Günther Dümler

Mords-Brand


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lauteten nahezu alle Aussagen der sensationslustigen Zuschauer. Bisher war noch kein einiziger wirklicher Augenzeuge dabei.

      Mehr Erfolg hatten die Ermittler bei einem unmittelbaren Nachbarn, der den Blitzeinschlag seinem Bericht zufolge mit eigenen Augen gesehen hatte.

      „Ich hobb mi ans Fensder gschdelld, walli wissen wolld, obs vielleichd sogar hagln doud und ich noch amaal naus muss, dassi die Geranien in Sicherheid bring. Und dou hobbis gseeng. Der Blitz iss in den Anbau nei und im Bruchdeil von anner Sekundn, braggdisch im selbn Momend, hodds aa scho an Mordsdrummschlaag dou und mer hodd gmaand, dass sogar der Erdbodn aweng zidderd. Ich zidder etz nu, wenni blouß dran denk. Dess war wäi a Exblosion, bäng und …. und scho hodds lichderloh brennd.“

      Die Beobachtung stimmte mit den kriminaltechnischen Erkenntnissen der Brandermittler überein beziehungsweise bestätigte deren Befund. Somit schied Brandstiftung komplett aus, was für die weitere Abwicklung mit der zuständigen Brandversicherung von enormer Bedeutung war. Es blieb aber noch die Frage, wie es zu der menschlichen Tragödie kommen konnte, warum der junge Feuerwehrmann in aussichtsloser Situation noch einmal in das kurz vor dem Einsturz stehende Haus rannte, um dort elendiglich umzukommen. Diesen Teil der Ermittlungen führten die beiden Kriminalkommissare Schindler und Havranek durch. Auch sie befragten alle zum Unglückszeitpunkt am Brandort anwesenden Personen, allen voran natürlich die Kameraden des Getöteten, die aufgrund ihrer Position am ehesten etwas Verwertbares mitbekommen haben konnten.

      „Herr Schedl“, bat Schindler den Einsatzleiter, „nun schildern sie doch mal bitte mit ihren eigenen Worten, wie sie die Situation erlebt haben.“

      Berthold Schedl war seit der Katastrophe nur noch ein Schatten seiner selbst. Der breitschultrige, hochgewachsene Mittvierziger war buchstäblich zusammengeschrumpft, körperlich wie seelisch, zum Teil durch den immer noch vorhandenen Schock, hauptsächlich aber durch ein diffuses Gefühl auf der ganzen Linie versagt zu haben. Das Feuer hatte wohl auch einen gehörigen Teil seines Selbstbewusstseins verbrannt. Noch nie war einer seiner Männer bei Ausübung seiner Tätigkeit ums Leben gekommen. Noch nie! Natürlich, Verletzungen waren unvermeidlich und dieser Gefahr waren sich alle, die bei der Feuerwehr dienten, stets bewusst, aber dass einer stirbt, noch dazu auf so unbegreifliche Weise, das warf ihn nahezu aus der Bahn. Selbstvorwürfe nagten unaufhörlich an ihm, was auch aus seiner Antwort deutlich wurde.

      „Ich wass nedd, wie ich s verhindern hädd könner, abber drotzdem machd mehr sich Vorwürf. Alle warn doch scho draußn und die Susi, also die Dochder von die Zieglers, die war doch garnedd derhamm, wies bassierd iss. Dess hobbi soford midd die andern Familienmidglieder geglärd ghabd. Neber mir war der Maschinisd gschdandn, den hobbi selber Bescheid gsachd und rechds neber mir war der Melder, der Seyler Harald, dem hobbi den Aufdraach gebn, alle andern zu informiern, dass keine Bersonenschäden mehr zu befürchdn sinn und dass mer ab sofford nur noch eine weidere Ausbreidung der Flammen , also ann Übergriff auf die Nachbaranwesn verhindern wolln. Und dess hodder aa gmachd, dess hobbi selber gseeng.“

      Nach mehreren heftigen Schnaufern und einem unkontrollierbaren Zucken, als ob er von Schüttelfrost geplagt wäre, fügte er hinzu:

      „Warum der Udo drotzdem noch amaal dou nei iss …? Ich begreifs nedd. Wissns, ohne ausdrügglichn Befehl derf der Angriffdrubb sowieso nedd in a brennendes Gebäude nei. Ich konn mers blouß aso erglärn, dasser aus irchndann Grund kombledd die Nervn verlorn hodd …. Obwohl er eigndlich nedd der Dübb derfür war. Der Udo war sonsd immer so …, ja will solli sagn, vernümbfdich.“

      Die anderen Feuerwehrmänner bestätigten mit ihren eigenen Worten mehr oder weniger den Bericht des Kommandanten. Keiner konnte sich den Ausraster von Udo Weinmann erklären, alle hatten die Information des Melders erhalten und hatten über die vollständige Personenrettung Bescheid gewusst. Kopfschütteln, Schulterzucken, Trauer, aber keine Erklärung für ein mögliches Motiv.

      Harald Seyler, der Melder brachte vorsichtig die Möglichkeit eines absichtlich herbei geführten Todes in die Diskussion ein. Vielleicht wollte der Udo sich ja selbst das Leben nehmen. Er war schließlich unsterblich in die Ziegler Susi verliebt, das wussten alle. In letzter Zeit allerdings hätte man gehört, dass es nicht mehr so richtig passte, von Trennung war sogar die Rede. Vielleicht hatte sie ihn mittlerweile endgültig abgewiesen und der Brand des Zieglerischen Anwesens hatte ihn wieder an die Aussichtslosigkeit seiner Schwärmerei erinnert, ihn erneut seelisch heruntergezogen, dazu der extreme Stress, der bei einem derartigen Einsatz immer herrscht. Vielleicht hat er auch in seiner Verzweiflung die wahnsinnige Idee gehabt, sich ausgerechnet in Susis Zuhause umzubringen, damit sie sieht, was sie ihm mit ihrer Zurückweisung angetan hat. Da ist halt was zusammengekommen. Was weiß man, vorstellen könne er sich das schon. So weit die Theorie des Feuerwehrkameraden.

      Der Herr Seyler schien einer dieser nervigen Hobbypsychologen zu sein, die immer alles bis ins kleinste verstehen müssen, die für alles eine, wenn auch noch so sehr an den Haaren herbei gezogene Erklärung finden müssen, weil ihnen sonst ihre angeborene Neugierde keine Ruhe lässt. Dieser Eindruck drängte sich Hauptkommissar Erwin Schindler von der ersten Sekunde an, da er mit der Einvernahme begonnen hatte, zwangläufig auf. Seine langjährige Erfahrung sagte ihm, dass es sehr wohl Vorkommnisse gibt, für die man niemals eine logische Begründung finden wird. Zufälle, spontanes Versagen, Fehler eben. Der Zeuge schien einer von denen zu sein, die sich immer und überall in den Vordergrund drängen müssen, die zu allem eine Meinung haben. Eine vorsichtige Erkundigung bei dessen Kameraden bestätigte diesen Eindruck.

      Am Frühstückstisch der Kleinleins herrschte eine ungewöhnlich angespannte Atmosphäre.

      „Und kommers essn? Sinn nedd vielleichd zu vill Viddamine drin?“

      „Mensch Marga, etz sei hald nedd immer nu äso eigschnabbd, bloß walli gsachd hobb, dassi zwischernei aa amaal widder woss Handfesdes essn möcherd. Und woss sollin ner an denne Weggler auszusetzn habn? Dee sinn doch … einwandfrei!“

      Eigentlich wollte er sagen: „Dee sinn doch vom Bägger Hufnagl“, konnte die Bemerkung aber gerade noch einmal entschärfen. Was er damit ausdrücken wollte war lediglich, dass die Bäckerei Hufnagel sehr zuverlässig sei und man noch nie Beanstandungen bei deren Brötchen hatte, aber dieser Hinweis hätte Marga angesichts ihrer augenblicklichen Empfindlichkeit leicht in den falschen Hals geraten können, was ihm blitzschnell zu Bewusstsein kam. Genauso gut hätte sie auch verstehen können, die sind ja auch nicht von dir. Und so fügte er nach kurzem Überlegen stattdessen friedensheischend hinzu:

      „Dee sinn genauso einwandfrei wäi alles andre woss du kochsd aa! Mir müssn hald immer aweng abwechsln, ner bassds scho.“

      Da die Marga dagegen nichts sagen konnte, sie andererseits aber befürchtete, dass eine Zustimmung eine hundertprozentige Rückkehr zu den früheren Verhältnissen und den Verlust jeglichen ernährungstechnischen Fortschritts bedeutet hätte, blieb sie lieber ganz stumm und zuckte mit den Schultern auf jene unbestimmte Art, die jegliche Interpretation zuließ und die von Einverständnis, über Ignoranz bis hin zu direkter Ablehnung alles bedeuten konnte. Da hatte er sich aber auch in etwas Schönes hinein manövriert.

      Derart abgeblitzt wandte sich Peter erst mal seiner Morgenlektüre zu und hielt vorsichtshalber den Mund. Jetzt nur kein falsches Wort. Die Zeitung war heute besonders dick. Es gab zwei Sonderberichte. Einer befasste sich mit den verheerenden Folgen des Unwetters und dem dadurch entstandenen Brand sowie dem tragischen Tod des jungen Feuerwehrmannes. Ein weiterer, ganzseitiger Bericht zeigte unter anderem ein Bild des Bürgermeisters Helmut Holzapfel, neben ihm zwei von Kopf bis Fuß in orangefarbene Overalls der Firma easyclean gekleidete Müllmänner, von denen der eine mit breitem Grinsen ein nicht zu identifizierendes Blatt Papier in die Kamera hielt. Daneben stand eine weitere Person, ein relativ blasser Mann mit struppeligen Haaren, in Jeans und einem karierten Hemd, das ihm aufgrund einer beachtlichen Speckschwarte über den Gürtel hinunterhin. Unappetitlich! Ein Unbekannter, auf jeden Fall keiner aus dem Dorf.

      Peter zog die Brauen missbilligend hoch und obwohl er eigentlich schmollte und sich vorgenommen hatte nichts mehr zu sagen,