Wolfgang Voosen

Das Dossier


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abgestiegen ist. Weißt du, wen er dort getroffen hat? Ging es damals schon um die Autoschieberei? Hatte die Recherche etwas mit dem Thema Geldwäsche und insbesondere mit Nummernkonten in der Schweiz zu tun?“, sprudelte es nur so aus Verena hervor.

      „Nun mal langsam. Ein bei ein, sächt Onkel Hein!“, dämpfte Manfred Verenas Rede­fluss.

      „Also sämtliche Reisen von Paul zur damaligen Zeit hatten irgendwie mit Geldwäsche zu tun, vor allem im Zusammenhang mit den international tätigen Autoschieberbanden in Osteuropa. Aber was damals speziell in Zürich Pauls Anliegen war, kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Er hat ja völlig selbstständig gearbeitet, so wie ich ihm immer freie Hand gelassen habe. Sicher ist davon auszugehen, dass er irgendwelche finanziel­len Transaktionen nach Zürich verfolgt hatte und sich deshalb mit einem Informanten in der Schweiz getroffen hat. Soviel ich weiß, gab es auch jemanden aus dem mittleren Management der Eidgenössischen Kantonsbank, zu dem er einen sehr guten Draht hatte. Es war so eine Art Symbiose zwischen ihnen, die nach dem Hand-Wasch-Prinzip funktionierte. Dazu gehörte aber auch absolute Verschwiegenheit. Du weißt doch: Schutz der Quelle, oberstes Gebot. Seinen Informanten preiszugeben, wäre eine journalistische Todsünde. Deshalb hat er auch selbst mir gegenüber keine Namen genannt.

      „Schade, sagte Verena mit leiser Stimme und unschwer war ihr die Enttäuschung an­zumerken. Kannst du mir dann wenigstens ein paar grundlegende Dinge zum Thema Geldwäsche sagen? Das würde mir eine Menge Recherchearbeit ersparen. Paul hat mir hierüber nie etwas erzählt.

      „Sicherlich. Also die Geldwäsche funktioniert grundsätzlich so, dass illegal erwirtschaf­tetes Geld, um seine Herkunft zu verschleiern, gewaschen werden muss. Das heißt, es muss in den normalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf eingeschleust werden. Der Be­griff Geldwäsche geht übrigens auf Al Capone zurück, der das zur Zeit der Prohibition durch illegale Geschäfte erworbene Geld tatsächlich in Waschsalons investierte. Häufig werden beim Waschen des Geldes auch hohe Verluste in Kauf genommen. Zum Bei­spiel, indem angebliche Gewinne aus Dienstleistungen - also wie bei Al Capones Waschsalons - oder aus dem Verkauf von Waren versteuert werden. Die sich so erge­benden Netto-Erträge werden quasi durch den Staat legalisiert. Das auf den Geschäfts­konten eingezahlte Geld befindet sich dann wie beabsichtigt im normalen Wirtschafts­kreislauf. Oftmals wird das Geld anschließend noch unter Beteiligung verschiedener ausländischer Banken auf Auslandskonten mehrfach hin und her transferiert, um es den Ermittlungsbehörden bei den täglich millionenfachen Überweisungen fast unmöglich zu machen, die Spur des Geldes bis zu seinem eigentlichen Ursprung zu verfolgen.

      „Ach, so läuft das ab. Vielen Dank. Da habe ich ja schon mal einen Einstieg und stoche­re nicht so mit einer langen Stange im Nebel herum, wie du es nennen würdest, ver­suchte Verena mit diesem scherzhaften Bild, ihre Enttäuschung zu verbergen. Und ir­gendeinen Namen kannst du mir wirklich nicht nennen?“, unternahm Verena einen letz­ten Versuch, noch etwas aus ihrem Chef herauszukitzeln.

      „Nein, tut mir leid, aber so war das nun mal zwischen uns. Erst wenn die Birne geschält war, hat er mich kosten lassen. Das war unsere Devise und wir sind damit gegenseitig blendend gefahren. Ich wusste oft nur im Groben, um was es ging, mit was er gerade beschäftigt war. Vertrauen gegen Vertrauen. Das hat sich immer ausgezahlt. Ich glaube, in beiden Richtungen.

      „Ja, schon klar. Das weiß ich. Aber ich habe halt doch gehofft, du könntest mir noch ein bisschen auf die Sprünge helfen. Also suche ich weiter. Ich melde mich wieder, wenn´s was Neues gibt. Nochmals vielen Dank. War lieb von dir, dich so rasch zu melden. Ciao Manni!

      „Tschüss denn, bis demnächst. Wie gesagt, tut mir leid, dir nicht mehr sagen zu kön­nen. Aber lass dich nicht verdrießen. Kopf hoch, wird schon werden.

      So ganz überzeugend klangen seine letzten Worte nicht, dachte Verena, als sie ihr Han­dy wieder beiseite legte. Aber das ist ja auch kein Wunder, spann sie ihre Gedanken fort, denn schließlich hat er mir kürzlich noch deutlich zu verstehen gegeben, was er von der ganzen Sache und meinen weiteren Nachforschungen hält. Andererseits hat er letzt­lich zugestimmt, als ich ihn um eine weitere Auszeit gebeten hatte.

      Doch jetzt bin ich genauso schlau wir vorher, dachte Verena. Irgendwie kam sie sich aber auch albern vor, ernsthaft darüber nachzudenken, aufs Geratewohl nach Zürich zu fliegen, das Hotel und die Eidgenössische Kantonsbank aufzusuchen, ohne auch nur ei­nen blassen Schimmer davon zu haben, nach was sie eigentlich suchte. Was sollte sie fragen? Und wen? Wo sollte sie anfangen? Es kam ihr alles so sinnlos vor und doch musste der Schlüssel zu allem mit Pauls Reise nach Zürich zu tun haben.

      Obwohl noch vor zehn, übermannte sie plötzlich, während sie ihren Gedanken nach­hing, die Müdigkeit und sie fiel auf der Couch in eine Art Halbschlaf. Flugzeuge flogen laut lärmend durch die Luft. Der Boden schwankte, als befände sie sich unter Deck in ei­nem Boot. Einem grellen Blitz folgte ein krachender Donner. Dann war es still. Flammen züngelten aus der Holzverschalung in die Höhe hin zum Licht. Instinktiv griff Verena mit ihren Händen über sich und tastete rechts an einer imaginären Wand entlang. Die Hän­de durchfurchten die Luft, ohne einen Widerstand zu spüren. Sie suchten, sanken herab und begannen ihre Suche von Neuem. Dieses Schauspiel zwischen Traum und Wirk­lichkeit wiederholte sich dreimal. Dann wurde ihr rechter Arm taub, als gehöre er nicht mehr ihr. Verena erwachte. Panisch schüttelte sie mit der linken Hand ihren Arm und befeuchtete die Armbeuge mit Spucke. Dabei wusste sie nicht, wo sie war, denn die Bilder des Traums waren noch zu präsent, um einfach zur Seite geschoben werden zu können. Lag sie auf der Bank im Boot? Oder auf der Couch in ihrem Wohnzimmer?

      Als sie, immer noch ihren rechten Arm massierend, wieder langsam zu sich kam, wollte sie sich mit aller Macht an ihren Traum erinnern. Bruchstückhaft kehrten die Fetzen zu­rück und formten ein Bild des Traums: Flugzeug, Blitz, Donner, Boot, Feuer, Flucht. Nein, geflohen war sie nicht. Irgendetwas hatte sie daran gehindert. War es das Feuer? Die züngelnden Flammen hatten nur von den hölzernen Umrandungen der Bullaugen Besitz ergriffen, nicht aber den Fluchtweg über die Stufen zum Ausstieg versperrt. Was aber hatte sie in ihrem Traum gehindert zu fliehen?

      Nach und nach erinnerte sie sich auch an das Tasten ihrer Hände. Hatte sie mit ihren Händen jemanden berühren wollen? Oder wollte sie etwas greifen, um es vor den Flam­men zu retten? Da durchzuckte sie ein Gedanke. Richtig! - etwas Wichtiges musste vor den Flammen gerettet werden und das verbarg sich hinter der Holzverschalung in einer Art Geheimversteck. Paul hatte es ihr in ihrer gemeinsamen Nacht auf der 'Weißen Rose' gezeigt. Sie erinnerte sich jetzt, wie er dabei noch meinte, dass er keinen Tresor in der Wohnung brauche. Hier seien seine wenigen Schätze viel besser aufgehoben als irgendwo anders. Er hatte ihr demonstriert, wie sich ein etwa 30 mal 40 cm großes Stück der Holzverkleidung durch Ziehen eines unter der Bank angebrachten Hebels nach hinten bewegte und nach unten hinter der Holzverkleidung verschwand. So ergab sich ein nur knapp fünfzehn Zentimeter tiefer Hohlraum. Damals hatten sich lediglich ein gekühlter Piccolo und eine kleine Vase mit einer weißen Rose darin befunden. Ein biss­chen kitschig, aber gut inszeniert, dachte sie damals. Denn offensichtlich hatte Paul die Zeit genutzt - als sie noch einmal zum Wagen gegangen war, um ihre Lesebrille zu holen - und diese Dinge dort deponiert.

      Nun wurde Verena schlagartig bewusst, was es mit den Bruchstücken aus dem Gedicht auf sich hatte. Es ging - zumindest vordergründig - gar nicht um die Reise nach Zürich. Die Zweizeiler dienten nur dazu, die Nacht auf dem Boot in Erinnerung zu rufen. An das zu erinnern, was scheinbar beiläufig geschah. Das musste die Lösung sein: ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zur Wahrheit.

      Verena war plötzlich hellwach. Sie überlegte fieberhaft, was als Nächstes zu tun sei. So­fort zur Bever aufbrechen? Unsinn, mitten in der Nacht. Am Ende hielt man sie noch für einen Einbrecher und würde sie verhaften.

      Püll anrufen, um ihm ihre Vermutung zu schildern und ihn um den Bootsschlüssel zu bit­ten? Zu spät war es noch nicht, denn er las immer noch lange und saß sicher wie üblich bei einem guten Tropfen Rotwein. Aber eigentlich hatte sie sich ja geschworen, nieman­den einzuweihen, bevor nicht alles niet- und nagelfest war. Außerdem