Rita Renate Schönig

NOTH GOTTES


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wasserabweisend und schockresistent, dazu mit drei Lichtprogrammen ausgerüstet – durch die Grabreihen.

      Noch bevor Helene hinter dem Grabstein auftauchte, spürte er ihre eiskalte Hand an seinem Arm.

      „Jesesmaria“, fluchte er leise. „Ich hätt beinahe en Herzkasper gekriegt.“

      „Und ich erst. In der Kapelle bewegt sich etwas.“

      Herbert legte die Stirn in Falten. „Du hast doch net von dem Sepp soim Gemixte …?“

      „Döspaddel“, zischte sie.

      „Da!“ Helene zeigte zum Eingang der Kapelle. Im selben Moment erhellte ein greller Blitz die Nacht. Für den Bruchteil einer Sekunde verharrte ein dunkler Schatten, bevor er durch die Friedhofspforte davonrannte.

      Erst durch mehrfaches Blinzeln war es Herbert möglich, die Umrisse seiner Umgebung wiederzuerkennen. „Was war jetzt des?“

      „Entschuldige. Ich muss wohl auf den Auslöser gekommen sein“, antwortete Helene kleinlaut. „Geht’s denn wieder?“

      „Hm, grad so“, brummte Herbert und rieb sich die Augen. „Zumindest wisse wir jetzt, dass des Tor net abgeschlosse is.“ Trotz seiner momentanen Sehstörung klang er irgendwie zufrieden. „Wo sind eigentlich die annern zwei? Und wieso melde die sich nett? Schorsch! Gundel“, rief er.

      Dezente Zurückhaltung war jetzt nicht mehr vonnöten und seiner Meinung nach, die Sache für heute Nacht gelaufen.

      Mit energischen Schritten marschierten er und Helene zu ihren beiden Hilfssheriffs. Doch anstatt pflichtgetreuer Wachposten trafen sie auf eine leise schnarchende, auf ihrem Stühlchen sitzende Gundel. Zudem lag deutlicher Alkoholgeruch in der Luft.

      Unsanft schlug Herbert auf Schorschs Oberarm, dessen Kopf auf Gundels Schulter ruhte.

      „Jesesna!“ Erschrocken zuckte er zusammen und schaute auf „Ach ihr seid ‘s. Is was passiert?“

      „Genau des hätte wir gern von euch gewusst“, fauchte Herbert.

      „Von uns? Bei uns war nix, odder Gundel?“

      Die schüttelte gähnend den Kopf.

      „Ihr habt also net gesehe, wer da in der Kapelle gewese is?“

      „In der Kapelle? Wer soll en do gewese soi?“

      Langsam begriff Schorsch, dass ihnen scheinbar etwas oder jemand durch die Lappen gegangen war.

      „Do war nix“, antwortete er trotzig. „Des hätte mer gemerkt.“

      Resigniert schüttelte Herbert den Kopf. „Des hat kein Wert mit dene zwei.“ Er wandte sich Helene zu. „Komm. Wir gucke mal in die Kapelle.“

      Mit seiner Stabtaschenlampe in der erhobenen Hand, den Lichtkegel jetzt auf 100% eingestellt, schritt er auf den Eingang zu.

      Noch bevor seine zittrigen Finger die Halsschlagader der jungen Frau berührten, wusste er, dass sie tot war.

       Donnerstag, 27. August – 22:40 Uhr

      „Polizei Seligenstadt, Kommissar Lehmann. Sprechen Sie bitte lauter. Ich kann Sie kaum verstehen. Sie haben was gefunden? – Eine Leiche? – Wo? – Ach. Auf dem Friedhof?“

      Der Polizist legte die Stirn in Falten. „Hören Sie, wenn das ein Scherz sein soll? – Was? Die Leiche sitzt in der Noth Gottes Kapelle auf der Bank? Sagen Sie, haben Sie vielleicht etwas zu tief ins Glas geschaut? – Stocknüchtern, sagen Sie. Wie ist denn Ihr Name? Hallo, hallo.

      Aufgelegt. So ein Depp“, wandte er sich seinem Kollegen zu. „Ich konnte ihn kaum verstehen. Faselte etwas von einer Leiche auf dem Friedhof.“

      „Ach? Da gehören Leichen ja auch wohl hin.“ Kommissar Berthold Bachmann grinste und Hans Lehmann kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Die sollten allerdings in der Erde liegen oder zumindest in der Leichenhalle und nicht in der Friedhofskapelle sitzen.“

      „Das ist freilich ungewöhnlich.“

      „Vielleicht sollten wir doch mal die Kollegen von der K-Wache …?“

      „Bloß nicht“, widersprach Bachmann. „Ich will nicht die Lachnummer des Monats werden.“

      Für einige Augenblicke herrschte absolute Ruhe.

      „Und wenn doch was dran ist?“

      Bachmann presste die Lippen zusammen und zog die Luft ein. „Dann sind wir am A …“

      „Du sagst es. Weißt du was, ich ruf den Josef an, der sitzt noch in seinem Zimmer. Der weiß bestimmt was zu tun ist. Schließlich ist er der Einzige von uns, der schon Erfahrungen mit Leichen hatte.“

      „Stimmt“, pflichtete sein Kollege ihm bei. „Und gleich mit zwei und die waren mehr als tot, solange wie die in der Erde auf dem Häusler-Grundstück lagen. Mausetot, würde ich mal behaupten.“

      Sekunden später meldete sich Polizeioberkommissar Josef Maier. „Was gibt’s?“

      Lehmann schilderte ihm den mysteriösen, anonymen Anruf. „Eine Leiche auf dem Friedhof? Ach, in der Noth Gottes Kapelle?“ Der Leiter der Seligenstädter Polizeidienststelle lachte. „Hans, guckt mal auf den Kalender. Da steht August. Euer Aprilscherz kommt etwas zu spät oder zu früh, wie man’s nimmt.“ Gleichzeitig schaute er auf die Uhr. Was schon Viertel vor elf.

      „Trotzdem, danke für den Weckruf, verehrter Kollege. Ich mach mich dann mal auf die Socken, sonst bekomme ich irgendwann noch Hausverbot von meiner Frau und muss in der Noth Gottes übernachten. Ach, keine Chance. Ist ja schon besetzt.“ Er kicherte.

      „Ja, äußerst lustig“, brummte Lehmann. „Und wenn da doch etwas dran ist? Sollten wir nicht …?“

      Josef Maier seufzte. „Also gut. Wenn’s euch beruhigt. Ich fahr dort vorbei. Liegt sowieso auf meinem Weg.“ Das stimmte zwar nicht ganz, aber ein kleiner Umweg und ein Stück am Main entlang, konnte nicht schaden. Immerhin würde er um diese Zeit mit keinen olympiaambitionierten Radrennfahrern zusammenstoßen oder auf übermotivierte Möchte-gern-Skater treffen.

      ***

      Herbert drückte die rote Taste auf seinem Mobiltelefon.

      „So, des wär erledigt.“

      „Un, was mache mer jetzt?“, fragte Schorsch.

      „Ja nix weiter. Die Polizei weiß Bescheid. Jetzt liegt’s an dene. Wir gehe jetzt Heia mache.“

      Herbert nickte Helene zu.

      „Wie kannst du jetzt schlafen?“, jammerte Gundel. „Gerade erst haben wir eine Leiche gefunden.“

      „Von wir kann ja wohl net die Red sein“, murrte er ungehalten. „Wenn ihr statt zu saufe aufgepasst hättet, dann hätte wir den Mörder vielleicht dingfest mache könne oder zumindest täte wir den jetzt kenne.“

      „Un wärn vielleicht auch abgemurkst worde“, begehrte Schorsch auf und machte eine unverkennbare Handbewegung entlang seiner Kehle. „Außerdem, hawe mer so viele von dene Blätzjer gegesse – die warn werklich gut“, wandte er sich Gundel zu. „Dem Sepp sein Selbstangesetzte konnt do fast nix ausrichte.“

      „Also ich bin ganz froh, dass wir von all dem nichts mitbekommen haben“, äußerte diese mit zittriger Stimme und trank den Rest ihres Weines. „Wenn ich mir vorstelle, dass wir so quasi, wie heißt das, Zeugen eines Verbrechens geworden wären?“

      Sie füllte ihr Glas erneut und schenkte auch ihrem Nachbarn nach.

      „Habt ihr Saufnase noch net genug?“ Herbert warf beiden einen grimmigen Blick zu.

      „Wir hätte des einfach allein durchziehe solle“, quengelte er noch immer, als Helene und er aus Gundels Haus auf die Straße traten.

      „Es tut mir leid; meine Schuld.“ Sie hakte sich bei ihm