Thomas Jütte

Steinige Jagd


Скачать книгу

ließ sich am Rand des urgemütlich aussehenden Sofas nieder. Eher aus Gewohnheit als aus Langeweile schaltete er den LED-Fernseher an, der von einer Satellitenanlage gespeist wurde.

      Mein Gott, was für einen Schrott senden die denn hier? Ist ja schlimmer als bei uns. Reklame und noch einmal Reklame. Und dann noch in diesem Kauderwelsch... Lustlos zappte er sich durch die unzähligen Kanäle.

      Urplötzlich war er hellwach. Der Nachrichtensender Samanyolu TV zeigte eine Pressekonferenz der Interpol-Polizei, bei der kurz das Foto des Konterfeis eines Mannes eingespielt wurde. Dieses Gesicht, so war er sich absolut sicher, kannte er. Krampfhaft überlegte Claus, wo er es schon einmal gesehen haben konnte. War das vielleicht im Istanbuler Flughafen? Nein. Oder doch? In Antalya, nein, in Kittilä?! Ja, glaubte er sich zu erinnern: Ein Mann aus dem Menschenpulk, der sich um sie versammelt hatte, als die dicke Minna handgreiflich geworden war. Oder doch nicht? Etwa dieser verkappte CIA-Mensch mit dem Ohrtelefon, der sie durchsucht hatte? Nein, auf keinen Fall… - oder?

      Nachdenklich quälte er sich von der Couch hoch und schlurfte zur Minibar, die in der Wandküche eingelassen war. Jetzt war es Zeit für eine kleine Erfrischung. Hinter einer Dose Coca-Cola - Coca-Cola? Kommt üüüberhaupt nicht in Frage! - entdeckte er ein "7-Up". Schon der erste Schluck des eiskalten, zuckersüßen Limonadengetränks ließ ihn den Mann im TV vergessen. "Ahhh, wie das zischt. Das hab' ich mir verdient."

      Wann kommt endlich Rooperti zurück? Santu Claus hatte langsam, jetzt, eine gute Stunde später, derart Kohldampf, dass er glatt einen ganzen Elch verspeisen könnte.

      Wie auf Kommando klopfte es. Na endlich. Mein feiner Herr Knecht gibt sich endlich die Ehre.

      Rooperti, der sichtlich außer Atem war, trat ein. „Na, hat sich der Liftboy gewehrt?", frotzelte Santu.

      „Nein Chef, bin nur viel gelaufen - und etwas zu schnell", antwortete er, immer noch schnaufend.

      „Und warst du erfolgreich? Hast du welche gefunden?", wollte Santu wissen.

      „Erfolgreich? Gefunden? Was gefunden?"

      „Na, dein Schlagwerkzeug natürlich, du Unglücksrabe", half ihm Santu auf die Sprünge, „die Weidenruten."

      „Ach die. Äh, nein, keine gefunden. Dafür war's einfach zu dunkel. Aber dafür habe ich ein gutes Restaurant entdeckt, mit einer ansprechenden Speisekarte. Die Küche hat auch nach Mitternacht geöffnet. Und die Preise sind auch in Ordnung." Gespannt wartete er auf Santus Reaktion.

      „Nun gut, wenn du meinst. Hoffe nur, dass du diesmal nichts verbockst. Dann los jetzt. Ich könnte jetzt sogar deinen Rudolph vertilgen - und zwar roh". Rooperti quittierte diese Geschmacklosigkeit mit einem missbilligenden Blick. Komisch, dachte Santu, ich fand das jetzt humorig...

      Das Wiedersehen

      Rooperti führte sie auf der Admiral-Tafdil-Straße in nördlicher Richtung. Der Regen hatte immer noch nicht aufgehört. Fröstelnd klappte Santa seinen Kragen hoch und zog sich die phrygische Mütze tief ins Gesicht.

      Sie passierten den Sultanahmet-Park, in denen einige auf Gaslaterne getrimmte Lampen ein trübes Licht verbreiteten, und stießen auf die Yerebata-Caddesi. Die Straße schien nicht enden zu wollen. Mein lieber Schwan, da ist Rooperti aber ganz schön weit gelaufen. Kein Wunder, dass er so außer Atem war, staunte Santu.

      Dann waren sie endlich am Ziel. SULTANAHMET FISH HOUSE prangte es in großen, ehemals weißen Lettern über den Fenstern der zweiten Etage an einer schäbigen Fassade. Neben dem Schild glotzte sie ein Türkisches Auge an.

      Das Türkische Auge, Nazar-Amulett genannt, oder „Auge der Fatima", ist nach der jüngsten Tochter Mohammeds benannt. Es soll, als Gegenzauber, seinen Besitzer beschützen und ihn beispielsweise vor dem bösen Blick bewahren, wie sie aus dem Reiseführer wussten.

      "Heidnischer Schnickschnack", lautete Santus Statement, als Rooperti ihm das vorgelesen hatte. Ich glaub' eh nicht an diesen Blödsinn. Und außerdem hat Rooperti für den bösen Blick seinen ganz speziellen Gegenzauber, nämlich seine Rute. Also, was kann uns schon passieren?

      Sie betraten selbstsicher das Innere des Restaurants. Claus war angenehm überrascht. Die Wände waren sauber in einem warmen Gelb und einem kühleren Hellblau gestrichen.

      Über ihnen baumelten an die hundert kleine, kunterbunte orientalische Hängelämpchen, deren Licht eine heimelige Atmosphäre verbreitete. An den Wänden fanden sich verschiedene maritime Accessoires, darunter auch das Modell eines hölzernen Fisch-Trawlers.

      Es herrschte gefräßiges Treiben an den Tischen, die beinahe ausnahmslos besetzt waren. Zielstrebig steuerten die beiden Nordländer auf den einzigen freien Platz zu, direkt vor einem Fenster, das von einer halbhohen Gardine in Karomuster verziert wurde.

      Kaum hatten sie Platz genommen, eilte ein Kellner herbei und legte ihnen jeweils die zweisprachige Speisekarte vor, in englischer und türkischer Sprache.

      „Şapkanızı çıkarın misiniz?“, sprach er mit fragender Stimme Santu an.

      „No, no, noch nicht. Bitte geben noch etwas Zeit.“

      „Chef, der Kellner fragte, ob Sie ihm bitte die Mütze geben."

      „Kommt üüüberhaupt nicht in Frage. Sag ihm, er soll sich gefälligst selbst eine kaufen..." Sprach's und vertiefte sich wieder in die Speisekarte.

      „Sie sollen ihm das Teil nicht schenken, Chef, sondern sie nur absetzen."

      Aha, noch so ein Mützenfeind. Was haben die nur alle damit?

      „Na gut. Mir soll's recht sein. Wenn er dann Ruhe gibt, dann ab damit. Aber die Mütze bleibt bei mir, auf meinem Stuhl, kapiert?"

      Dem Kellner war das schlichtweg egal.

      Der Mann hatte in seinem langjährigen Berufsleben schon so einiges erlebt, vor allem mit Touristen. Sollte dieser komische, dicke Kerl doch seine alberne Kappe deponieren, wo er wollte. Hauptsache, der verfiel vor Aufregung nicht gleich in eine kardiogene Schockstarre.

      „Trotzdem gute Wahl, das Lokal", bemerkte Santu, der sich augenblicklich wieder beruhigt und in die Speisekarte vertieft hatte. Nicht so sein Knecht. Dessen Blick hing wie gebannt an Santus durch die Mütze scharfkantig eingedrückten Haarkranz, dass ihm das Aussehen eines alternden Hippies verlieh. Rooperti bewies dabei absolute Selbstkontrolle, nicht sofort vor Lachen lauthals loszubrüllen.

      Claus, dem das natürlich entging, stieg das Wasser bis zur Nickhautdrüse seiner Augen, angesichts der vielen köstlichen Gerichte, die zur Disposition standen.

      „Kebab kommt nicht in Frage", erklärte er weltmännisch, „Wir sind schließlich am Mittelmeer. Und deshalb kommt nur Fisch in Frage. Und zwar diesen…, diese Hamsi-Sardellen. Werd' ich gleich 'mal diesen kellnernden Neidhammel fragen: Hamm-Sie Sardellen? - Perfekt ausgesprochen, was?!?" Santu war so richtig aufgekratzt.

      „Marmara-Meer, Chef, nicht Mittelmeer...", bemerkte Rooperti, „Aber, egal. Also, Sie nehmen also Fisch?"

      „Nun ja, eigentlich war ich auf Gyros eingestellt…", übte sich Santu weiter in selbstgefälliger Lustigkeit. „Hamm-Si auch Gyros, oder hamm-Si nur Sardellen?" Claus kicherte über sein vermeintlich spaßiges Wortspiel.

      Doch Rooperti konnte sich nur ein gequältes Lächeln abringen: „Ich nehme dann auch Fisch. Und zwar Fener baligi."

      „Teufel, auch…", kommentierte Santu Roppertis Wahl.

      „Seeteufel, um korrekt zu sein…"

      Überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben, klappte er das Speisekartenbuch zu, lehnte sich zurück und ließ seinen Blick langsam durch das Restaurant schweifen.

      Plötzlich stockte sein Blick. „Chef, schau'n Sie mal. Na, das ist ja'n Ding!"

      Claus, immer noch über sich selbst feixend, folgte seinen Blick und entdeckte zu seiner Überraschung Professor Korhonen, ihr stilvoller Landsmann aus Helsinki.

      Der hatte sie, just, in diesem Augenblick, ebenfalls