Günther Dümler

Mords-Brand


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etwa ein Wiesel ausstopfen und an die Wand einer Bauernstube hängen wollte.

      Gleich beim Betreten des Wohnzimmers fiel Frau Siebenkäs, die nicht nur im Büro einen beachtlichen Hang zu Ordnung und Sauberkeit an den Tag legt, die dunkelblaue Plastiktüte auf, die völlig deplaziert auf einem Stapel alter Zeitungen und anderen Papierabfällen lag. Wahrscheinlich hatte es Frau Lippl mit der Mülltrennung nicht ganz so genau genommen, wie viele alte Leute, die das in ihrer Jugend nicht gelernt hatten. Oder sie war einfach doch schon mehr überfordert, als man allgemein gedacht hatte. Fleisch- und Wurstwaren Edelmann stand auf der Tüte. Aus Röthenbach war die nicht, hier gab es nur die über die Grenzen des Dorfes hinaus für ihre Spezialitäten bekannte Metzgerei Bräunlein, berühmt vor allem für die mehrfach preisgekrönten, 1A fränkischen Bratwürste. Zerknittert war sie, die Tasche. Wahrscheinlich stammte sie noch aus der Zeit, als die Frau Lippl regelmäßig nach Nürnberg gefahren war, um ein bisschen was vom Leben zu spüren, wie sie es selbst immer so treffend formuliert hatte. Ach ja, seufzte Adele Heller, das war nun auch vorbei. Alles vergeht. Aber die Tüte kam den Damen ganz gelegen. Die Krankenschwester räumte die überzähligen Tabletten, das Verbandsmaterial, die unbenutzten Spritzen aus dem Badezimmerschränkchen und wollte sie kurzerhand in die blaue Tüte stopfen, doch diese war gar nicht leer. Ein kleines, liebevoll besticktes Kissen steckte darin. Da hatte sie der alten Dame wohl Unrecht getan. Sie hatte anscheinend ihre Schätze fein säuberlich vor Staub und dem schädlichen Einfluss des starken Sonnenlichts geschützt. Und nun würde sich kein Mensch mehr dafür interessieren. Sie nahm das Kissen vorsichtig heraus, klopfte es sorgfältig zu Recht und setzte es auf das Wohnzimmersofa.

      Das gesuchte Testament lag tatsächlich, genau wie Eleonore Lippl ihrer Pflegerin anvertraut hatte, mit gestochen scharfer Handschrift und mit dunkelblauer Tinte abgefasst und in einem braunen Umschlag steckend, zwischen zwei Lagen der erwähnten Bettwäsche. In der Küchenschublade fanden die beiden Frauen zudem einen Brief nebst Umschlag, der die Adresse des Gesuchten, ebenfalls eines Herrn Lippl, als Absender trug. Es ging die Beiden zwar nichts an, doch vor der Untugend der Neugierde sind auch Amtspersonen und aufopferungsvolle Engel im Dienste der Allgemeinheit und insbesondere der Kranken nicht gefeit. So erfuhren sie, dass der betreffende Mann vor einem Vierteljahr erst die liebe Großmutter um eine Finanzspritze in nicht erwähnter Höhe gebeten hatte, mit der Begründung, dass sie auf Grund ihres hohen Alters mit weltlichen Reichtümern nicht viel anfangen könne, er aber damit einem nicht näher bezeichneten, äußerst lukratives Vorhaben den entscheidenden Anschub geben könnte.

      Ob sie dem Ansinnen nachgegeben hatte, wusste man nicht und man konnte es auch nicht erfahren, ohne den gesamten Haushalt auf den Kopf zu stellen, wovon man aus Gründen des angeborenen Anstands und der gebotenen Pietät schließlich doch absah.

      „Scho ungewöhnlich, dass heidzudaach nu jemand Briefe schreibd. Abber wahrscheinli iss nedd anders ganger, wall sich die Frau Libbl, obwohl ich ihr dess ja immer widder angeradn hobb, einfach ka Dellefon zulegn hodd wolln“, meinte die Gemeindeschwester.

      „Wohrscheinli wars rer zu deier“, steuerte Frau Siebenkäs, die Teilzeitgemeindesekretärin, eine naheliegende Vermutung bei.

      „Möglich“, meinte ihre Mitstreiterin, „aber sie hodd aa zu mir immer gsachd: Woss solli denn mid an Dellefon? Mich rufd doch ka Mensch nedd an und ich kenn aa kann, mit dem ich dauernd über so einen Abbarad blaudern müsserd.“

      Was auch immer der Grund für ihre Abneigung gegen das Telefonieren war, spielte nun, nach ihrem Tod ohnehin keine Rolle mehr. Und die Adresse des gesuchten Verwandten stand ja nun ebenfalls zur Verfügung.

      „Schreiben brauchi dem abber nedd, dess dauerd ja vill zu lang. Bis dou hie muss die arme Frau doch scho längsd beerdichd werdn. Ich schau amal, ob ich zu derer Adress a Rufnummer ausfindich machen konn. Dann dellefonier in glei an, dasser so schnell wie möglich kummd.“

      So wurde es dann auch gemacht und daher war es kein Wunder, dass bereits tags darauf im Laufe des Vormittags der vermeintliche Erbe auf dem Gemeindeamt vorstellig wurde. Er hatte Glück Frau Siebenkäs persönlich anzutreffen, denn die Größe der Gemeinde, beziehungsweise der Mangel an derselben, brachte es mit sich, dass das Büro nur stundenweise besetzt war. Ob es nun an seinem Pflichtbewusstsein lag oder eher andere Gründe vorlagen, jedenfalls hatte der trauernde Enkel keine unnötige Zeit verstreichen lassen.

      Obwohl das Testament erst vom zuständigen Amtsgericht geprüft und anerkannt werden musste, damit in Folge dessen ein entsprechender Erbschein ausgestellt werden konnte, hatte Frau Siebenkäs keine Bedenken, dem Herrn Lippl, als der er sich zweifelsfrei ausweisen konnte, den Schlüssel zum Trauerhaus auszuhändigen, damit er sich wenigstens die Übernachtungskosten im Goldenen Adler ersparen konnte, welche seine aktuellen finanziellen Möglichkeiten über Gebühr auf die Probe stellen würden, wie er beschämt zugeben musste. Würde die Großmutter noch leben, so hätte er schließlich auch dort Quartier genommen. Bezüglich etwaiger, auf ihrem Weg ins himmlische Jenseits herumirrender Seelen oder anderer Beklemmung verursachender Umstände hatte der Mann keine Bedenken. Er schien eher der praktische Typ zu sein. Frau Siebnkäs‘ ebenso praktische Veranlagung machte es ihr leicht dieser überzeugenden Argumentation zu folgen.

      Es ist wieder einmal Freitagabend. Eine gut gelaunte Schafkopfrunde blättert einen Trumpf nach dem anderen auf den massiven Stammtisch des Goldenen Adlers. Münzen werden hin- und hergeschoben, allerdings in überschaubarer Zahl. Um ein Vermögen geht es hier nicht, sondern ausschließlich ums Vergnügen. Peter Kleinlein und seine Freunde genießen ihren Feierabend. Die Freunde, das sind Simon Bräunlein, der Dorfmetzger, Lothar Schwarm, Inhaber des gleichnamigen Friseursalons sowie dessen Lebensgefährtin Maria Cäcilia Leimer, die Betreiberin des angeschlossen Schönheitsstudios. Der zweite Vorname Cäcilia kommt allerdings nur bei besonders offiziellen Anlässen in Gebrauch, wenn zum Beispiel eine Amtshandlung ansteht oder die Maria von einer solchen träumt, einer Hochzeit etwa, was aber momentan im wirklichen Leben kein Thema ist, jedenfalls nicht für den Lothar. Noch nicht. Oder er wird benutzt, wenn der Lothar ein ernstes Wörtchen mit ihr zu reden hat. So wie jetzt.

      „Maria Cäcilia! Warum hosd nern nedd die Schellnsau gschmierd, wäi ich dem Beder sei Blaue gschdochn hobb? Nou hädd mer logger gwunner!“

      „Riad doch koin solchn Schmarrn, Lothar. Zu den Zaidbunkt hobb i doch no goar niad wissen könna, dass mir zwoi zsammerspöhln.“

      Das Ö in dem Wort zsammerspöhln, also zusammenspielen, das, so wie Maria selbst aus dem Oberpfälzischen stammt, muss auf eine ganz besondere Weise ausgesprochen werden. Richtig betont klingt es so, wie wenn der betreffende Laut ausschließlich dafür geschaffen wäre, um Ekel oder Abscheu zum Ausdruck zu bringen, etwa angesichts einer verdorbenen Speise, etwa einem Krug sauer gewordener Milch oder beim Einatmen des übelriechenden Inhalts einer seit mehreren Wochen nicht mehr ausgeleerten Biomülltonne bei 35 Grad im Schatten. Mit stark gerümpfter Nase und angespannten Halsmuskeln eben und irgendwo zwischen 30 Prozent Ü und 70 Prozent Ö. Je nach Herkunft innerhalb der Oberpfalz verschieben sich die Prozentanteile beider Buchstaben zudem beliebig.

      Die Maria ist keineswegs eine Anfängerin in der hohen Kunst des Kartenspielens und kennt sich mit den zahllosen offiziellen und eher noch zahlreicheren inoffiziellen Regeln des Schafkopfspiels perfekt aus. Sie ist vor einigen Jahren aus dem idyllischen Schönkirch in der hintersten Oberpfalz oder Schöikiach, wie sie den Ort selber auszusprechen pflegt, zu ihrem Lebensgefährten Lothar gezogen, nachdem sich die beiden auf einer abenteuerlichen Rundreise durch Ägypten kennen- und lieben gelernt hatten. Und Schafkopf beherrscht man dort, wo sie herkommt, schon von Kindesbeinen an. Es gehört dortzulande quasi zur Grundausbildung, es rangiert in der Reihenfolge der wichtigsten Vorschulfächer noch weit vor dem Hochdeutschen.

      Die ebenfalls anwesenden Ehefrauen von Peter und Simon, Marga und Gisela saßen etwas abseits in ein Gespräch vertieft bei einem Glas Wein. Die Kartelrunde hatte nun schon über eine Stunde ihr Vergnügen gehabt und es wurde daher Zeit für die obligatorische Essenspause. Zudem hatte die Fülle der Gesprächsthemen ein wenig nachgelassen, der Redefluss war im Moment sogar ziemlich ins Stocken geraten, so dass sich Giselas Magen schon seit einiger Zeit in Form eines unüberhörbaren Knurrens bemerkbar machen