Er war ein armer Ritter und kam über seine Frau zu Bamberger Lehensgut. Dieser Ritter hat in seiner, für den Ritteradel sehr ungünstigen Zeit, mit allen Anstrengungen versucht, seine kleine Burg zu erhalten, aber er war gezwungen, sie dem Grafen von Wertheim zu Lehen aufzutragen. Seiner Frau ließ er dennoch Rechte daran sichern, da er es als ihren Witwensitz geplant hatte. Diese Grafen von Wertheim waren leider mit den oben erwähnten Herren von Breuberg im Bunde durch Heirat und Verschwägerung und auf die oben erwähnten Fischerei-, Grund- und Waidrechte aus. Der Streit wurde immer wilder, als es um den Besitz des Pfaffstangengutes ging, das auf dem ehemaligen Hausen hinter der Sonne als Fronhof stand und Jorg Bache von seinem Schwiegervater vererbt worden war. Da Ritter von Bache die Pacht (die Gült) nicht bezahlen konnte, wurde es dem Aschaffenburger Stift zugesprochen. Daraus wiederum entbrannte ein ewig schwelender Streit und als Folge wurde Jorg von Bache mit dem Kirchenbann belegt. Niemand weiß, wo er begraben liegt mit seiner holden Gattin - die Gruft war leer. Jedoch ihre beiden leiblichen Söhne hassten daraufhin die Pfaffen und ließen keine Gelegenheit aus, Reisende, die unter Geleitschutz des Erzbischofs zu Mainz standen, zu berauben. Schließlich wurde die Burg niedergebrannt von einer Abordnung des Erzbischofs Dieter von Erbach. Dies alles kommt mir sehr sonderbar vor und da ich erfahren habe, dass es noch Nachfahren der von Bache gibt, habe ich heimlich Nachforschungen angestellt. Die Söhne ließen sich kaufen vom Grafen zu Wertheim, als die Eltern gestorben waren und das Raubrittertum zum Niederbrennen der kleinen Wasserburg führte. Der eine zog auf die Burg Breuberg als Burgmann, der andere zur Veste Otzberg als pfalzgräflicher Dienstmann. Man munkelt jedoch, es habe noch einen dritten Sohn gegeben, wohl nur ein Ziehsohn, doch den beiden anderen Brüdern gleichgestellt. Dieser ist im Jahr 1441 spurlos verschwunden. Somit konnten Hans und Madern mit der Burg nach ihrem Gutdünken verfahren und der dritte Bruder ging leer aus. Ebenso wie seine Nachfahren, so es welche gibt und die nicht ahnen, dass sie Besitzrechte haben an der Ruine der kleinen Wasserburg und den Ländereien rundherum. Wahrscheinlich jedoch ist, dass der dritte Bruder von den beiden anderen heimtückisch ermordet wurde, wenn es ihnen auch nie nachgewiesen werden konnte. Meiner Meinung nach kommen am ehesten die Familie Faust in Betracht die Nachfahren jenes geheimnisvollen Bruders zu sein, weil ihre Vorfahren von Nuwenstat kommen und im Jahr 1450 nach Momlingen gezogen sind. Sie wohnen in einer kleinen Kate am Südrand von Momlingen und sind sehr arm. Da mir der Pfarrer strengstens untersagt hat, weitere Nachforschungen anzustellen, übergebe ich ihnen diesen Brief zu treuen Händen und hoffe, es wird ein wenig Licht in ihren dunklen Alltag bringen und ihre Armut vielleicht wenden können. Mehr kann ich nicht tun, wenn ich mir nicht selbst schaden möchte.“
Fassungslos ließ Lene das Büchlein sinken. Wie gemein. Dass so etwas überhaupt passieren konnte. Die Menschen von damals waren anscheinend auch nicht besser als die von heute. Sie war überrascht, wie sehr sie das Gelesene aufbrachte. Eine Weile dachte sie noch darüber nach und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf. Sie war in einem dunklen Gang, einer Art Gewölbe und konnte kaum etwas sehen. Unheimlich war es hier. Fieberhaft suchte Lene im Traum ihre Taschenlampe. Am Handy hatte sie doch eine Taschenlampen-App, da müsste sie nur draufdrücken und schon wäre es hell. Aber sie konnte ihr Handy nicht finden und auch eine Taschenlampe war nicht in Sicht. Stattdessen sah sie jetzt einen schwachen Schein, als sich ihre Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sie folgte ihm vorsichtig und streckte dabei ihre Hände aus, damit sie nicht irgendwo anstieß. Eine Kurve - es wurde heller, noch ein Stück geradeaus - noch eine Kurve - und nun sah sie Tageslicht herein schimmern, hinter einem Vorhang aus Efeu. Erleichtert atmete sie auf. Doch nun hörte sie ein Geräusch, eine Art Surren, das beängstigender war als die Dunkelheit vorher und es wurde immer lauter. Sie wollte wieder in den Gang rennen, aber sie war wie gelähmt.
Ruckartig wachte sie auf. Was war das denn? Ihr Herz klopfte schnell und sie atmete schwer, als wäre sie wirklich gerannt. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und die Treppe hinunter in die Küche. Ein Glück, im Kühlschrank stand eine Fruchtschorle. Durstig trank sie ein paar Schlucke und nahm die Flasche mit hoch in ihr Zimmer. Sie stellte sie neben das Bett, legte sich hin und wollte nachdenken über den Traum, schlief jedoch sofort ein und wachte erst am Morgen vom Krähen der Hähne wieder auf.
Kapitel 3
Ausflug zum alten Ort
Morgens hatte Lene noch eine Weile in dem Büchlein gelesen, auch das, was ihre Vorfahren über die Jahre noch beigetragen hatten, aber nichts Weltbewegendes mehr entdeckt. Alte Urkunden wurden immer wieder erwähnt, teils verschollen, teils wiederaufgetaucht aber immer unbeglaubigt - undurchsichtige Besitzverhältnisse, Ungerechtigkeiten, nicht auffindbare Gräber und viel Unerklärliches. Anscheinend hatte sich mancher Vorfahre darin ausgetobt und war so seine Unzufriedenheit mit seinem >langweiligen< Leben, losgeworden. Wenn es ihnen gutgetan hat? Auf jeden Fall, genau das Richtige für mich, dachte Lene lächelnd. Sie erinnerte sich, dass sie bei einem ihrer Ausflüge mit Omas verstorbenen Hund, auf alte Grenzsteine gestoßen war. Diese führten den Berg hinauf, in Richtung Hausen hinter der Sonne, dem verschwundenen Dorf. Vielleicht lag da des Rätsels Lösung. Immerhin war in dem Büchlein immer wieder von dem niedergegangenen Ort Hausen die Rede. Irgendetwas wollte sie tun und so nahm sie sich vor, an diesem Tag noch loszugehen. Sie wollte zu diesen Steinen, um nachzusehen, ob vielleicht noch etwas Lesbares darauf stand und um sie zu fotografieren. Nach dem Frühstück mit Oma, der sie aufgeregt von ihrem Vorhaben erzählt hatte, packte sie einen kleinen Rucksack mit Broten und Wasser, Äpfeln und einer Tafel Schokolade, legte das Büchlein mit hinein und eine Regenjacke für alle Fälle. Der Himmel sah ziemlich düster aus. Man konnte nie wissen, ob man sie brauchte, wenn es so schwülwarm war.
Dann fuhr sie auf den Parkplatz am Buchberg und wanderte los - den Weg nach oben. Sie hielt sich links. Der Neustädter Hof – im Büchlein Nuwenstat genannt - lag in dieser Richtung und die Steine, die nach oben führten, waren auch dort in der Nähe gewesen, als sie sie damals entdeckt hatte. Ziemlich steil hoch war es gegangen. Angestrengt betrachtete sie den Boden, nach einem zugewachsenen Pfad Ausschau haltend, sah suchend in die Höhe, ob nicht Markierungssteine irgendwo zu sehen waren, doch nichts als Hecken, Brombeeren meist, Dornen und Brennnesseln. Halt! Da war doch etwas? Mit einem Ruck blieb sie stehen. Schnell ging sie ein paar Schritte zurück und sah nach oben. Tatsächlich! Einer der Steine war zwischen den Bäumen in einiger Höhe zu erkennen! Er war ziemlich mit Moos überwachsen und daher schwer zu sehen.
Sie trampelte die Brennnesseln etwas beiseite und machte ein Bild davon, dann arbeitete sich langsam nach oben. Immer wenn sie an einem Stein ankam, war der nächste bereits in Sichtweite. Mit der Zeit war sie außer Puste, aber sie hatte ja Zeit. Sie verschnaufte ein wenig und ging langsam weiter. Bei jedem Stein blieb sie stehen und versuchte die Inschrift zu entziffern - oben war ein H -war sie sich sicher – hm, unten ein N und die Zahl 1370 stand darauf. Aha – das könnte ein H für Hausen sein und ein N für Neustadt. Lene machte ein Foto mit ihrem Handy und stieg weiter nach oben. Als sie am höchsten Punkt angekommen war, wollte sie sich kurz ausruhen. Sie blieb stehen und sah ein Stück weiter vorn eine Lichtung. Der Platz in der Mitte sah ganz gut aus, vielleicht fand sich dort sogar ein Baumstumpf oder etwas Ähnliches, um sich darauf zu setzen. Ein schöner Platz und eine ganz besondere Atmosphäre, fand sie - und doch - sie schauderte. Trotz aller Schönheit spürte sie ein unerklärliches Unbehagen. Was war denn das da, am Boden? Sie scharrte mit ihrem Fuß ein paar uralte, morsche Bretter beiseite. Das sah ja komisch aus. Hier sollte ein altes Basaltbergwerk in der Nähe sein. Ob die Bretter wohl dazu gehört hatten?
Kapitel 4
Der Sturz
Aber das hier sah anders aus, nein, das war es ganz sicher nicht. Es sah eher aus, als hätte da jemand eine Falle gebaut. Oder, war es doch eine alte Basaltgrube? Ein Nebeneingang vielleicht? Sie bückte sich, von einem drängenden Gefühl getrieben und löste ein paar Flechten Efeu, die sich darum rankten. Ah, da war eine Latte lose. Vielleicht konnte sie darunter einen Blick hineinwerfen! Mit ganzer Kraft zerrte sie daran, bis sie spürte, dass sie sich löste. Noch einmal fest daran ziehen, dachte sie und tat es – die Latte löste sich und Lene flog mit ihr in der Hand, hintenüber auf ein weiteres,