Wolfgang Voosen

Das Dossier


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'Tanz in den Mai' im Segelclub leicht beschwipst hatten sie auf der 'Weißen Rose' übernachtet und dort eine Nacht voller Zärtlichkeit verlebt. Erst am Abend des Maifeier­tages waren sie nach Köln zurückgekehrt und bevor Paul in aller Herrgottsfrühe am Dienstagmorgen von ihrer Wohnung aus wegen einer Recherche zu einer Flugreise nach Zürich aufgebrochen war, hatte er ihr dieses Gedicht mit ihrem Lippenstift auf den Spiegel im Badezimmer geschrieben. Jetzt verstand sie auch die Unterstreichungen: Alles was unterstrichen war, gehörte zusammen. Der Sinn ergab sich aus der Summe der Zeilen. Die Zeilen bildeten das Gedicht. Es beschrieb die Nacht. Diese unvergesslichen Stunden hatten sie auf dem Wasser der Bever zugebracht. In trauter Zweisamkeit. Niemand kannte dieses Gedicht. Nie hatte Paul es zu Papier gebracht. Auf dem Spiegel hatte es ziemlich genau drei Wochen gestanden, bis ihr gemeinsamer Chef und seine Mitarbeiter zur fast schon traditionell zu nennenden Maibowle am Vorabend des Vatertages anrückten. Da hatte Verena es weggewischt, weil das Gedicht intime Stunden ihrer tief empfundenen gegenseitigen Liebe beschrieb und Andere nichts anging. Selbst Kirsten hatte es nie zu Gesicht bekommen.

      10.

      Endlich hatte Verena den ersten kleinen Hinweis gefunden, sicherlich nicht mehr als der Eckstein eines Puzzles. Aber, munterte sie sich auf, jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Nun galt es, die dazu gehörigen Puzzleteile zu finden, damit sich alles zu einem Bild zusammenfügen konnte. Der Vergleich mit der vom Jagdhund aufgenommenen Witterung, der die passende Fährte sucht, kam ihr in den Sinn. Die Fährte führte zur 'Weißen Rose'. Pauls ganzes Leben, zumindest so lange Verena ihn gekannt hatte, war in irgendeiner Weise von diesem Symbol beeinflusst gewesen. Und länger noch. Es schien seine Fühler auch noch nach seinem Tod nach ihm auszustrecken.

      Nur zu gerne ließ Verena sich von diesem Gedanken gefangen nehmen, denn die Farbe Weiß war ja auch zugleich das Sinnbild der Unschuld. Sie war auf der Suche nach ihr. Das Bild von Pauls vermeintlicher Schuld begann rissig zu werden. Hoffnung keimte auf.

      Was aber bedeutete dieser Hinweis nun? Waren diese unvergesslichen Stunden ge­meint? Hatte Paul ihr in dieser Nacht irgendetwas erzählt, was nun im Nachhinein einen besonderen Sinn bekam? Nein, Fehlanzeige! Sie konnte sich zwar an die Nacht in all ihren Einzelheiten erinnern, aber gesprochen hatten sie nur wenig miteinander. Wenn überhaupt, dann kreisten die wenigen geflüsterten Sätze nur um ihre Liebe, um ihre Vertrautheit miteinander. Ansonsten erinnerte sie sich nur an seine körperliche Zärt-lichkeit, die ihr jetzt so sehr fehlte, nach der sie sich so sehr sehnte.

      Lag der Schlüssel vielleicht in der Schweiz? Nach dieser Nacht auf dem Boot war er am nächsten Morgen nach Zürich geflogen, dem Synonym für Banken, Geldverkehr und ge­heime Konten. War er vielleicht damals schon irgendwelchen Machenschaften auf der Spur, die sich um Geldwäsche drehten, einem Thema, dem er sich des Öfteren gewid­met hatte? Aber wie sollte sie ohne jeden Anhaltspunkt in Zürich die entsprechenden Hinweise finden? Sie wusste nicht, mit wem er sich dort getroffen hatte. Auch der Name des Hotels war ihr entfallen. Zum Stier? Oder zum Löwen? Irgendwie brachte sie den Hotelnamen mit einem Tierkreiszeichen in Verbindung. Richtig, jetzt fiel ihr der Name wieder ein: Hotel Widder. Doch was nützte ihr das? Wenn sie wirklich Nachforschungen vor Ort anstellen wollte, müsste sie zumindest wissen, wen Paul in der Schweiz aufge­sucht hatte. Denn nur dann bestünde überhaupt eine Chance, im Hotel vielleicht gegen ein kleines, in Zürich wohl eher gegen ein großes Trinkgeld vom Portier mehr zu erfah­ren. Wie sollte sie den Namen der Person herausfinden, die Paul dort getroffen hatte? Die letzte Rettung schien Verena ihr Chef zu sein, eher noch als Püll, denn schließlich war Paul in journalistischer Mission nach Zürich gereist, um dort für eine Story zu re­cherchieren.

      Also hängte sich Verena ans Telefon, um ihren Chef an die Strippe zu bekommen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass er vom Mittagessen, das er sich nach der montäglichen Redaktionskonferenz regelmäßig im Gegensatz zu anderen Wochentagen gönnte, schon zurück sein könnte.

      „Veronika Linden, meldete sich Manfred Manns Sekretärin, obwohl Verena seine Durchwahl gespeichert und daher auch gewählt hatte, Was kann ich für Sie tun?

      „Hallo, Vroni, ich bin´s, Verena, eigentlich wollte ich Mannomann sprechen. Ist wohl noch beim Essen?!

      „Hi, Verena, schön von dir zu hören. Hast du es dir anders überlegt und willst doch kei­ne weitere Auszeit nehmen?

      „Nein, nein, es bleibt dabei. Erst mal mache ich noch eine Weile Pause. Aber ich brau­che eine Info vom Chef. Wann kommt er von der Mittagspause zurück?

      „Er war gar nicht beim Essen. Hier ist richtig Ruß in der Küche. Hajos Reportage über die Schmiergeld-Affäre bei Sielectric hat mächtig Staub aufgewirbelt, nachdem in Mün­chen auch einige hochrangige Politiker ins Fadenkreuz geraten sind. Nun wollen die lo­kalen Politgrößen Schützenhilfe leisten und bemühen sich um Schadensbegrenzung. Aber du kennst ja Mannomann, wenn´s um seine Journalisten-Ehre geht. Gott sei Dank war Hajos Story richtig gut recherchiert, obwohl wir als Erste auf dem Markt waren. Wird schon gut gehen. Aber sprechen kannst du unseren Boss natürlich im Augenblick nicht. Am besten, du versuchst es morgen früh noch mal, so gegen halb zwölf. Ich leg ihm ei­nen Zettel hin, dass du angerufen hast, aber besser noch, du rufst ihn an. Da liegen schon tausend Zettel. Muss Schluss machen, auf dem anderen Apparat klingelt´s schon wieder Sturm. Ciao, ciao!

      „Tschüss Vroni, noch ehe Verena dazu kam, sich zu bedanken, hatte die Sekretärin schon aufgelegt, und die Leitung war unterbrochen.

      „So ein Mist, sagte Verena halblaut vor sich hin und überlegte, was sie mit dem ange­brochen Tag anfangen könnte. Kirsten hatte ihr eine nur noch zwei Wochen dauernde Ausstellung im Museum Ludwig empfohlen, aber heute war Montag, also geschlossen. Zum Joggen hatte sie keine Lust, zumal das Wetter wenig einladend war. Den neuen 'Spiegel' zu lesen, war ihr zu anstrengend, also blieb als Alternative ein Kännchen grü­ner Tee und das gerade in der 'Mayer´schen' erworbene Buch 'Rudernde Hunde'. Ge­dacht, getan. Sie ging in die Küche, setzte den Wasserkocher in Gang, hängte zwei Teebeutel in die Glaskanne, stellte die Uhr im Herd auf drei Minuten und schob eine CD von Joana Zimmer ein. Noch während des ersten Liedes, Love is a temple, ertönte aus der Küche das Klingelzeichen. Verena entfernte die Teebeutel, nahm Kanne und Glas, ging ins Wohnzimmer, legte sich auf die Couch und begann zu lesen.

      11.

      Gegen sieben Uhr machte Verena sich einen Salat zurecht, schüttete ein wenig italieni­sches Dressing darüber, schmierte sich eine Scheibe Schwarzbrot mit Gorgonzola und schaltete den Fernseher ein. Nach den 'Heute'-Nachrichten widmete sie sich wieder ihrem Buch.

      Gegen halb zehn läutete das Telefon. Na, wo brennt´s denn, meine Liebe?“, meldete sich Manfred Manns vertraute Stimme und sie klang frei von jeglicher Verärgerung oder sarkastischem Unterton.

      „Hallo, Manni, lieb von dir, dass du dich so schnell meldest. Damit habe ich gar nicht gerechnet, denn von Veronika hörte ich, dass es mächtig qualmt in der Redaktion we­gen der Schmiergeld-Affäre bei Sielectric.

      „Na, halb so wild, erwiderte Manfred, wo gehobelt wird, da fallen eben auch Späne, aber so lange sie sich nicht entzünden, brennt´s auch nicht!

      „Deine Sprache hat´s dir ja in der Tat nicht verschlagen, antwortete Verena und amü­sierte sich insgeheim wie so oft über seine blumige Ausdrucksweise, die ein echtes Mar­kenzeichen von ihm war. Aber bei dem ganzen Stress, den du natürlich in dieser Sa­che hast, komme ich nun auch noch und belästige dich mit meiner Geschichte.

      „Unsinn! Ich hab dir doch gesagt, dass du mich wegen deiner Nachforschungen jeder­zeit anrufen kannst. Wenn es bei mir mal kneift, dann sag ich dir das schon. Schieß los. Was gibt´s?

      „Also gut. Erst mal