selber schuld, könnte man sagen: Wer meint, seinen besten Freund erziehen zu müssen und nur an den eigenen Bauch denkt, den bestraft Gott auf seine Art.“

      Ulrike streichelte dem Ross, das durch die Nüstern unwillig schnaubte, das harte Stirnfeld. Die Pferdeschnauze schnüffelte an ihr, und sie hielt den Strauß aus Wiesenschaumkraut nicht gleich weg. Das Tier verleibte sich mit schneller Zunge alle Blüten ein. „Was hast du ihm gegeben?“

      Ulrike starrte mit halboffenem Mund auf den Rest Wildkraut in der Hand. Sie lachte hell auf. „Meinen Blumenstrauß.“

      Er schloss schuldbewusst die Augen. „Das wollte ich nicht. Ich hätte dich warnen müssen. Adalbert frisst alles, was ihm vors Maul kommt.“

      Ulrike nahm es leicht. „Macht ja nichts“, sagte sie, um ihm das schlechte Gewissen zu nehmen. „Na ja, so konnte ich wenigstens das für Euch tun. Denn heute noch zur Lechterburg? Entschuldigt bitte, hoher Herr, Euch dahin zu bringen, ist es wohl zu spät. Ich wüsste höchstens eine Herberge in Berne, bei der meist eine Kammer leer steht.“

      „Na das nehme ich doch gerne an.“ Sein Lächeln wirkte flüchtig, aber nur, weil er über ein Problem nachsann. „Wisst ihr einen tüchtigen Schmied in Berne?“

      „Sicher, unseren Vater“, entgegnete Ulrike freudig. „Der repariert Deichseln, stellt Scharniere her und vermag obendrein ein Schwert zu schmieden. Wenn wir Euch nicht zu geringen Standes sind, begleitet uns nach Berne.“

      So brauchten sie den weiten Weg durch die finstere Waldschneise nicht allein zu gehen, und obwohl außer ihnen um diese Stunde keine Seele mehr unterwegs war, außer einem Marder, der vom Wald her seine nächtliche Runde begann, fand Dirk von Keyhusen noch zu einem Schmied, der seinem Pferd ein frisches Hufeisen unternageln konnte. Ulrike ahnte nicht, wie sehr dieser Akt christlicher Nächstenliebe sich auszahlen sollte.

      2. Kapitel

      Bis zum Erntedankfest wären noch zwei Tage gewesen, und schon gegen Morgen blies von der Weser her ein heftiger Wind, der die bei den Van Hartjens erwachten Hoffnungen verwehte. Graue Wolken zogen über Osterstade auf, wie am Vortag, und diesmal blieb Stedingen nicht verschont. Eike von Bardenfleth und seine Helfer fingen an, mit Sensen gerüstet das reife Feld abzuernten, doch nach knapp einer Stunde empfahl es sich, schleunigst zu einem Unterstand zu fliehen. Bei Hemmelskamp fielen vereinzelt erste große Tropfen auf den trockenen Sandweg. Dann entlud sich die Schwüle in einem Unwetter; über Stunden stürmte es, Regen peitschte über die reifen Felder. Der Wolkenbruch knickte die Ähren um und drückte alles in den Matsch. Und es regnete einen vollen Tag weiter. Wen die Umstände hinderten, die Ernte einzufahren, für den bedeutete die leer gebliebene Scheune den Ruin. Hinterher hob sich ein Regenbogen ab von dem diesigen Himmel über dem Huntedeich, und das war der Hohn. Aber die Sonne kehrte zurück, und der Spätsommer begann. Vor allen Türen hingen Ährenkränze oder Kränze mit Herbstblumensträußen.

      Ulrike versuchte, ein wenig die Stimmung der Jahreszeit einzufangen. Sie stellte eine Bastschale auf den Tisch in der Essecke am Herd, die überquoll von saftigen Früchten, polierte die Äpfel, bis sie appetitlich glänzten, legte goldgelbe Birnen dazu, Quitten und blaue Zwetschgen. Ein darüber rankender Hagebutten-Zweig rundete das Bild ab. Mit dem Eindruck, es könnte Gefallen finden, betrachtete sie ihr Werk. Plötzlich betrat ihr Vater den Raum, das Gesicht verbissen, und Ulrike erschrak. „Was ist Vater? Hat einer mit Haller Pfennigen bezahlt?“

      Lüder zog einen festen Mund, und das kündigte stures Schweigen an. Er rieb sich die Nase, dann warf er ihr einen wilden Blick zu, um seinem Ärger doch Luft zu machen. „Du weißt, in Berne soll eine Burg… oder sagen wir ein Herrenhaus für den Oldenburger Grafen erbaut werden.“

      Ulrike hantierte noch mit den Händen an den Birnen und nahm die Finger von der Schale. Sie nickte ihm zu. „Ja, ich weiß.“

      Lüder stieß einen dumpfen Seufzer aus. „Dann will ich mal ganz offen sein, du lässt ja doch nicht locker“, erwiderte er. „Gestern, als du kurz zum Knochenhauer warst, haben sie bekannt gegeben, dass wir neuerdings zum Lehen der Grafschaft Oldenburg gehören. Und wie dieser Puderarsch den Inhalt der Bulle heruntergeleiert hat, hat mich zur Weißglut gebracht. Vielleicht hast‘ den Rest ja noch mitgekriegt. Jedenfalls habe ich das Maul aufgerissen und bin davon angefangen, dass wir sieben Jahre von jeder Steuer befreit sind, nämlich durch die Verlängerung des Alten Deiches an der Olle.“

      Ein Zucken um ihren Mund verriet, wie heftig sie genau das beunruhigte. „Du bist und bleibst ein Hitzkopf. Das war unklug, Vater. Und du weißt das.“

      „Das muss ich mir von meiner Tochter sagen lassen“, seufzte er, setzte sich vor die hübsch hergerichtete Obstschale an den Küchentisch und vergrub den Kopf in die schwieligen Hände.

      „Ärgere dich doch nicht…Vater. Das Gewitter mag so manchen teuer zu stehen kommen, trotzdem ist es nun einmal geschehen… und es trifft uns ja nicht selbst."

      Ulrike blickte ihm forschend in die traurigen Augen - runzelte die Stirn, und er schnitt ein wütendes Gesicht, die Brauen erhoben, den Atem angehalten. Dann atmete er schnaufend durch. „So? meinst du? Ja, wenn das schon alles wäre, was mir im Magen liegt“, entfuhr ihm. „Hier, in dem Haus, in dem ihr geboren wurdet, dürfen wir nicht bleiben. Alles ist hin, das tut so weh. Seit