Günther Dümler

Mords-Schuss


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kleinen Jungen wollten ihren großen Idolen nacheifern, die fränkischen vor Allem dem Nürnberger Max Morlock und das entscheidende Siegtor für die Nationalmannschaft erzielen. Aber schließlich sind auch ungenießbare Sorten für das Gedeihen des Waldes wichtig und dienen den Lebewesen die gegen deren Gifte resistent sind als Nahrung. Aufgrund dieses häuslichen Hintergrundes war Marga bereits als Zehnjährige eine ausgemachte Pilzkennerin.

      Bei ihrem Ehemann verhielt sich die Sache ähnlich. Auch Peter wurde schon während der Kindheit mit den Früchten des Waldes vertraut gemacht. Selbst damals hatte er schon große Freude daran, Augen und Nase wie ein guter Jagdhund auf Fährtensuche immer auf den Boden gerichtet durch den Wald zu streifen, stets auf der Suche nach dem schönsten Steinpilz. Der kleine Peter war eben schon von Kind an ein Naturtalent als Sucher. Man hätte es damals schon erkennen können. Wie sich später zeigen sollte, zeichnet ihn diese Hartnäckigkeit auch heute noch aus. So bei der Lösung einiger rätselhafter Todesfälle, die sich in Röthenbach, zuletzt aber auch während eines gemeinsam mit den alten Freunden verbrachten Ägyptenurlaubs im fernen Orient zugetragen hatten.

      Im Moment war es sehr ruhig in Rödnbach. Die Idylle, die den kleinen Ort über viele Jahre, bis zu diesem ersten Mord vor drei Jahren, ausgezeichnet hatte, schien mittlerweile wieder zurückgekehrt zu sein. Jeder ging seinen täglichen Aufgaben nach. Man beklagte sich über das Wetter, mangels anderer aufregender Themen. Der zweite Teil des Sommers, ausgerechnet die Ferienzeit, war bisher weitgehend von Regen und viel zu kühlen Temperaturen geprägt. Sensible Wesen hatten wahrhaftig berechtigten Grund eine niederdrückende Depression zu befürchten, denn nur ganz selten ließen sich ein paar wärmende Sonnenstrahlen und dann auch nur für ein paar kostbare Stunden blicken, um Ort und Gemüt gleichermaßen ein wenig aufzuhellen.

      Wieder schrillte das altmodische Telefon des Kollegen unüberhörbar und widerlich penetrant. Der Beamte erhob sich genervt und leise fluchend von seinem Schreibtisch, um sich schlurfenden Schrittes auf die andere Seite, an den Arbeitsplatz seines Gegenübers zu begeben. Hörbar ungehalten nahm er den Hörer ab.

      „Städtisches Bauamt Nürnberg, sie sprechen mit Herrn Kammermeier!“ brüllte er ungehalten in die nostalgisch geformte Sprechmuschel.

      Doch bereits mit dieser Annahme irrte er. In Wahrheit sprach niemand mit Herrn Kammermeier. Am anderen Ende hörte man nur ein dezentes Knacken, dann war das Gespräch auch schon wieder zu Ende, noch ehe es wirklich begonnen hatte.

      „Blöder Hund, blöder!“ schimpfte der Mann und trottete wieder auf seinen angestammten Platz zurück, wo er seine sichtlich ermüdeten einhundertvier Kilogramm auf seinen unschuldigen Schreibtischsessel plumpsen ließ, so als wollte er diesen für die lästige Störung verantwortlich machen. Das darauf folgende erbarmungswürdige Quietschen der Federung war noch nicht richtig verhallt, da klingelte es schon wieder.

      „Mid mir nedd, mein Freund, mid mir nedd!“ entfuhr es ihm und er war bereits drauf und dran, dies dem Störenfried auch persönlich und mit entsprechend laut erhobener Stimme mitzuteilen, als gleichzeitig die Bürotür aufging und Walter Grillenberger, der eigentliche Adressat des Anrufs auf seinen Arbeitsplatz zueilte, wo er sofort und mit einem entschuldigenden Blick zum Kollegen Kammermeier den Hörer aufnahm.

      „Moment amal bidde“, hörte der ihn keuchend schnaufen, „ich bin grad zu der Dür rei kommer, ich muss mich erschd amal richdi ausschnaufn.“

      Das Gespräch schien offenbar nicht amtlicher Natur zu sein und so hörte der Kollege Kammermeier erst gar nicht lange zu, sondern widmete sich wieder dem riesigen Stapel Unterlagen, der sich immer noch bedrohlich auf seinem Tisch auftürmte. Er hörte nur nebenbei einzelne Wortfetzen wie, „ich versteh sie nedd ganz“, „woss soll denn dess bidde“ oder „naja, vo mir aus, wenns gar nedd anderschd gehd“ und schließlich „middn im Wald?“

      Es ging ihn eigentlich nichts an. Als das Gespräch aber beendet war, packte ihn doch die Neugierde und er bemerkte zu seinem Kollegen.

      „Ja, etz soll ja endlich wieder amal die Sonne rauskommen. Dess ist dess ideale Wedder zum Bilze sammln, wochenlanger Regn und dann die Wärm. Besser geht’s eigndlich nedd. Da schießn die Bilz wie Rakedn ausn Bodn. Die wardn doch schon die ganze Zeid bloß drauf, dass endlich amal warm werd. Also ich freu mich fei scho. Gleich nach Diensdschluss gehds los“, beendete er seine Ankündigung, um sofort auf das Telefongespräch des Kollegen umzuschwenken. „Und sie, sie wolln aa in Wald, hab ich beiläufig mitghörd?“

      „Na, wie kommersn dou drauf, ich doch nedd“, antwortete der Angesprochene in bestem Fränkisch, „ich hobb ja gar ka Ahnung von Bilze und zu woss sollerdn ich die sammeln, ich mogs ja gar nedd amal. Horngs, wenner mi vergifdn will, dann drink ich hald einfach a boar Bier mehr als wäi ich verdrach, dess is endschiedn einfacher.“

      Dabei konnte der Verwaltungsoberinspektor Grillenberger trotz seines locker dahingesagten Spruches und trotz seines künstlichen Lachens eine gewisse Verkrampfung und Nervosität nicht ganz verbergen. Naja, kein Wunder, das Sauwetter, das einem jeden seit Wochen die Freunde am Leben gründlich vermiest hatte, ging wohl auch ihm an die Nieren. Aber es soll ja jetzt besser werden.

      Es regnet immer noch wie aus Kübeln. Mitten im August. Im Hof haben sich bereits eine ganze Reihe schmutziger Wasserpfützen unterschiedlicher Größe gebildet. Selbst die Tiere wollen nicht mehr so richtig fressen, die Sintflut der letzten Wochen ist anscheinend auch ihnen auf den Magen geschlagen. Der Schäferhund liegt völlig apathisch in seiner Hütte und knurrt schlecht gelaunt vor sich hin. Die Hühner, mit Ausnahme des prächtigen Hahns, haben sich allesamt in den überdachten Teil ihres Verschlages zurückgezogen. Der Gockel würde das sicher ebenfalls gerne tun, aber leider ist er hier der Mann und da Hähne grundsätzlich Chauvinisten sind, ist er zwangsläufig dazu verurteilt in jeder Lebenslage eine überlegene Stärke zu demonstrieren, also selbst einem derart nervigen Dauerregen stoisch zu trotzen. Sogar die Kühe stehen heute lieber im Trockenen, als sich auf der matschigen Wiese ihr Futter zu suchen.

      Aber nicht nur die Tiere, auch die Besitzer des Bauerhofes sind angesichts des seit Wochen herrschenden Sauwetters offensichtlich äußerst angefressen. Doch das Wetter ist nicht allein verantwortlich für die dicke Luft, die im Hause Wolf herrscht. Hedwig Wolf, die Bäuerin ist in ihrem karierten Kopftuch, den ehemals dunkelgrünen, fast kniehohen, jetzt bis oben hin dreckverschmierten Gummistiefeln und der ausgebeulten Latzhose unschwer als solche zu erkennen. Sie ist gerade dabei, gewaltig Dampf abzulassen. Das Opfer, ihr Ehemann Leonhard, den alle von Kindesbeinen an nur Loni nennen, ist jedoch nicht aus jenem Holz geschnitzt, das sich von ein paar einzelnen, von Hedwig erzeugten Dampfschwaden beeindrucken lassen würde und kämen sie noch so heiß herübergewabert.

      „Jedesmal machsd du so a Gschieß und schäibsd woss anders vor, wennsd amal mitgeh sollsd. Ich wass gar nedd woss du willsd! Die Sandra und der Walder sinn doch unsre äldesdn Freind. Warum soll mer nou nedd mit dene heid abnd in Adler gäih? Die Sandra hodd mi doch eigladn und du sollsd a mitgäih, dess is doch äs normalsde von der Weld, odder, dass mer midernander ford gäihd?“

      Doch Hedwigs Tirade fiel leider auf völlig unfruchtbaren Boden.

      „Ich hobb ders doch scho hunderd Mal gsachd, heid gäih ich aff mein Hirsch und dessmal derwisch in aa, des schwöra der und wenni bis in der Fräih auf mein Jächerstand droom hoggn mou. Heid isser fällich! Dou hobbi schließli ka Zeid nedd für a Werdshaus und eier albernes Weibergschmarri!“ gab ihr Ehemann schnaubend zurück. „Warum der Walder dess alles miedmachd iss mer sowieso a Rädsl!“

      Er war offenbar fest entschlossen, wieder einmal sein Hobby, die Jägerei, vor alles andere zu stellen. Auch, wie seine Frau ihm immer wieder zu Recht vorwarf, vor den Erfolg des eigenen Betriebs, der mittlerweile bedenklich in Schieflage geraten war. Ein Bauernhof verträgt es einfach nicht, wenn der Besitzer selbst in der Erntezeit seinem persönlichen Vergnügen nachgeht, während sich die Arbeit zuhause bis unter das marode Scheunendach türmt.

      „Geh hald ohne mich hie, du bisd doch dordn nedd allaans, die Sandra bringd beschdimmd