Günther Dümler

Mords-Fasching


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vergangenen Jahren, um Punkt fünf Uhr nachmittags bei acht Grad im Plus angefangen wie aus tausend Kübeln zu gießen.

      Dass zum Weihnachtsfest allenhalben Wärme einkehrt, das ist eine alt bekannte Tatsache, allerdings sollte diese eher einen festen Platz in den Herzen der Menschen finden als im täglichen Wetterbericht. Eine schöne Bescherung! Draußen strömte unaufhaltsam ein warmer Regen herab, während im Licht des festlich geschmückten Christbaumes Weihnachslieder von einer einsamen Geburt in einem Stall mitten im bitterkalten Winter kündeten. Läge Bethlehem in Franken, dann hätte die Heilige Familie tropfnass im zugigen Stall stehen müssen und sich eine mordsmäßige Erkältung geholt. Die Heiligen Drei Könige hätten Gummistiefel unter ihren seidenen Kaftanen getragen und anstatt der Kamele ein Schlauchboot gebraucht, um ihre Geschenke zur Krippe zu schaffen. Und es war nicht besser geworden. Auch zu Sylvester hatte es durchgehend genieselt. Peter Kleinlein drängte sich automatisch der Vergleich mit der tropischen Atmosphäre des Manatihauses im Nürnberger Tiergarten auf, welches er im vergangenen Herbst zusammen mit seiner Marga besucht hatte. Röthenbach im Regenwald! Die feuchtigkeitsschwangere Atmosphäre hatte das Zünden der Raketen und Böller nachhaltig erschwert, so dass nicht Wenige das neue Jahr ob der Widrigkeiten mit wüsten Schimpfworten begrüßten. Die allgegenwärtige Nässe hatte sich gleich einer gewaltigen Glocke über Röthenbach festgesetzt und sich mit dem Pulverdampf der Feuerwerkskörper zu einem nahezu völlig undurchdringlichen Vorhang verbunden, der allenthalben für dicke Luft sorgte. Ein Blick nach oben ließ Schlimmstes befürchten. Filmliebhaber erinnerten sich trotz der vorherrschenden Wärme mit fröstelndem Schaudern und Gänsehaut an den Streifen Independance Day. Und zwar genau an die Szene, wo der Angriff der Außerirdischen unmittelbar bevorstand und eine allgemeine Verfinsterung die Erde erfasste. Eine gewisse Ähnlichkeit war in der Tat nicht abzustreiten. Wie weiland in besagtem Hollywoodepos erschwerte ein höllischer Gestank nach Schwefel und Verbranntem das Atmen. Und weit und breit kein Mr. President in Sicht, der diesen tödlichen Angriff eigenhändig und heroisch abwehren konnte. Eine solche Persönlichkeit gab es in Röthenbach leider nicht. Obwohl äußerst umtriebig, verfügte Bürgermeister Helmut Holzapfel nicht annähernd über das geforderte Format.

      Hoffentlich war das kein schlechtes Omen für das neue Jahr. Ein Jahr, in das die Röthenbacher mehrheitlich große Hoffnungen setzten, nachdem das vergangene von schrecklichen Morden geprägt war. Diese schlimmen Ereignisse hatten allesamt im Umfeld des 900-jährigen Gemeindejubiläums stattgefunden und für immer und ewig einen unrühmlichen Platz in der Geschichte des Ortes eingenommen. Aber nicht nur in den Annalen des Ortes hatten diese schrecklichen Morde Eingang gefunden, auch in den Herzen der Röthenbacher waren danach Trübsal und Niedergeschlagenheit eingezogen.

      

      Es war Sonntag. Der Hausherr stand am Fenster und betrachtete nachdenklich das Schauspiel der munter zu Boden tanzenden Flocken. Endlich hatte sich ein zur Jahreszeit passendes Wetter eingestellt. Weihnachten war inzwischen endgültig vorbei, ebenso der Jahreswechsel und Dreikönig. Das Kleinleinsche Eigenheim war bereits vollständig umdekoriert. Der Christbaum war abgeleert, das Lametta hatte Peter Kleinlein Faden für Faden fein säuberlich wieder abgenommen und eingepackt und die bunt glänzenden Kugeln wieder in ihren Schachteln verstaut. Die heiligen drei Könige, die frommen Hirten und die heilige Familie hatten sich wieder aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und ihren Ruheplatz in der geräumigen Schachtel mit der Aufschrift „Vorsicht zerbrechlich“ eingenommen. Der nun leere Stall stand für ein weiteres Jahr im Keller auf der ausrangierten Kommode von der Oma.

      Die beschaulichen Tage waren zweifellos vorbei. Im Wohnzimmer dominierten mittlerweile bunte Luftschlangen, vom Korkenzieherhaselzweig hingen jetzt anstelle zuckersüß lächelnder kleiner Weihnachtsengel und der unvermeidlichen Minilichterkette an seidenen Fäden einige aus glitzernder Pappe gestanzte Sektflaschen herab. Im Aufwind der angenehm warmen Heizungsluft drehten sich farbige Stanniolspiralen um sich selbst. Der Fasching stand unmittelbar vor der Tür, die ideale Zeit, wieder etwas gute Laune in den Alltag zu bringen.

      

      Inzwischen war das Mittagessen einschließlich des gemeinsam erledigten Abwaschs vorüber und die Kleinleins befanden sich gerade auf ihrem obligatorischen Verdauungspaziergang. Einmal rund herum um die Kleingartenanlage, ein paar Kilometer über verschneite Gehwege, vorbei an brachliegenden Feldern und schließlich zurück über den Kirchplatz. Dort gibt es einen kleinen Tümpel, der in vergangenen Zeiten der Feuerwehr als Löschweiher diente und nun bei schönem Wetter zu einer kurzen Rast auf einer der hölzernen Parkbänke einlädt. Die Bänke sind neu. Die Röthenbacher verdanken sie den Feierlichkeiten anläßlich des 900-jährigen Ortsjubiläums vor einem dreiviertel Jahr. Einer der wenigen bleibenden Gewinne, die die Gemeinde aus diesem Anlass ziehen konnte, ganz im Gegensatz zu dem höllenschlundartigen Haushaltsloch vom Ausmaß eines riesigen Vulkankraters, das die ausufernde Feier in die ohnehin nicht üppigen örtlichen Finanzen gerissen hatte. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, kommen zudem noch die viel peinlicheren Erinnerungen an die hinterhältigen Morde im Umfeld des Jubiläums hinzu, die die Feierlichkeiten nicht nur damals nachhaltig gestört hatten. So manchen Röthenbacher Bürger verfolgen sie noch heute im Schlaf.

      Es schneite immer noch. Die Flocken tanzten angesichts der Windstille anmutig im Kreis, bevor sie sanft zur Erde schwebten oder auf den Mützen und Jackenkrägen der beiden Spaziergänger landeten. Es machte ihnen nichts aus. Im Gegenteil, sie erfreuten sich an dem herrlichen Anblick verschneiter Bäume und den kleinen flauschigen Häubchen, die der Schnee auf die Latten der Gartenzäune gezaubert hatte. Marga und Peter waren schon über eine Stunde unterwegs und bogen eben in den Eibenweg ein, als Marga, an einen der Bäume geheftet, ein Papier von der Größe einer Schreibmaschinenseite entdeckte. Zum Schutz vor der Nässe war es in eine Plastikhülle gesteckt und mit Reißzwecken in Augenhöhe befestigt.

      „Wahrscheinlich iss jemand sei Katz entlaufn odder vielleichd hodd anner woss verlorn. Komm, schau mer amal, woss dou stäihd.“

      Letztere Aufforderung galt Peter, dessen Neugierde sich diesbezüglich normalerweise in sehr engen Grenzen hält. Ihm war weder ein verirrtes Haustier zugelaufen, noch hatte er etwas Wertvolles gefunden. Doch seine Marga war bereits unterwegs und zog ihn unfreiwillig mit, da sie die letzten Meter bis nach Hause untergehakt gegangen waren. Eighengd, wie man in Röthenbach sagt. Schon nachdem sie die ersten Worte gelesen hatte sah sich Marga gezwungen ihre bisherige Theorie zu verwerfen. Hier war offenbar ein religiöser Fanatiker am Werk, wahrscheinlich ein eifriger Angehöriger irgendeiner äußerst obskuren, eventuell sogar gefährlichen Sekte, ganz sicher aber ein Mensch mit agressivem Hang zum Missionieren. Der Text, in übergroßer Computerschrift zu Papier gebracht, klang unversöhnlich und wirkte geradezu bedrohlich.

      „Und der Herr spricht: Mein ist die Rache! Denn unter uns weilt das Böse, ein Feind von Gottes Kreatur. Doch wird der Herr zu Gerichte sitzen über den Sünder und den Frevler strafen. Er wird seine Engel aussenden mit flammendem Schwert. Den Änhänger des Satans wird Er in die tiefsten Tiefen der Hölle verbannen und seines Jammerns wird kein Ende sein.“

      „Woss iss ner etz dess?“, entfuhr es Marga in der Aufregung, um gleich entschlossen hinzuzufügen: „Den Zeddl nimmi etz soford midd. Den zeichi morgn in Herrn Bfarrer, der muss doch dess unbedingd wissen. Suwoss fälld doch in den sein Zuschdändichkeidsbereich. Mir wern doch nedd etz aa nu solche religiösen Schbinner im Dorf haben odder gar an Derrorisdn! Dess hädd ja grad nu gfehld.“

      Und nach einer kurzen Pause, die sie dringend brauchte um wieder einigermaßen zu Atem zu kommen, schob sie nachdenklich nach: „Und abber scho glei aso bösardich, woss ner dess für anner iss?“

      Im selben Moment hatte sie den verdächtigen Wisch bereits energisch an sich gerissen, zweimal zusammengefaltet und in ihre linke Manteltasche gleiten lassen. In ihren Augen hatte in einem anständigen Dorf, wozu ihr Röthenbach eindeutig zählte, niemand außer dem Pfarrer das Recht, solche Bibelauszüge unter die Menschen zu bringen und darum handelte es sich bei dem sichergestellten Pamphlet ohne jeden Zweifel. Dafür hatte der schließlich studiert. Für Sektierer hatte sie als praktizierende und schon von klein auf eingeschworene Katholikin keinerlei Verständnis. Peter, dem solche verrückten Aktionen völlig egal waren, wenn nicht sogar komplett am Allerwertesten vorbeigingen,