Günther Dümler

Mords-Brand


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Trinkgeld hatten sie erst gar nicht gehofft. Danach sah der unrasierte Auftraggeber nun wirklich nicht aus.

      Die Männer hatten es eilig. Sie wollten die Fuhre noch vor dem Mittagessen abgeschlossen, das heißt abgeladen und nach den Kriterien bezüglich der Weiterverarbeitung sortiert haben. Die Möbel wurden von einer mächtigen Maschine zwischen schweren Rollen und riesigen Greifzähnen zerquetscht, die bedruckten Andenken kamen ins Altpapier. Scherereien machten die Schubläden, die Ronald Lippl mitsamt dem Inhalt einfach zu den Möbeln geworfen hatte. Schlamper! Rachid Karaman kippte den Inhalt des letzten Schubes auf einen separaten Haufen, um den Inhalt nachträglich noch zu sortieren, als ein Fetzen Papier von einer leichten Böe erfasst und einige Meter weit durch den Recyclinghof getragen wurde. Ärgerlich. Er machte die paar Schritte und hob den Papierbogen auf. Das Papier, auf dem etwas in schnörkeliger Schrift mehr gemalt als geschrieben war, erregte seine Aufmerksamkeit. Er konnte sich aus den seltsamen Wörtern keinen wirklichen Reim machen, obwohl er schon als Kind nach Deutschland gekommen war und mit der deutschen Sprache normalerweise keinerlei Probleme hat.

      „Schau her, Gerhard, was für eine seltsame Schrift. Das sieht richtig alt aus. Ich kann dieses Deutsch, wenn es überhaupt deutsch ist, nicht entziffern.“

      Der angesprochene Gerhard, der Kapo der Gruppe, schüttelte unwillig den Kopf. Man hatte anderes zu tun, als die Hinterlassenschaft von alten Omas aufzuarbeiten.

      „Wahrscheinli die alte deutsche Schrift, Südderlin odder wie dess hassd. Dess konn ich aa nedd lesen. Wäi ich in der Schul war, hodds dess aa scho nimmer gebn.“

      Doch Rachid gab keine Ruhe.

      „Aber wie schön das geschrieben ist. An manchen Stellen sieht es eher gemalt als geschrieben aus. So richtige Schmuckbuchstaben und Arabesken überall.“

      Damit die arme Seel eine Ruh hat und weil Gerhard wollte, dass Rachid endlich mit seiner Arbeit weitermachte, kam er nun doch herbei und sah sich den vergilbten Papierfetzen an. Das war kein richtiges Papier, nicht so wie man es heute kaufen konnte. Vielleicht Pergament. So genau kannte er sich damit auch nicht aus, schließlich war er bei der Abfallentsorgung und nicht Sachverständiger beim Germanischen Nationalmuseum. Er drehte das Dokument, wie er es ab sofort nannte, noch ein paar Mal von vorn nach hinten und wieder zurück, zuckte mit den Schultern und beschloss dann, dass man es in der Gemeindeverwaltung abgeben würde, da es möglicherweise von einigem Wert sei.

      Nach der Mittagspause und zwei LKWs mit Senf und Mineralwasser, Bier war während des Diensts verboten, machte sich die Besatzung auf nach Röthenbach, bevor sie den zweiten und letzten Auftrag für heute angehen würde. Sie parkten den Unimog mit dem inzwischen geleerten Anhänger vor der Gemeindeverwaltung, die genau genommen nur aus zwei winzigen Amtsräumen bestand, einem nicht sehr großen für den Bürgermeister und einem noch kleineren für Frau Siebenkäs, die die Herren in ihrer bekannt forschen Art begrüßte.

      „Kommers bloß nedd mit ihre dreggerdn Schdiefl in mei sauber butzdes Zimmer rei. Woss wollnsn, der Chef hodd ka Zeid, der iss aa blouß Deilzeidburchermasder. Der hodd woss anders aa nu zum dou.“

      Freundlich und zuvorkommend wie immer, die Frau Siebenkäs. Gerhard zog das so genannte Dokument aus der Brusttasche seiner Latzhose und hielt es triumphierend wie einen Lottoschein, der einen Sechser erzielt hatte, in die Höhe.

      „Ich denk, dess wird dem Bürchermasder schon indressiern. Schaud ziemlich ald und wahrscheinli einichermaßn werdvoll aus.“

      Werdvoll! Sie und woss werdvolles! Wäi a Fünfhunderdeuroschein schauds nedd grad aus. Nedd mid die Schdiefl reidabbn hobbi gsachd!“

      Ihre Stimme hatte sie, dem zu befürchteten Ausmaß der drohenden Verschmutzung angepasst, entsprechend laut erhoben. Gerhard, dessen rechter Fuß bereits über dem frisch geputzten Büroboden schwebte, zog diesen erschreckt wieder zurück. Der Tumult rief nun aber den im angrenzenden Zimmer über einem Schriftstück brütenden Bürgermeister Holzapfel auf den Plan.

      „Woss iss denn da los? Woss soll dess ganze Gebrüll?“ Und als er des zettelschwenkenden Müllkutschers ansichtig wurde: „Zeigns amal her, woss iss nern dess?“

      Kaum hatte er einen Blick auf das Dokument geworfen, wurde sein Blick milder, die Zornesfalten verschwanden aus seinem Gesicht und machten einem feinen Lächeln Platz, das nach und nach in ein immer breiter werdendes Grinsen überging. Er hatte nahezu auf Anhieb erkannt, dass er hier etwas wirklich Wertvolles in seinen Händen hielt. Eindeutig konnte er die Jahreszahl 1114 entziffern und die Erwähnung des Ortsnamens Rothenbach war ihm auch nicht entgangen. Der Text war natürlich entsprechend seines Alters in einer mit der heutigen Ausdrucksweise nur sehr entfernt verwandten Sprache abgefasst. Frühes Mittelalter eben. Das würde ein Spezialist begutachten müssen. Aber er war ganz sicher, dass das Schriftstück, wenn es denn tatsächlich echt sein sollte, eine grundlegende Neufassung der Ortsgeschichte bedeuten würde. Von einem Hinz Laumer und einem Eberhard Beringer war die Rede, letzterer ein Wirt. Wenngleich ihm die Namen nichts sagten, so hatte er doch sofort das Gefühl, dass aus der Geschichte etwas Positives herauszuholen wäre. Vielleicht hatte ja sogar eine hochgestellte Persönlichkeit aus der damaligen Zeit hier in Röthenbach übernachtet. Da könnte man sicher etwas draus machen. Die Pläne begannen in seinem aufgeregten Gehirn bereits wilde Formen anzunehmen. Bisher war die erste Erwähnung Röthenbachs für das Jahr 1209 nachgewiesen, weshalb man vor fünf Jahren das 800-jährige Bestehen gefeiert hatte. Ziemlich glanzlos allerdings. Damals noch unter seinem Vorgänger, dem absolut inkompetenten Erwin Wiedemann. Ein paar Ansprachen, ein lächerliches Messingtäfelchen am Eingang zum Gemeindeamt, ein Festgottesdienst. Mehr war diesem elenden Stümper nicht eingefallen. Das würde, wenn seine Vermutung bestätigt werden sollte, dieses Mal anders werden. Ein Helmut Holzapfel war ein anderes Kaliber, wie die Welt sehr bald staunend feststellen sollte.

      Die Staatsanwaltschaft hatte, wie alle, die das Gewitter persönlich miterlebt hatten, zwar auch keinen begründeten Zweifel an der Brandursache, ließ aber nichtsdestoweniger die genauen Hintergründe von den Spezialisten der Kriminalpolizei untersuchen. Es war ihre Pflicht, denn ein Brandort ist immer zunächst einmal Tatort, zumindest bis eine schlüssige, zweifelsfreie Erklärung für den Brandausbruch gefunden ist. Außerdem war bei dem Unglück, das es auf den ersten Blick war, ein Mensch zu Tode gekommen, zudem unter reichlich obskuren Umständen.

      Das Sonderteam der Spurensicherung, verstärkt durch einen Brandspezialisten war sofort am frühen Morgen nach dem Unwetter angereist. Männer in weißen Ganzkörperanzügen nahmen Proben, untersuchten sorgfältig geschmolzene Elektroleitungen, prüften Rußablagerungen, alles vorrangig zu dem Zweck zunächst die Brandausbruchstelle zu bestimmen. Das wichtigste Indiz war schnell gefunden, denn durch den verheerenden Blitzeinschlag war einer der senkrechten Stützpfeiler des Schuppens an seinem oberen Ende buchstäblich wie mit der Axt gespalten worden und mit kohlrabenschwarzem Ruß bedeckt. Eine derartige Gewalt konnte kein Mensch ausüben, die konnte nur von einem verheerenden Blitz ausgegangen sein.

      Trotzdem wurden die Personen befragt, die nach den Aufzeichnungen der Schutzpolizei am Brandort anwesend waren, allen voran die geretteten Familienmitglieder, die Feuerwehrmänner, aber auch einige der unvermeidlichen Gaffer, deren Personalien die Polizisten festgehalten hatten, sowie die unmittelbaren Nachbarn der Zieglers, von deren Anwesen aus Sichtkontakt besteht.

      Die Neugierigen konnten erwartungsgemäß nicht viel Nützliches beitragen, ihre Informationen beschränkten sich auf die Aufzählung der geretteten Personen, Tratschgeschichten und den Ausdruck von Mitleid über den materiellen Verlust der Zieglers. Die Qualität der Beobachtungen hatte für die Untersuchungen beim besten Willen keinen nennenswerten Nutzen.

      „Woss solli ihner soong, Herr Kommissar. Der Blitz hodd hald neighaud, woss ner sonsd.“

      „Waren sie Zeuge des Einschlags? Haben sie es mit eigenen Augen gesehen?“

      „Na sie sinn villeichd lusdich! Ich schdell mi doch nedd im schdrömendn Regn, bei Blitz und Donner, naus ins Freie und ward bis woss bassierd. Nadürli nedd. Ich bin hald kommer, wäi