Günther Dümler

Mords-Fasching


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nahm den mittlerweile schon etwas abgegriffenen Zettel zur Hand, rückte seine Lesebrille zurecht und las sich sorgfältig die darauf abgedruckte Drohung durch. Ein paar Augenblicke schien er noch zu überlegen, was er davon halten sollte. Dann aber hatte er sich offenbar entschieden, die Sache von der humorvollen Seite zu nehmen.

      „Naja, Frau Kleinlein“, fing er an, „so ein richtiges Bibelzitat haben wir da nicht vor uns. Der Schreiber scheint eher alle möglichen Stellen aus dem alten Testament zusammengewürfelt zu haben, um seinen Zorn über einen Teil der Menschheit oder auch nur eine bestimmte Person auszudrücken. Er schreibt an einigen Stellen von dem Sünder und dem Freund des Satans. Vielleicht hegt er einen Groll gegen einen ganz bestimmten Mitbürger. Aber solange er das Handeln unserem Herrgott überlässt, scheint mir kein Grund zu ernsthafter Sorge zu bestehen.“

      Mit diesen Worten nahm er seine Lesebrille wieder ab und schaute Marga bedauernd an.

      „Aber“, wollte Marga ansetzen, doch der anerkannte Experte in Sachen biblischer Sprüche bedeutete ihr die Ruhe zu bewahren.

      „Ich glaube, wir sollten die Sache auf sich beruhen lassen, liebe Frau Kleinlein. Solange diese Person nicht konkreter wird in ihren Anschuldigungen, können wir sowieso nichts unternehmen.“ Und eher scherzhaft fügte er hinzu: „Sie können ja einmal mit ihrem Mann sprechen, unserem allseits geschätzten Meisterdetektiv. Vielleicht hat er ja eine Idee oder es macht ihm sogar Spaß, Nachforschungen anzustellen. Für die heilige Mutter Kirche sehe ich jedenfalls keine Gefahr, die von diesem wirren Machwerk ausgehen würde.“

      Nun war es an der zuvor überstimmten Walburga Prell, die immer noch abwartend im Raum verharrte, das verkniffene Gesicht zu einem triumphierenden Siegerlächeln zu verziehen. Ausgleich, es stand zumindest wieder 1:1. In der eigentlichen Sache hatte Hochwürden Stiegler ein klein wenig zur Beruhigung Margas beigetragen, wenngleich er ihre Bedenken nicht völlig ausräumen konnte.

      Ganz anders sah es in den beiden Kommunikationszentren des Dorfes aus, wo die offenkundige Bedrohung der öffentlichen Sicherheit bereits heftigst diskutiert wurde. Marga hatte noch am Sonntagnachmittag bei Gisela und Simon Bräunlein angerufen, um den beiden von ihrem Fund zu berichten. Diese wiederum hatte die Meldung postwendend an die örtliche Verschönerungsanstalt von Lothar Schwarm und seiner Lebensgefährtin Maria Cäcilia Leimer weitergereicht, in deren Frisörgeschäft beziehungsweise Kosmetikstudio das Thema bereits ebenso hitzig diskutiert wurde wie in der Metzgerei Bräunlein. Jeder Kunde trug seinen Teil an Vermutungen bei, so dass sich bald ein regelrechter Flächenbrand in Röthenbach auszubreiten begann. Ein Brand, den weder die Feuerwehr noch vernunftbegabte Argumente zu löschen im Stande sein würden. Und wie es bei der Verbreitung diffuser Gerüchte unvermeidlich ist, kam bei jeder weiteren Station das eine oder andere erfundene, aber äußerst interessante Detail dazu. Es war wie mit einem winzigen Schneeball, der sich, einmal ins Rollen gekommen, im Verlauf kürzester Zeit zu einer veritablen Lawine entwickeln kann.

      Eben diskutierte Gisela, die beste Fleischereifachverkäuferin des Ortes, die Auswirkungen der anonymen Schrift auf die Meinungsfreiheit des Dorfes mit einer der entsetzten Kundinnen.

      „Und steht dou daadsächlich drin: Allah wird seine Engl sendn, mid flammende Schwerder und so? Allmächd, mier wern doch nedd aa nu Islamisdn odder gar Sallerfisdn dou her gräing. Allmächd na, dee schneidn doch sugor die Leit bei lebendichn Leib die Köbf ab! Dou sachd mer lieber nix verkehrds, sonsd kummd dou affd Letzd nu asu a Killerkommando.“

      So weit wollte die Gisela denn doch nicht gehen. Nichts gegen ein interessantes Gesprächsthema, aber sie sah keinen Grund darin, unnötige und unberechtigte Panik zu verbreiten. Daher bremste sie die aufgeregte Kundin rasch ein.

      „Wo homms nern dess her? Von an Allah stäihd dou nirgns woss. Blouß, dass anner im Ord iss, der wo middn Saddan im Bund iss und dass nern der Herr scho strafn wird. Der Herr, kanne Addndääder in lange Umhäng und anner Handgranaadn im Gürddl. Wemmer ner wissd, um woss dass dou genau gäihd und vor allem, wer der Sauhund iss, den die Rache des Herrn dreffn soll!“

      „Und wosser genau angschdelld hodd. Dess müsserd mer hald rausgrieng! Dann kummerd mer villeichd aa drauf, um wen dass dou eigndlich gäihd“, warf eine der interessierten Damen ein.

      „Schdimmd!“, rief Gisela und zeigte dabei anerkennend nickend mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ihre Vorrednerin, genauso wie es früher der Lehrer Wohlgemuth immer gemacht hatte, wenn der seltene Fall eingetreten war, dass sie einen brauchbaren Beitrag zum Unterricht beigesteuert hatte.

      „Abber bis etz wiss mer erschd amal nix, außer dass jemand andere Leit beschuldichd und ihner irgndwelche Racheengl aufn Hals wünschd.“

      „Ein bisschen was sagt uns das schon, meine ich“, ließ sich Frau Sebald hören. Als Gattin eines bekannten, in der nahen Großstadt agierenden Anwalts schien sie die Sache analytischer anzugehen als die anderen Damen. „Zum einen könnte die Wortwahl darauf hin deuten, dass der Schreiber dieses anonymen Traktats eigentlich gar nichts weiß und nur seinem allgemeinen Frust über die verdorbene Welt freien Lauf lassen will. Andererseits könnte es natürlich auch sein, dass sich die Vorwürfe gegen eine konkrete Person richten, der Ankläger aber nicht den Mut oder die Möglichkeiten hat, sich persönlich zu wehren. Ich, für meinen Teil, tippe auf Letzteres.“

      So oder so ähnlich liefen die Verkaufsgespräche, besonders die sie begleitenden müsigen Reden, den ganzen Tag über ab. Man wusste zwar nichts, hatte dazu aber eine konkrete Meinung. Also alles wie immer, nur eine ganze Stufe höher angesiedelt als der übliche Dorftratsch, bedenklich nahe an der Hysterie.

      Giselas Birkenstockschuhe verursachten auf dem harten Fliesenboden des Verkaufraums ein klackerndes Geräusch, ähnlich dem eines Paars gegeneinander geschlagener Holzstöcke. Das Echo hallte durch das ganze Haus. Sie kam eben von der Wohnung und durch die Wurstküche in den angebauten Laden, um für einen neuen, hoffentlich eher ruhigen Tag aufzuschließen. Es war Dienstag früh. Nach dem allgemeinen Schlemmen am Wochenende war nun wieder die übliche kleine Flaute zu erwarten, die bis zur Wochenmitte dauern würde.

      Gisela war gerade im Begriff, die Ladentür aufzusperren, als ihr unvermittelt ein Plakat in die Augen stach, das jemand unbefugt an die gläserne Eingangsfront geklebt hatte. Das ging aber gar nicht. Sie war ja wirklich nicht so. Sie war selbstverständlich immer gerne bereit auf ihrer Theke Reklamezettel für den Sportverein oder andere kleinere Geschäfte auszulegen, zum Beispiel die Änderungsschneiderei, die eine örtliche Hausfrau nebenbei betrieb, um die geringen Einkünfte ihres Mannes ein wenig aufzubessern. Das war überhaupt keine Frage. Man unterstützt die Dorfgemeinschaft ja wo man kann. Die Ladentüre aber war tabu. Der Eingang gehört, wie Gisela anlässlich eines Fortbildungskurses der Metzgerinnung gelernt hatte, zum öffentlichen Erscheinungsbild eines Betriebs. Er hat einen ordentlichen, in jedem Fall sauberen Eindruck zu machen, was den potentiellen Kunden im Gegenzug ein überzeugendes Bild von der ebenso ordentlichen und sauberen Arbeitsweise des Geschäftsinhabers vermitteln soll. Es ist schließlich immer der erste Eindruck, der zählt. Aus diesem Grund und weil die betreffende Schulung noch gar nicht so lange zurück lag, riss Gisela den störenden Zettel schwungvoll von der Glasscheibe und wischte mit einem feuchten Lappen sogleich die verschmierten Stellen nach, die der Klebestreifen hinterlassen hatte. Sie wollte das Blatt schon achtlos in den Abfalleimer werfen, als sie sich anders besann. Sie faltete das bereits zerküllte Papier noch einmal auseinander und nahm den Inhalt genauer in Augenschein. Vielleicht musste man mit dem oder der Verfasserin ein freundliches, aber bestimmtes Wort sprechen, damit so etwas nicht noch einmal vorkam.

      Bereits nachdem sie die ersten Worte gelesen hatte schlug ihre anfangs noch heitere Miene urplötzlich um. Allmächtiger! Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Bei dem was da stand verflog ihre gute Laune, mit der sie wie meist den neuen Tag begonnen hatte, sofort schlagartig. Sie löste sich ins Nichts auf, so wie ein Tropfen Wasser, der auf der heißen Herdplatte zischend verdampfte.

      Die Stunde der Rache ist nah. Auch wenn Du bereuest deine Missetaten, es wird kein Entkommen für dich sein. Denn siehe, der Herr spricht: „Selig sind die, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen gesättigt werden.“